Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor
Zum 25. Jubiläum der Kinderoper Köln – lustig und ernsthaft zugleich
Nach der Uraufführung im Theater am Dom von „Helga hilft“ war nur wenige Tage später die zweite Uraufführung in Köln mit der Geschichte vom „Fuchs, der den Verstand verlor“ zu erleben; da sage einer, in Köln wäre kulturell nix los. Zwei sehr unterschiedliche Stoffe, wobei „Helga“ mit ihrem ausgeprägten Helfersyndrom dem dement werdenden Fuchs therapeutisch durchaus zur Seite stehen könnte.
Anlass für das neue Werk ist das 25-jährige Jubiläum der Kinderoper Köln, die sich aus diesem Grunde mit diesem Stück selbst beschenkt hat. Bei der Feier im Saal 2 blieben leider viele Plätze frei und viele ausgelegte Programmzettel ungenutzt; schon schade, denn man konnte Stefan Charles, den neuen Kulturdezernenten, bei seiner lockeren Begrüßungsansprache kennenlernen wie auch Hansmanfred Boden, den Gründer und Vorsitzender des sehr wirkungsvollen Fördervereins der Kinderoper. Ohne ihn gäbe es die weltweit älteste Kinderoper in dieser Form nicht. Nach der Intendantin, die ein nachdrückliches Statement abgab für Life-Erlebnisse in der digitalen Welt unserer Jugend, und Norbert Pabelick, dem Vorsitzenden der Opernfreunde Köln, welche die Sänger des Kölner Internationalen Opernstudios finanziell unterstützen, konnte man Rainer Mühlbach, den musikalischen Leiter der Kinderoper und des Opernstudios und Brigitta Gillessen, Regisseurin und Chefin der Kinderoper, live erleben.
Die beiden hatten eine Präsentation vorbereitet, welche sie auf großer Leinwand über viele Stationen des Vierteljahrhunderts locker und launig vorführten, angefangen mit einem Zelt am Offenbachplatz. Dann kam die „Yakult“-Oper, benannt nach dem Sponsor der kleinen „Oper in der Oper“. Wenn es auch schon einmal Ärger gab, da die klassischen Opernbesucher sich an dem kleinen hübschen Bauwerk störten, welches das genussvolle Sektglas-Wandeln in den Pausen hinderte. Stattdessen sollte dann in der hässlichen wie halligen Eingangshalle gewandelt werden. Auch nicht toll.
Einen neuen Spielort für die Kinderoper, als die „unendliche Opern-Umbau-Geschichte“ begann, fand man im originellen „Alten Pfandhaus“ in der Südstadt, der früheren Pfandleihanstalt der Stadt; man saß im großen Oval, welches auch von hinten bespielt werden konnte, das Orchester fand Platz oberhalb der Bühne. Ein riesiger Fliegenpilz bewachte sorgsam die Aufführungen.
Und dann ging es zusammen mit der „Erwachsenen-Oper“ ab ins Staatenhaus in die erste Etage, Saal 3. Mit sehr viel Platz, aber mit einer Begrenzung auf 200 Zuschauende; das meinte zumindest die allmächtige Feuerwehr. Für „alte Opernhasen“ war diese Präsentation eine wunderschöne Wiederholung der eigenen musikalischen Vita. Besonders erwähnt wurden Frank Rhode, verantwortlich für das Jugendtheater, und Elena Tzavara, heute an der Oper Stuttgart. Und auch der vor kurzem mit 86 Jahren verstorbene Sänger Werner Sindemann, der 50 Jahre dem Ensemble angehörte und im hohen Alter in der Kinderoper noch sang; er ist vielen als Styx oder Teufel noch gut in Erinnerung.
Highlights waren zweifellos Henze´s „Pollicino“, „Die Zauberflöte“, „Orpheus in der Unterwelt“, „Die Kluge“ und „Hoffmanns Erzählungen“; und dann natürlich der „Ring des Nibelungen“, kindgerecht auf 4x eineinhalb Stunden eingekocht. Gerade ist der Ring mit der Götterdämmerung vorerst einmal abgeschlossen worden. Und jetzt zum Silber-Jubiläum der Kinderoper die Auftragsarbeit „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“, nach dem gleichnamigen Kinderbuch und dem Libretto von Martin Baltscheid, mit der Musik von Johannes Wulff-Woesten und inszeniert von der „Chefin“ Brigitta Gillessen.
