Theater

Extrawurst

Mit Schwein ist der Grill versaut

Wer Tennis in einem provinziellen lokalen Club (hier der TC Junkersdorf in einem Kölner Vorort) gespielt hat, kennt die Vorstandssitzungen und ihre Player: vielleicht ein autoritärer, böllernder Vorsitzender, sein listiger und umtriebiger Vize Mathias Scholz (Stefan Schlehenberger), dann ein Spitzenspieler und seine verheiratete Doppelpartnerin und deren zunächst gutmütiger Ehemann. Und natürlich das ganze Tennisvolk, d.h. alle Zuschauer im gut besetzten Kölner Theater am Dom. Denn wir befinden uns mitten in einer Mitgliederversammlung, der Vorsitzende hakt die einzelnen Punkte zügig und nach eigenem Gutdünken ab. Das Pausenlicht im Theater bleibt an und verlöscht erst, als die drei Mitglieder, die mitten im Publikum sitzen, die Bühne betreten. So weit so gut.

Bis zum Punkt „Verschiedenes“. Hier geht es rein formell um die Anschaffung eines neuen großen Grills, da der bisherige völlig verrostet und kaputt ist. Der Vize baut umständlich Leinwand und Beamer auf, um per dürftiger Präsentation den vorgesehenen Turbogrill XXL zu empfehlen. Inclusive diverser statistischer Grafiken und einer Excel-Tabelle zum derzeitigen und früheren clubeigenen Würstchenverbrauch. Alle Mitglieder sollen zustimmen, was auch klappt, bis sich seine Doppelpartnerin meldet.  Sie findet, dass er auch einen eigenen Grill bekommen sollte, da er sein Grillgut als Moslem nicht auf einen Grill legen darf, auf dem auch Schweinefleisch zubereitet wird. Erol Oturan (Parbet Chugh) bekundet sofort, dass das zwar stimmt und er mit seiner Familie diesen Grill nicht benutzen kann, aber dass das für ihn und seine Familie kein Problem ist und er keinen eigenen Grill braucht. Er sei gläubiger Moslem, und Schweinewürstchen seien für ihn nun mal tabu.

Das ist natürlich ein Problem. Oder auch keins. Der Vorschlag, den alten Grill wieder in Stand zu setzen für Würstchen aus Rindfleisch, wird vom Spitzenspieler entrüstet abgelehnt: „Mit Schwein ist der Grill versaut“. Außerdem wolle er keinen Schrott-Grill. „der für die Türken schon reichen würde“. Und einen alten Elektro-Grill des Vorsitzenden, „den noch kein Schwein benutzt hatte“, lehnt der Türke Erol entrüstet ab: „Keine Almosen für notleidende Türken!“.

Es entwickelt sich unter der Regie von Altmeister Volker Schmalöer, der an vielen großen Bühnen inszeniert hat, ein heftiger Schlagabtausch, über oder auch unter der Gürtellinie; man kann sich schon denken, es geht eigentlich nicht nur um die Würstchen. Auch wenn Dr. Herbert Bräsemann (Martin Zuhr), der Ischias-geplagte Vorsitzende, die Diskussion schnell hinter sich zu bringen versucht, um endlich ans kalte Buffet zu kommen. Die Autoren Moritz Netenjakob und Dietmar Jacobs, hoch erfolgreiche TV-Autoren („Pastewka“ oder „Stromberg“)., haben eine schwarze Komödie hingelegt, die sich gewaschen hat

Was zu Beginn des Stücks noch eher witzig daherkommt und viele Lacher produziert, wird zunehmend satirisch, sarkastisch, entlarvend und hochpolitisch. Da soll der Islam auseinandergenommen werden: „Stehen Grillwürstchen eigentlich im Koran“? „Muss ein Grill für gläubige Moslems nach Mekka ausgerichtet werden?“ „Ist Ayran eigentlich eine Säule der islamischen Kultur?“ und: „Ist der Kölner Dom eigentlich höher als die Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld?“ Der Vorsitzende dreht langsam durch, auch weil er meint, dass Demokratie bedeuten würde, daß nach einer Diskussion alle derselben Meinung sind. Folge: Er tritt zurück, sein Vize setzt sich als satzungsgemäßer Interim-Chef schnell auf den freien Sessel und verkündet erst mal eine Pause für alle.

Das gibt dem Publikum Zeit, über das Stück nachzudenken, wo die Argumente im Sekundentakt gewechselt werden. Denn der Abend ist bei aller lustiger Überzeichnung vor allem eins: erschreckend wahr. Wie viele Rechte muss man einer Minderheit einräumen? Gibt es am Grill eine deutsche Leitkultur? Und: sind auch Vegetarier oder Veganer eigentlich eine Glaubensgemeinschaft? Der Konflikt um den Grill ist eigentlich eine Beziehung der Mitglieder, der Atheisten und Gläubigen, der Türken und Deutschen: Es geht darum, wie wir zusammen leben, um die Grenzen von Toleranz und Integration. Da bleibt einem doch oft das Lachen im Hals stecken.

Nach der Pause versucht der zurückgetretene Vorsitzende sich wieder als solcher zu etablieren, bis ein neues Problem auftaucht: Die Eifersucht. Torsten Pfaff (Stefan Brockelmann), Ehemann der erfolgreichen Doppelpartnerin Martina Pfaff (Madeleine Nitsche), verträgt die Erfolge seiner Frau zusammen mit Erol nicht, nimmt die angeblich sehr lange Umarmung (30 Sekunden) nach einem Sieg gar auf Video auf – die Kontrolle auf dem Handy ergab nur knapp 2 Sekunden. Schließlich gibt Erol auf, verkündet, sich längst einen eigenen noch größeren Grill Modell Turbo XXL Super gekauft zu haben. Er tritt als Doppelspieler zurück und dann ganz aus dem Verein aus, auch Melanie und der Vize treten zurück. Nix mit Happy End oder einem Knüller zum Ende, sondern einfach Schluss. Der Vorsitzende lapidar: „Dann müssen jetzt mal andere ran“.

Eines der seit langem besten Stücke im Theater am Dom wurde mit riesigem Applaus gewürdigt, völlig zu Recht, denn die Akteure auf der Bühne haben exzellent und rollentypisch gespielt. Vor allem Parbet Chugh, der das Türkische Mitglied im Verein spielt und als Sohn afghanisch stämmiger Hindus in Hamburg geboren ist, versteht es wunderbar und ruhig, die islamfeindlichen Angriffe des rechts orientierten Vize („Bitte keine Vereinshymne mit Schleier“!) zu widerlegen.

Nach dem Applaus gab es unter den Zuschauern sicher noch viel zu diskutieren, auch wenn die Premierenfeier erneut ausfallen musste.

Spieldauer knapp 2 Stunden,

Täglich außer Montags, bis 10. Juli 2022

Karten: ‭0221 2580153‬

Fotos: Theater am Dom

Rezension: Michael Cramer

Vorschau ab Ende August:

HAUSMEISTER KRAUSE: DU LEBST NUR ZWEIMAL

mit TOM GERHARDT, ANTJE LEWALD, LUANA BELLINGHAUS, STEFAN PREISS und STEPHAN BIEKER

Komödie von Tom Gerhardt und Franz Krause, Regie: Tom Gerhardt