Musik

Richard Strauss – mit leichten Schatten

 

Prächtige Musik, tolle Sänger, nur leidliche Szene

Die erste Premiere der neuen Spielzeit 23/24 – und hoffentlich die letzte Saison im Staatenhaus – war in den Medien groß angekündigt worden, Facebook und Instagram quollen fast über von Videos und Fotos. Und das bei einem eher selten gespielten Werk. Denn kleinere Häuser sind mit der Oper stimmlich und szenisch schnell überfordert. Richard Strauss letzte Oper „Die Frau ohne Schatten“ sieht der Komponist selbst als sein bestes Werk an, ein Geniewurf nach der Dichtung von Hugo von Hoffmannsthal. Mit viereinhalb Stunden (incl. 2 Pausen) geht es schon in Richtung Richard Wagner, auch hinsichtlich der immensen Orchestergröße.

Ergo quetschten sich die Musiker des fabelhaft vorbereiteten Gürzenichorchesters mangels Orchestergraben (noch !) komplett rechts an die Seite; es scheint, dass die Orchesterfläche größer ist als die eigentliche Bühne. Für den Zuschauer schon ein seltener Anblick, das Orchester in toto spielen zu sehen, eigentlich mittendrin zu sein und die hervorragenden Soli der Violine (Konzertmeister Torsten Janicke), Solocellistin Ulrike Schäfer, und Philipp Marguerres geheimnisvolle Glasharmonika verfolgen zu können.

Der Dirigent Marc Albrecht, ein ausgewiesener Strauss-Experte, schafft mit den Musikern wahre Klangwunder an Farbigkeit, Durchsichtigkeit, an perfekter Wucht u.a. durch 8 Hörner und strahlende Trompeten. Dennoch werden die Sänger nie zugedeckt, ein veritables Kunststück bei diesem Riesenorchester. Insgesamt ein hochgradiger Ohrenschmaus, ein ganz besonderes Klangerlebnis, was man nicht oft zu hören bekommt. Allein daher lohnt der Besuch der Aufführung allemal, durchaus auch mehrfach. Leider entsprach die Inszenierung von Karin Thoma im Bühnenbild von Johannes Leiacker nicht dem hohen musikalischen Niveau. Die „Frau ohne Schatten“ ist ein Märchen aus dem Menschen- und Geisterreich, handelt von denen da oben und von denen da unten.  Die Kaiserin, Tochter des Dämonen Keikobad, wird einfach nicht schwanger; und wenn sich das binnen drei Tagen nicht ändert, soll der Kaiser zu Stein erstarren. Sie muss daher einen Schatten finden, symbolisch fruchtbar werden für eine Schwangerschaft. Und geht daher auf die Suche ins Menschenreich, unterstützt von ihrer Amme. Und bringt eine Menschenfrau, eine Färberin, dazu, auf eine eigene Fruchtbarkeit zu verzichten. Ihr Mann ist der Färber Barak, der einzige mit einem konkreten Namen. Auch er ist sauer, dass seine Frau kinderlos ist.

 

Die Amme schlägt sich auf die Seite der Kaiserin, zaubert einen verführerischen Jüngling und ein Abendessen für Barak herbei. Alles vergebens, die Kaiserin entscheidet sich, auf den Schatten der Färberin zu verzichten, da sie sonst das Leben des Färberpaares zerstören würde; sie weigert sich, vom Wasser des Lebens zu trinken und rettet somit ihren bereits fast erstarrten Mann. Die Geschichte geht also gut aus. Weniger gut ist allerdings die Szene selbst. Als Spielfläche dient ein Stufenaufgang, der zu einem massiven Felsblock führt. Sonst gibt es nichts außer allerlei wenig erhellenden Videos für ein Erdbeben, ein Spinnennetz über dem Fels oder die Erstarrung des Kaisers. Es ist fast langweiliges Stehtheater im Staatenhaus, da die Bühne kaum Abwechslung bringt. Bis auf etliche Altkleider-Klamotten, die wohl den Wohlstandsmüll und auch die Ausbeutung der dritten Welt symbolisieren sollen. Abwechslung bringen nur die Rettungssanitäter, die den Menschen auf der Flucht helfen und Butterbrote verteilen. Fast eine Einladung für den berühmten Opernschlaf, wenn da nicht die fantastischen Sänger wären.

Allen voran Daniela Köhler als Kaiserin. Mit einer enormen Bühnenpräsenz und einer sehr wandlungsfähigen Stimme, für die Koloratur kein Fremdwort ist, war sie ein einziger Wohlklang. Irmgard Vilsmaier als Amme überzeugt mit einer soliden Stimme, sehr guter Textverständlichkeit und einer sicheren Höhe. Die dritte „Monsterrolle“ ist die Färberin von Lise Lindstrom, die auf der ganzen Linie überzeugt. Kein Wunder, dass kleinere Häuser mit diesen drei Rollen so ihre Probleme haben können. Der Kaiser von AJ Gluckert verfügt zwar über eine herrliche Stimme, die er aber etwas zu dezent einsetzt. Wohingegen Jordan Shanahan als Barak seine wunderbare Baritonstimme vorzüglich klingen lässt, ebenso wie sein exzessives Spiel ausgezeichnet gefällt.

In den kleineren Rollen erfreuen die drei „behinderten“ Brüder Ralf Rachbauer, Christoph Seidl und Insik Choi. Erwähnt werden muss auch Giulia Montanari als Falke nicht nur wegen ihres hübschen roten Federkostüms. Und dann natürlich Karl-Heinz Lehner als prächtiger Geisterbote sowie der gestählte Jüngling von Bryan Lopez Gonzales. 23 Figuren und Stimmen zählt der Besetzungszettel auf, dazu der Chor der Oper unter Rustam Samedow, die jungen Sänger der Kölner Dommusik und die Statisterie. Schon sehr schwierig, die ganze Story im Kopf zu behalten und auf der Bühne aufmerksam zu verfolgen.

Nach viereinhalb Stunden spendete das sichtlich erschöpfte Publikum jubelnden Applaus für eine musikalisch herausragende Aufführung. Für den szenischen Teil dürfte sich mancher noch nachträglich mit dem ausgezeichneten Abendprogramm schlau gemacht haben.

Fotos © Matthias Jung

Rezension Michael Cramer

Premiere am 17. September 2023

Letzte Aufführungen 8. und 11. Oktober 2023

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