Aktuell oder historisch

The Strangers- eindrucksvolle Uraufführung im Staatenhaus


   Im Saal 3 in der ersten Etage des Staatenhauses gibt es lediglich eine große Fläche, die durch allerlei variable Aufbauten und Sitzmöglichkeiten in eine Bühne verwandelt werden kann: so spielt hier routinemäßig die Kinderoper. Und hoffentlich in ihrer letzten Spielzeit vor dem Umzug an den Offenbachplatz. Was es hier noch nicht gegeben hat, sind große, durch Bühnenarbeiter verschiebbare quadratische Podeste, Schauplätze, auf denen man singen und spielen kann; dazu das kleine Orchester in der Mitte und das Publikum ringsherum in zwei Reihen dahinter. Das kommt so auch nie mehr, genau so wie etwa die großflächige 360-Grad-Inszenierung der “Soldaten”

Die Idee dazu hatte der portugiesische Bühnen- und Kostümbildner Luis F. Carvalho, der nach seiner Ausbildung in England vielfältig international beschäftig ist. Er hatte mit der kanadischen Regisseurin Maria Lamont die Uraufführung von „The Strangers“ eingerichtet, mit dem englischen Dirigenten Harry Ogg, in Köln bekannt als Assistent von FX Roth und mit Schwerpunkt als Kapellmeister an der Düsseldorfer Oper. Und mit Frank Pesci, Komponist des Auftragswerkes für die Kölner Oper, Amerikaner mit Wohnsitz in Köln.

Er ist ein sehr fleißiger Mann mit über 100 Werken, darunter auch mit einem Werk für das Gürzenichorchester, der aber oft auch  als Statist und Chorsänger für die Oper Köln tätig war. Mehr Details hier: https://www.frankpesci.com/lebenslauf-deutsch Selbstredend wurde auf englisch gesungen, die Bildschirme für die deutschen Übertitel waren je nach Sitzposition schon arg weit weg; dazu kommt, dass das jeweilige Handlungszentrum herumwandert. Für den Zuschauer also nicht ganz einfach, der Geschichte aufmerksam zu folgen. Vor allem, wenn man sich nicht vorher auf der Webseite der Oper schlau gemacht hatte.

Historisch verbriefte Grundlage der Oper ist ein massenhafter Lynchmord an 11 italienischen Einwanderern am 14. März 1891. Nach der Ermordung des Polizeichefs David Hennessy auf offener Straße sprach ein Geschworenengericht den Täter frei mit der Folge, dass einige der ungeliebten Einwanderer, bei denen man eine Bandenkriminalität um lukrative Obstimporte vermutete, am nächsten Tag vom zusammengerotteten Pöbel umgebracht wurden.

Der italienstämmige Kompositionslehrer von Frank Pesci hatte ihm bereits früh von diesem vergessenen Drama erzählt; die Idee zu einer Oper kam aber erst sehr viel später, konkret aber durch den Kontakt zu FX Roth. So entstand die Auftragsarbeit, nachdem er mit seinem Stück „Parade“ für Blech und Perkussion in Köln sehr erfolgreich war.

Im Zentrum der Opernhandlung stehen zwei Einwanderer, Iania Costa (ganz hervorragend: Emily Hinrichs) und ihr Verlobter Emmanuele Polizzi (John Heuzenroeder, mit Perücke kaum wiederzuerkennen), deren große Erwartungen an die „Neue Welt“ jäh getrübt werden durch den Mord an Hennessy. In sieben Bildern erzählt der englische Librettist Andrew Altenbach, selbst Dirigent und Sänger, die Geschichte, mit einem sehr gut zur Musik passenden Text von Fremdenfeindlichkeit, von Massenhysterie, von den Problemen einfacher Menschen. Flugblätter gegen die sizilianischen Einwanderer werden verteilt, ganz aktuell passend zu den Immigranten auf Lampedusa.

Vorab gehen eine Gruppe Besucher durch ein Museum mit Exponaten aus dem Leben vor 140 Jahren mit Kleidung, Details zum Lebensstil und Religion, sogar mit einem kleinen Hausaltar. Die stummen Besucher werden dann zu den singenden Akteuren der Handlung. Fleißiges Umziehen ist angesagt, denn sie spielen auch medizinisches Personal, Totengräber, Kirchenmitarbeiter und Leute von der Straße. Die Auswüchse gegen die Einwanderer lassen auch an den aktuellen Palästinakrieg denken.

Musikalisch hörte man Hervorragendes von den 15 Musikern des Gürzenichorchesters, darunter nur einfach besetzte Streicher und Bläser, auch eine Gitarre, Banjo und Klavier. Harry Ogg führt die kleine Truppe sehr subtil, feinsinnig, oft fast zärtlich und hoch präzise. Jazzelemente, Blues, Südstaatenmusik, Choräle und Dixieland Musik mischen sich zu einer gefälligen, interessanten Melange, spannend und gut anzuhören. Vor allem mit den ausgezeichneten Sängern, samt und sonders aus dem Ensemble. KS Miljenko Turk als stimmgewaltiger Polizeichef Hennessy, der trotz einer Notoperation an seiner Schussverletzung stirbt; seine Frau Margaret singt die bewährte Regina Richter.

Martin Koch als Billy O´Connor und David Howes, just aus dem Opernstudio übernommen, sind die Einwanderer der zweiten und dritten Generation. Mama Costa, Catarina Costa und Zia Francesca werden routiniert und stimmschön von Dalia Schaechter, Maria Korolewa und Adriana Bastidas-Gamboa gesungen und dargestellt. Für alle ist es ein Rollendebut, kein Wunder bei einer Uraufführung; auch die Regisseurin Maria Lamont und der Bühnenbildner Luis F. Carvalho agieren zum ersten Mal im Staatenhaus.

Zu erleben war eine hochspannende Aufführung, hervorragend gesungen und gespielt, mit deutlicher Gänsehaut in der letzten halben Stunde. Und einer beglückenden Demonstration des hohen musikalischen Niveaus der Kölner Oper. Das Werk ist mit zwei Stunden vielleicht etwas lang, aber Langeweile kommt keinesfalls auf.

Text von Michael Cramer

Fotos © Sandra Then

Uraufführung am 30. September 2023

Gesehene vorletzte Aufführung am 11. Oktober 2023

Trailer:  https://www.youtube.com/watch?v=qSMz1AZpraE

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