
Weisse Turnschuhe statt “Sneakers” im Theater am Dom
„Turnschuhe“ sagt heute kaum noch jemand, stattdessen heißen sie auf Neudeutsch “Sneakers”. Natürlich auch nicht einfach weiß, sondern farbig gestylt; ebenso ist der „Dauerlauf“ leider vom Jogging erfolgreich verdrängt worden. Aber nicht für die älteren Semester, die sich gesund und aktiv halten wollen; nicht umsonst sagt man „fit wie ein Turnschuh“. Ein gutes Beispiel dafür ist Günther, der mit 75 Jahren in Windeseile seine Wohnung im 5. Stock, von Nachbarn „Matterhorn“ genannt, erklimmt, natürlich gänzlich ohne Verschnaufpause. Und der sogleich im ersten Dialog mit seinem Nachbarn minutenlang einen Hula-Hoop-Reifen um sich kreisen lässt, ohne daß dieser herunterfällt.
Und der dort quasi im eigenen Fitnessstudio lebt, umgeben von allerlei Trimmgeräten, einem Boxsack, und einem Kühlschrank voller Energy-Drinks; sogar ein Schwebebalken ziert das Schlafzimmer (Bühne und Kostüme Jan Hax Halama). Und einem Regal mit lauter weißen Turnschuhen. Natürlich mit total gesunder Kost und ohne Alkohol im rauchfreien Hause. Also eher eine Super Muckibude als eine barrierenfreie Seniorenresidenz. Günther wurde mit heftigem Auftrittsapplaus vom Premierenpublikum begrüßet, handelt es sich doch um Jochen Busse, realiter schon 82 und zum 4. Mal verheiratet. Der beliebte Schauspieler und Entertainer ist in zahllosen TV-Sendungen und auf etlichen Bühnen aufgetreten, und ist tatsächlich top fit, was er mit einer „Kerze“, rückwärts in eine Brücke überführt und mit gleichzeitigem Gewicht von zwei Mitspielern locker beweisen konnte. Und was ihm zu Recht einen heftigen Szenenapplaus einbrachte.
Günthers Sohn Kai (Claus Thull-Emden), ein verwöhnter, geschäftsuntüchtiger und eher schwächlicher junger Mann, der kaum die fünf Treppen zu seinem Vater hoch schafft, hat eine Immobilie, die ihm sein Vater großzügig überschrieben hatte und die dessen Lebensabend finanzieren sollte, bei einem Risikogeschäft verzockt. Somit steht der Papa jetzt ganz ohne finanzielle Absicherung da, jetzt ist der Insolvenzverwalter am Zuge. Aus der Frage, wie man da rauskommt, hat der Erfolgsautor René Heinersdorff eine ziemlich verrückte, fast abstruse Geschichte konstruiert: Günther soll einen Pflegefall mimen, am besten direkt in Stufe 4. Ein handfester, strafwürdiger Versicherungsbetrug, beantragt von Kai, der natürlich ein saumäßig schlechtes Gewissen hat. Aber eine andere Lösung sieht er nicht; so willigt Vater Günther notgedrungen in den Betrug ein. Und hat allergrößte Probleme, vom fitten Oldie zum siechen, schwerhörigen Kranken zu mutieren. Mit im Spiel ist sein sportlicher Sparringspartner Max (ganz prima: Florian Odendahl), der erst mal gar nichts von dem kapiert, was hier abgeht.
Und kaum ist die Pflegestufe beantragt, steht schon Sylvia, die Prüferin der Krankenkasse, vor der Türe (köstlich und resolut: Simone Pfennig). Sie zieht auf einmal einen Kittel an und mutiert zur Pflegerin. Legt Günther einen Schlabberlatz um und kauft Inkontinenzwindeln ein. Und da – aber auch leider – gibt es viel Gelächter, wenn Günther den „eingebildeten Kranken“ spielen muss und total hilflos ist als eigentlich fitter Senior. Aber die Situation eines behinderten Kranken mit der höchsten Pflegestufe ist ein sehr ernstes Thema, mit dem hier etwas leichtfertig umgegangen wird.
Auch die pauschale Beschimpfung der Krankenkasse ist entbehrlich, trotz der vielen komischen Effekte und zündender Dialoge. Wenn Günther zu Sylvia meint, ein Treppenlift wäre prima, aber eher für seinen Sohn, und er selbst würde bei der langen Treppe immer auf der 2. Etage übernachten. Regisseur Urs Schleiff hat hier ein flottes Tempo vorgelegt, man muss schon gut aufpassen, um keinen der zahlreichen Gags zu verpassen. Vor allem die Sprüche von Günther, der sich natürlich als eigentlich sehr Gesunder immer mal wieder verplappert. Wie die Geschichte vom Versicherungsbetrug genau ausgeht, sei hier nicht verraten.
Natürlich geht zu Schluss alles daneben in dieser Farce über Gesundheit, Versicherung, Aufrichtigkeit und Dummheit. Aber die begeistert applaudierenden Zuschauer machen sich vielleicht auch ein paar Gedanken über die hervorragende Güte unseres solidarischen Versicherungssystems. Dann wäre neben der Belustigung der Zuschauer auch diesbezüglich etwas erreicht.
Das ausverkaufte Haus, darunter etliche Kölner Promis, hatte viel Spaß an dem Stück und wurde nach Corona bedingter Pause mal wieder ordentlich beköstigt.



Rezension von Michael Cramer
Fotos: © Jennifer Zumbusch
Aufführungen bis zum 5. November, Dienstag bis Samstag 20 Uhr, Sonntag 17 Uhr.
Tickets: 16 bis 35 Euro, Spieldauer knapp 2 Stunden
Infos: theateramdom.de
Die nächste Premiere: ab 9.November2023

