Theater

Hilfe, ich muss tanzen lernen !

 

 Eine berührende Tanzstunde im Kölner Theater am Dom

Satte 2153 Dollar für eine einzige Tanzstunde – ich glaube, da spinnt jemand ganz gewaltig. Das abstruse und fast unmoralische Gebot kommt von Ever Montgommery, einem frisch prämierten Professor für Geowissenschaften. Er ist in heller Not, denn er muss beim Festakt der Verleihung an der Universität tausend Hände schütteln und viele Menschen umarmen. Und vor allem tanzen können, um mit der Gattin des Rektors den obligaten Walzer zu drehen. Aber da gibt es zwei Probleme.

Zum einen: Ever ist ein Autist mit Asperger-Syndrom und hat noch nie getanzt, da er überhaupt keine körperliche Nähe verträgt – und die ist beim klassischen Gesellschaftstanz ja kaum zu vermeiden.

Das zweite Problem: Die gefragte Senga Quinn, eine Nachbarin aus dem Hause, ist zwar professionelle Tänzerin, aber durch einen Unfall mit diversen gerissenen Sehnen am Fuß so arg gehandikapt, dass sie permanent eine Schiene tragen muss. Und vielleicht nie wieder tanzen kann. Auch diverse private Probleme hat sie; daher lehnt sie zunächst das Angebot von Ever ab, der allerdings hartnäckig ist und nicht locker lässt.

Aber ihre Neugier siegt, und jetzt beginnt ein herrlich komisches, aber auch berührendes Kammerspiel um körperliche Nähe, um Beziehungen, um Sehnsüchte und Gefühle, um den Mut, aus sich herauszukommen. Denn die beiden Seelen haben Macken, und sind im Grunde einsam, wohnen auch alleine. Aber Senga nimmt nach und nach das Heft in die Hand, sie muss sich die Nähe zu Ever vorsichtig erarbeiten.

Der ist als Wissenschaftler hoch intelligent, gerät aber in Panik bei den kleinsten Annäherungen. Eine absurde Situation jagt die nächste, wenn Ever immer alles wörtlich nimmt. Ralf Stech spielt ganz köstlich den trockenen Wissenschaftler, der mit seinen Gefühlen nicht klarkommt; man hat fast Mitleid mit dem armen Kerl. Denn Senga ist eine entzückende Erscheinung, optisch wie mimisch, fast zum Klauen.

Die spritzigen Dialoge der Beiden laufen Schlag auf Schlag, man muss schon sehr gut hinhören beim Gelächter des Premierenpublikums. Hier hat der Regisseur Heinz Kreidl ganze Arbeit geleistet, mit flottem Tempo, ganz ohne Kitsch, aber mit dezentem Humor und spannend bis zum Schluss.

Natürlich kommen sich die Beiden nahe und immer näher, wie es sich auf einer Boulevard-Bühne gehört. Ganz zauberhaft die Annäherungs- und dann die Auszieh-Szene,  erst recht der furchtbar unbeholfene Beischlaf unter einer riesigen Zudecke. Viel Wortwitz gib es zwischen den typischen Stadtneurotikern, aber Regisseur Heinz Kreidl zieht die beiden niemals ins Lächerliche. Im Gegenteil, sie wachsen dem Publikum in den zwei Stunden so richtig ans Herz. Vor allem, wenn dann richtig und in perfekter Kleidung getanzt wird. Geht doch !

Ernsthafter wurde es bei der Frage, ob Senga ihr malträtiertes Bein operieren lassen kann oder will. Denn sie hat ihrer Meinung nach eine Narkose-Allergie. Aber auch dieses Problem löst sich leicht auf; zur näheren Erkenntnis am besten selbst in eine Aufführung gehen.

Entspannt bei der Premierenfeier

„Die Tanzstunde“ ist großes Theater auf kleiner perfekter Bühne (Tom Grashoff), zauberhaft und ernsthaft zugleich, toll gespielt, mit sehr liebenswerten Protagonisten. Das überaus sehenswerte Stück des Amerikaners Mark St. Germain hat in kurzer Zeit die Boulevard-Bretter der Welt erobert. Kein Wunder, daher riesiger Applaus des begeisterten Publikums.

Aufführungen bis zum 14. April 2024

Tickets unter https://theateramdom.de/tickets-abo/karten-bestellen

Gesehene Premiere am 1. Februar 2024

Rezension von Michael Cramer

©Fotos von Jennifer Zumbusch

Ab 18. April 2024

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