Musik

Kölner Gürzenich: Erstes Mini-Konzert trotz Corona

©Fotos von Holger Talinski

Text und vier kleine Fotos von Michael Cramer

Wie komfortabel – für jeden Musiker einen eigenen Raum zum Stimmen und Einspielen. Bei kammermusikalischen Besetzungen durchaus üblich – aber wo gibt es das denn bei Orchesterwerken ? Nun, das war auch einer besonderen Situation geschuldet, dem ersten Konzert nach der langen Corona-Pause. Von allen Kölner Musikfreunden heftig herbeigesehnt, standen die 2x 100 kostenlosen Tickets für zwei Konzerte am Nachmittag und Abend des 30. Mai für die Gürzenich-Abonnenten und Mitglieder der Concert-Gesellschaft zur Verfügung und wurden verlost. Hatten doch das Gesundheits- und Ordnungsamt im Vorfeld streng darüber gewacht, dass alles nach den gesetzlichen Richtlinien ablief. Man musste schriftlich angemeldet sein, im Vorfeld einen Gesundheitsfragebogen unterschrieben haben, natürlich einen Mundschutz anhaben und seine Hände am Eingang in den Musentempel desinfizieren. Alkohol für die Hände dann noch einmal beim Saaleingang und im Zusammenhang mit der „Keramik-Abteilung“, aber leider nirgends als Getränk. Da kam einem der Corona-Kalauer wieder in den Sinn, dass man sich niemals hätte träumen lassen, für die Hände mehr Alkohol zu verbrauchen als für den eigenen Magen.


Der Wunsch nach einem Konzert für die Fans kam nach Auskunft eines der Musiker vom Orchester selbst, hatte man doch zuvor über einige Wochen mit dem Chef am Pult mehrere Bläserkonzerte von Mozart für Aufnahmen einstudiert. Da bot es sich an, daraus auszuwählen: zum Zuge kamen das Oboen-Konzert KV 314 und sein Flötenkonzert, dazu jeweils das Divertimento für Streichorchester von Béla Bartók. Als Solisten hatten sich Tom Owen an der Oboe und die Flötistin Alja Velkaverh-Roskams bereiterklärt, Oboe am Nachmittag und Flöte am Abend. Spannend war das Event allemal. Jede zweite Reihe war mit passend blauen Bändern  abgesperrt, ebenso  waren in jeder Reihe  nur jeweils wenige 2er-Plätze freigegeben, die von unten nach oben besetzt und von innen nach außen wurden unter der strengen Aufsicht des Mundschutz-bewehrten Personals; selbst  Oberbürgermeisterin Henriette Reker nebst Ehemann mussten sich dem fügen, auch der lautstarke Protest eines bekannten Kölner Musikkritikers nach einem akustisch besseren Platz fruchtete nicht. Nur der Philharmonie-Chef Louwrens Langevoort saß auf seinem angestammten Sitz. Auch der „Exodus“ nach dem Konzert war streng berührungsfrei choreografiert.

Mozart nach fast drei Monaten Musik-Pause – das ging schon arg ans Gemüt, da braucht man sich auch nicht für ein paar Tränchen zu schämen. Es zeigte sich, dass die ca. 15 Streicher + Oben und Flöten – die alle einzeln hereingekommen waren und bis auf die Celli und Bläser im Stehen spielten – durch die lange Pause keinesfalls eingerostet waren; ein frisches Tempo, präzises Zusammenspiel und vielfältige Orchesterfarben ließen die Sehnsucht nach Livemusik erneut aufkeimen. Und der Solooboist Tom Owen zeigte erneut Beweise seines fabelhaften Könnens, mit herrlich vollem Ton meisterte er die lyrischen Momente wie auch die halsbrecherischen Kaskaden auch in den Kadenzen. Für ihn war es mit diesem Konzert der erste öffentliche Auftritt – daher sicherheitshalber mit Notenblatt. Auch FXR, der Chefdirigent Francois Xavier Roth, war wohl zwischendurch im Fitnessstudio; voll Elan hüpfte er – fast mehr als früher – auf seinem Podium herum, um die Musiker anzustacheln. Das war auch optisch ein Genuss, so auch die Begrüßung der Konzertmeisterin Natali Chee und des Solisten per Ellenbogen oder Fuß. Einen Lacherfolg provozierte ein Musiker, der über dem Mundschutz eine rote Karnevalsnase präsentierte. Wir sind ja immerhin in Köln und nehmen vieles locker.