Es geht um einen langsam dement werdenden alten Fuchs, der einst ein listiger und erfolgreicher Jäger war, aber nun zunehmend Probleme hat, in seinem Alltag zurechtzukommen. Er vergisst wie man jagt und futtert stattdessen Brombeeren, kennt auch den aktuellen Wochentag nicht, geht am falschen Tag in die Kirche und findet nicht nach Hause in seinen Bau. Bis er, gejagt von einer Hundemeute, sich in ein Vogelnest flüchtet, prompt vom Baum fällt und sich verletzt. Das könnte sein Ende sein, wenn da nicht die jungen Füchse wären, die er früher zu überleben gelehrt hat.
Die helfen ihm jetzt, setzen ihn in einen bequemen Sessel und passen von nun an immer gut auf ihn auf. Denn die Demenz schreitet unaufhaltsam fort. Und so endet auch die Geschichte: Blaue Wölkchen entführen ihn in eine andere und vielleicht einfachere Welt. Johannes Wulff-Woesten, Jahrgang 1966, hat eine entzückende, sehr einfallsreiche Musik geschrieben, durchsetzt mit vielen Zitaten wie „Ich wollt ich wär ein Huhn“, aus „Peter und der Wolf“, sogar der „Bolero“ und Themen aus der Jazzmusik und aus Kinderliedern sind erkennbar. Der Komponist sei ein sehr humorvoller Mensch, das erkennt man auch an seiner Musik – so Mühlbach. Das Ganze spielt auf einer bezaubernden Bühne, einem Bauernhof mit vielen Tieren, dazu kleine Füchse, die oft auf der Jagd nach diesen sind. Also eigentlich keine heile Welt, sondern schon harte Realität. Und dazu gehört auch Gebrechlichkeit und Alter mit Demenz – etliche der jugendlichen Besucher dürften das aus dem eigenen Umfeld kennen.
Nur – muss ein solch ernstes Werk ausgerechnet zum Jubiläum auf die Kinderbühne ? Vor allem, wo durch die Pandemie den Kindern alles abverlangt wird. „Oper ist nicht zum Duschen da“ schrieb einst der Dirigent Michael Gielen als Intendant der Oper Frankfurt: also nicht nur Rossini und Mozart, sondern die Realität. Selbstverständlich wünscht man der neuen Oper vom Fuchs viel Erfolg auch in anderen Häusern; die Zeit wird es richten.
Natürlich gibt es viel fürs Auge: reizende Tier-Kostüme von Jens Kilian (der auch für die Bühne verantwortlich ist) für die kleinen Sänger der Dom-Musik wie auch aus dem Opernstudio. Matthias Hoffmann überzeugt nicht nur stimmlich, sondern auch im Spiel als alter Fuchs, den jungen Fuchs als Erzähler gibt Dustin Drosdziok sehr überzeugend.
Die kleinen Füchse sind Anna Rollinger, Leonel Schleiwies und Marco Olinger, die vielen Tiere sind Ye Eun Choi, Maike Raschke, Luzia Tietze, Leilei Xie und Frederik Schauhoff; da war ständiges Umziehen als Schafe, Hasen Hunde, Hühner, Gänse und Amseln angesagt. Und viel Arbeit für die Damen der Kostümabteilung und der Maske. Der riesige Applaus des Premierenpublikums galt nicht nur den Sängern, sondern sicher auch ihnen – und dem Dirigenten, der mit dem stark reduzierten Orchester und allen Leitmotiven einen prima Wagner-Sound hören ließ; auch die eingefleischten Opern-Fans dürften sehr zufrieden gewesen sein.
Premiere am 20.11.2019
Fotos von © Paul Leclaire
Aufführungen am 28., 29. und 30.11. am 3., 4. und 7.12
Rezension von Michael Cramer
Der Förderverein der Kinderoper hat eine bebilderte umfangreiche Dokumentation herausgegeben; das 103-seitige Heft ist im Staatenhaus kostenlos erhältlich.