Oper Aachen – anstrengender, hoffnungsvoller Einstieg
Das war schon ein ganz besonderer Abend, der 30. September 2023, mit der Premiere von „King Arthur“. Elena Tzavara stellte sich als die neue Intendantin des Theaters Aachen dem Opernpublikum vor, und persönlich dann bei der anschließenden Premierenfeier im Spiegelsaal. Sie hatte sich – nach anspruchsvollen Jobs in Köln und Stuttgart – gegen 58 Bewerber durchgesetzt und plant jetzt in Aachen vieles umzudrehen. Daher auch das umgedrehte „A“ im Stadtnamen. Und in einem neuen Farbkonzept – alles in Neongelb. Das Theater Aachen ist bekanntlich ein Zweispartenhaus, Oper und Schauspiel, und da lag es nahe, für die erste Premiere auch beide Sparten zu Wort bzw. zu Gesang kommen zu lassen.
Und so kam das Führungsteam mit der neuen Dramaturgin Isabelle Becker und dem Generalmusikdirektor Christopher Ward auf ein „Zweispartenstück“, die Semi-Oper „King Arthur“ von Henry Purcell (1659-1695), dem bedeutendsten englischen Komponisten. Der hatte sich zusammengetan mit John Dryden (1631-1700) für das Libretto nach dessen Schauspiel “King Arthur”. Und Elene Tzavara hatte sich bereits der Mitarbeit des Regisseurs Marco Štorman versichert, den sie in Stuttgart sehr schätzen gelernt hatte.
Und da das nicht genug war an Text, entsann man sich an Kae Tempest, eine junge queere Engländerin, Rapperin, Autorin und Musikerin. Der Regisseur baute Teile von deren Gedicht „Let Them Eat Caos“ in Semi-Opera ein. Die Musik Purcells, sehr gut bekannt aus „Dido und Aeneas“, ist hier nur ein Begleitwerk, denn es handelt sich nicht wirklich um eine Oper. Die Hauptrollen sind mit Sprechern besetzt, während die Gesangspartien eher nur lose eingefügt sind: eine klassische englische Barockoper des 17. Jahrhunderts. Purcell hat dennoch entzückende Arien für seinen King Arthur geschrieben, sehr bekannt ist die Bass-Arie “What power art thou“ https://www.youtube.com/watch?v=Q8K8wFk-tn8 Auch als „Air du froid“ oder „Cold song“ bekannt, wo die Liebe imstande ist, jedes noch so abweisende Herz zu erwärmen. Passend dazu hat die Requisite reichlich Schnee rieseln lassen. Schon ein wenig anrührend.
Nun ist es nicht einfach, diese komplizierte Story in den Kopf zu bekommen und zu behalten, trotz englischer und deutscher Übertitel. Immerhin neun Rollen weist der Besetzungszettel auf, wobei die Sprechrollen im Abendprogramm entsprechend ihrer Bedeutung vorne stehen. Und es ist auch ein wenig couragiert, ein solches nicht gerade einfaches Stück zum Einstieg in die Opernintendanz zu wählen statt eines „Renners“ von Verdi oder Mozart. Aber die Intendantin wollte wohl mit „Liebe“ die Herzen der Aachener erwärmen. Solche schmückten den Eingang der Oper, stiegen später im Zuschauerraum an die Decke, auf großen Stoffbahnen wurde „liebt mehr“ gefordert, großformatig auch auf dem hervorragendem Abendprogramm (wenn man es denn ganz aufgeklappt hatte) und von zahlreichen Gästen der Premiere zum Schluss auch hochgehalten.
Dazu war das Deckenlicht bereits angegangen, umgekehrt als zu Anfang, als die famosen, vom GMD Christopher Ward blendend einstudierten Aachener Symphoniker bereits leise barocke Hintergrundmusik spielten, so dass man sich noch gut ein wenig unterhalten konnte. Und der Opernchor im Zuschauerraum sich schon mal einsang mit dem “Frostchor”. Vom Alltag also nahtlos in die Welt des Kriegers Artus und genauso wieder zurück ins reale Leben.