Zwischen den beiden Werken ergriff Roth das Mikrofon, dankte seinen Musikern, die immer mal wieder öffentlich in Krankenhäusern und Altenheimen gespielt hatten und war auch ein wenig stolz auf dieses erste Nach-Corona-Konzert im Lande. Er ist ein Glücksfall für Köln, zumal er gerade seinen Vertrag bis 2025 verlängert hat https://www.guerzenich-orchester.de/de/rothaktuell  Auf der Seite finden Sie auch stimmungsvolle Fotos von Holger Talinski.

Das zweite Stück, Bartóks „Divertimento für Streichorchester“, war ein Vorgeschmack auf die kommende Spielzeit, wo der ungarische Komponist schwerpunktmäßig gespielt werden wird. Wenn sie denn überhaupt stattfinden kann. Das Stück hatte Bartók im Chalet des Basler Dirigenten und Mäzens Paul Sacher in Saanen im Berner Oberland komponiert, für ihn und für sein Basler Kammerorchester, alles binnen zwei Wochen. Es nimmt durch die Finesse der Konstruktion und die blendende Entwicklung und mit seinem einfachen, unprätentiösen Stil den Hörer gefangen. Das volkstümliche Kolorit entspricht im ersten und im letzten Satz Bartóks rumänischen Volkstänzen, während die Coda des Finales eine „stichelnde Anspielung“ auf ungarische Salonkapellen alten, trivialen Stils ist. Roth dirigierte das Divertimento mit federnder Eleganz, ohne an temperamentvollem Brio zu verlieren, das Orchester entfaltete seine ganze Fülle an Farben, ohne seine symphonische Großzügigkeit einzubüßen. Auch die neue Konzertmeisterin konnte in den vielen Solostellen ihre überragende Qualität demonstrieren. Der Zeithintergrund der Komposition, die bedrohlichen Vorzeichen des Krieges, ist im Mittelsatz deutlich zu spüren. Womit natürlich auch ein Bogen gespannt sein könnte zur aktuellen Corona-Situation. Auch wenn die derzeitige Entspannung Hoffnung verheißen könnte: wir sind immer noch mittendrin in der weltweiten und generell ungeschützt. Von daher sind die zahlreichen Pressekonferenzen der Kulturinstitute zur kommenden Spielzeit zwar sehr motivierend und begrüßenswert, aber trotzdem mit hohem Risiko verbunden: wer weiß denn schon, wie es mittelfristig weitergeht?

Die wenigen, hoch begeisterten Teilnehmer des Konzertes applaudieren im Stehen und  im Bewusstsein, an einem besonderen Ereignis teilgenommen zu haben. Aber vielleicht auch in düsterer Vorahnung, dass es vielleicht in ähnlicher Form vorerst weitergehen muss. Nur – wie soll das finanziert werden mit 100 Leuten auf 2000 Plätzen. Aber nicht umsonst sagt das Kölsche Grundgesetz im Artikel 2 und 3: „Et kütt wie et kütt“. Und: „Et hätt noch emmer joot jejange“.

Die famose Solistin des Abendkonzertes: Alja Velkaverh-Roskams, links die Konzertmeisterin Natali Chee, im Hintergrund Solocellistin Ulrike Schäfer

Die Konzerte sind auf der Webseite des Orchesters abrufbar. https://www.guerzenich-orchester.de/de/

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