Barockoper im Neusser Globe-Theater – zum Zweiten
Die vielen roten Windfächer, welche das Shakespeare-Festival im Jahr 2022 ob der extremen Hitze an die Besucher der ersten Auflage der Sommeroper im Globe Neuss kostenlos verteilt hatte (man hatte noch reichlich übrig), konnten getrost zu Hause gelassen werden. Denn das Wetter spielte diesmal perfekt mit: ein schöner Sommerabend, trocken, mit fast blauem Himmel und erträglicher Temperatur. Das Festival „Alte Musik Knechtsteden“ hatte zusammen mit dem Kulturamt der Stadt Neuss das Versprechen vom letzten Jahr wahrgemacht und erneut zu einem barocken Event eingeladen. Und zu was für einem ! Opern aus alter Zeit gibt es ja reichlich, mehr oder weniger gute, aber es sollte auch diesmal wieder etwas Besonderes sein nach „Il giardino d´amore“ von Alessandro Scarlatti im vergangenen Jahr https://www.kulturcram.de/2022/09/sommeroper-im-globe-neuss/
Die kleine Bühne bietet ja nur wenigen Musikern Platz und erst recht kaum einem größeren Sängerensemble mit szenischen Aktivitäten. So verfiel man auf ein Werk von Giovanni Alberti Ristori (1692-1763), einem Dresdener Komponisten, der heutzutage ein wenig im Schatten seiner damaligen Kollegen steht. Er hatte mit „I Lamenti d´Orfeo“ eine kurze Oper in Kammerbesetzung komponiert, wegen der Enge der privaten Gemächer am Dresdener Hof mit nur zwei Sängerrollen. Auch Rossini schrieb seinerzeit seine „Petite Messe Solenelle“ für eine Privatkapelle und verzichtete auf ein Orchester zugunsten von Klavier und Harmonium.
Die hochmusikalische Kurprinzessin Maria Antonia Walpurgis erhielt eine fundierte kreative Ausbildung auch im Fach „Gesang“, die vom Kronprinzen Friedrich Christian von Sachsen durch die Verpflichtung zahlreicher musikalischer Größen gefördert wurde. So war Restori auch ihr Klavierlehrer; die Komposition der 50-minütigen Kurzoper erfolgte zu ihren Ehren, und konnte am Karfreitag 1749 heimlich in den Privatgemächern aufgeführt werden. Zum Opernabend in Neuss gab es von Babette Hesse und Niels Niemann ein sehr ausführliches 28-seitiges Programmheft mit den Operntexten, dem musikhistorischen Hintergrund und natürlich mit allen Ausführenden. Vielleicht könnte man die Texte auf die Webseite des Knechtstedener Festivals stellen www.knechtsteden.com
Die amüsante wie kompetente Einführung ins Werk durch die Dirigentin Dorothea Oberlinger und den Regisseur Niels Niemann erfolgte wieder im Freien im „Führring“, dem Ort, wo vor einem Pferderennen die Tiere aus der Nähe betrachtet werden können.
Eine gute Gelegenheit, hier den käuflichen Picknickkorb zu plündern, ganz so wie in alten Zeiten. Zur Erinnerung: der verkleinerte Nachbau des Globe – Theaters mit ca. 500 Plätzen steht tatsächlich hinter der Pferderennbahn.
Sehr eng sitzt man hier auf dem Parkett und zwei Rängen um die Bühne herum; im Hintergrund auf dem Rang waren die Bläser und Pauken positioniert. Wenn auch die Akustik sehr trocken ist: Wo kommt man sonst so nahe an die Sänger ran. Vor allem an so berühmte wie hier. Valer Sabadus ist einer der weltbesten Countertenöre; 1986 in Rumänien geboren, kam er früh nach Deutschland, studierte in München und machte eine unglaubliche Karriere als Countertenor. Er singt, hoch bejubelt, auf der ganzen Welt, wurde mit Preisen überhäuft, darunter 2x dem Echo Klassik und dem Deutschen Schallplattenpreis, und ist auf sehr vielen Aufnahmen zu erleben. Und jetzt im kleinen Neuss in einem ganz kleinen Theater. Das gilt auch für die berühmte Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli, ein Star in der historischen Aufführungsszene. Der Grund dürfte im sehr guten Ruf von Dorothee Oberlinger liegen, die als Solistin mit der Blockflöte ebenfalls die Welt bereist und mit dem Ensemble 1700 ein hochvirtuoses Barockorchester und gut vernetztes geschaffen hat. Qualitäten ziehen sich halt gegenseitig gerne an.