Wobei die sogenannte Artus-Sage eine reine Fiktion ist; die Legende von der Tafelrunde wurde von etlichen Autoren immer wieder genutzt. Hier aber wurde das Schauspiel „King Arthur“ als eine Huldigung an die britische Monarchie gesehen.
Der Plot der komplizierten Geschichte in Kurzform: der britische König Arthur will gegen den Saxenkönig Oswald um die blinde Emmeline kämpfen. Der Luftgeist Philildel trifft auf den Zauberer Merlin, der zu Arthur hält, nicht aber der Erdgeist Grimbald. Emmeline will von Oswald nichts wissen, der entführt sie daraufhin. Auch das Angebot von Arthur, Oswald mit der Hälfte seines Königreichs zu bestechen, hilft nicht. Merlin soll Emmeline befreien, mit einem Zauber soll sie wieder sehen können. Und sie erblickt Grimbald, der auch sie ebenfalls begehrt. Als sie ihn verschmäht, lässt Grimbald die Welt kurzerhand einfrieren. Um genau 04:18 Uhr. Arthur sucht unter Halluzinationen nach Emmeline. Dann legt sich der Sturm, alles bewegt sich wieder. Die Handlung ist im Original allerdings wesentlich komplexer und liest sich bei Wikipedia so: https://de.wikipedia.org/wiki/King_Arthur_(Oper)
Auf der fleißig rotierenden Drehbühne von Daniel Wohler imponiert ein Aufbau mit einer Treppe und einem mannshohen Glaskasten, ähnlich wie ein Raucherraum im Flughafen. Darauf und darin wird emsig herumgeklettert, von den Schauspielern wie den Sängern. In einem riesigen Felsbrocken steckt das überdimensionale Schwert von König Arthur. Und überall haufenweise Leichenteile in Form von Schaufensterpuppen. Begonnen hatte es mit einem langen Monolog bei heulender Windmaschine aus dem Graben von Stefanie Rösner; sie spricht die langen Texte des Zauberers Merlin von Kae Tempest sehr engagiert und textverständlich. Dass sie eine Männerrolle spricht, scheint unwesentlich. Tim Knapper als Oswald hat eine mächtige Stimme, die er überzeugend einsetzt, ebenso Ronan Collett als (singender) Adjutant Grimbald. Bei den Damen gefallen die Sopranistinnen Laila Vallés als Amor und Suzanne Jerosme (Philidel) ganz hervorragend, mit einfach tollen ausdrucksstarken Stimmen. Hermia Gerdes ist eine gut beschäftigte Emmeline, auch die kleineren Rollen sind bestens besetzt. Das nach knapp zwei pausenfreien, anstrengenden Stunden leicht erschöpfte Publikum feierte die Aufführung, die Protagonisten und das Produktionsteam mit sehr viel und buhfreiem Applaus, fast frenetisch und offensichtlich froh über den Neubeginn in der Oper Aachen.
Eine rundum gelungene Einstandsproduktion, der allerdings etwas weniger Textlastigkeit gutgetan hätte; es zog sich bisweilen, da hätte man sich mehr Action auf der Bühne gewünscht. Das ist aber generell ein Problem solch gemischter Aufführungen, ob Musical, Operette oder auch Semi-Oper wie hier. Für Elena Tzavara ist sie ein hoffnungsvoller Einstieg in ihren neuen Lebensabschnitt und zum Wohle der Aachener Kulturszene. Das gute Echo des Publikums bei der anschließenden Premierenfeier lässt auf jeden Fall stark hoffen.
Hier der Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=J2e-np8gdE0&t=61s
Rezension von Michael Cramer
Fotos von © Thilo Beu und Michael Cramer
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