Die Geschichte von Eurydike in der Oper ist ein wenig anders, als man es sich vorstellt. Der Hofdichter Giovanni Claudio Pasquini modifizierte den Orpheus – Stoff dahingehend, dass Orpheus nach seinem missglückten Abstieg in die Unterwelt – er hatte sich zu früh nach Eurydike umgedreht – sich bei seiner Mutter der Muse Calliope gründlich ausheult. Diese richtet ihn aber wieder auf, erinnert ihn an die gesellschaftliche Verantwortung eines Künstlers und verspricht ihm, dass die Götter eines Tages seine goldene Leier an das Firmament setzen werden. Auf der prangt dann der Name Ermelinda Talea, der Künstlername von Maria Antonia.
Denn sie war nicht nur Kunstliebhaberin und Mäzenin, sondern komponierte selbst, so die Oper „Talestri“, die jüngst in Nürnberg aufgeführt wurde. In Neuss – da das Hauptwerk als abendfüllend zu kurz war – erklang daraus die „Sinfonia“ (Ouvertüre), von Dorothee Oberlinger und ihrem Ensemble 1700 frisch und fröhlich musiziert. Den Taktstock vertauschte sie dann mit ihrer Blockflöte für die „Cantata per flauto“ von Johann Adolf Hasse (1699-1783), dem größten Vokalkomponisten seiner Zeit. Oberlinger entlockte in zwei Sätzen ihrer Flöte mit verblüffender Fingerfertigkeit wunderbare Kantilenen, unterbrochen von virtuosen Läufen und Akkordbrechungen. Vor der Oper konnte man sich schon mal bei ihrem Komponisten „einhören“ mit zwei Sätzen aus seinem Oboenkonzert. Clara Blessing, Solistin im Ensemble 1700, bewies mit der exzellenten Güte ihres Spiels die herausragende Qualität der ganzen Truppe.
Für die Opernaufführung rückte man dann an die Seite, das Continuo mit Fagott und der Cembalistin Olga Watts rechts und die Dirigentin, die Streicher und Oboen links. Die Italienerin Francesca Lombardi Mazzulli als Calliope erschien auf der Empore neben den Hörnern mit erhobenem Zeigefinger und hub an, auf ihren ungezogenen Sohn zu schimpfen. Das zog sich dann. So konnte man nicht nur ihre temperamentvolle, exzellente Stimme genießen, sondern sich an ihrer unglaublich expliziten Mimik erfreuen. Das allein lohnte fast den Opernbesuch. Wie auch das einzige Duett der beiden im Finale.
Regisseur Nils Niemann ist auch wieder mit im Boot. Er sorgt für die originalen barocken Gesten und für einen spannenden Fortgang von Handlung und Rezitativen, Johannes Ritter ist wieder für Bühne und historisierende Kostüme verantwortlich. Marie Rabanus hat über die Videoproduktion ein Gebirge, einen Höhleneingang, Wolken und Sternenhimmel gezaubert, dazu kleine Strichzeichnungen aus der Mythologie. Und von der Empore erklangen Vogelstimmen, Windmaschinen und rasselnde Steine zum Vergnügen des fast vollen Hauses.
Für dieses Fest für Augen und Ohren gab es als Dank einen riesigen Applaus, wenn auch leider ohne Zugabe. Der laue Abend lud dann aber noch dazu ein, auf dem Gelände bei einem Gläschen oder zweien ein wenig zu fachsimpeln, in der Hoffnung auf ein nächstes Festival in 2024.
Wer noch einmal reinhören möchte: Der Mitschnitt des WDR wird am Sonntag dem 29. Oktober 2023 um 20:04 gesendet. Dem Schreiber dieses Berichtes hatte die Pressereferentin Nicola Oberlinger, Schwester von Dorothee, den Besuch der zweiten Aufführung am nachfolgenden Tag angeboten Aber er hatte Karten für Wagners konzertantes “Rheingold” in der Kölner Philharmonie mit hochkarätiger Besetzung und unter Kent Nagano, eine interessante Alternative.
Rezension von Michael Cramer
Aufführung am 17. August 2023
Fotos von Graca Darius Bialjogan