Theater

Werther in Love – Moderne Version des Klassikers

Uraufführung im COMEDIA Theater Köln

Fotos von Christopher Horne

Generationen von jungen Leuten haben unter der unglücklichen Liebe in Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ gelitten – oder auch über das Werk gestöhnt. Sei es, dass sie ganz früher bei identischer Disposition und ähnlichem Lebensschicksal den Titelhelden nachzuahmen versuchten, von der Kleidung mit blauer Jacke, gelber Weste und gelber Hose sogar bis hin zur Selbsttötung bei unglücklicher Liebe. Oder sei es, dass der Roman noch heutzutage im Unterricht der Oberstufe besprochen wird mit der zwangsläufigen Folge eines umfangreichen Referates. Nicht umsonst sind diverse Foren im Netz voll von diesbezüglichen Anfragen und Hilfestellungen. Der Roman ist ja nun auch keine einfache Literatur im Zeitalter von Facebook und Kurznachrichten. Aber wenn er weiterhin zum germanistischen Standardstoff höherer Schulen gehören soll, muss man sich etwas überlegen. Zumal dieser Stoff etwa vierzehn mal und sehr vielfältig in der Literatur „verwurstet“ worden ist; Jules Massenet hat 1887 sogar eine Werther-Oper geschrieben.

Diese Überlegung beschäftigte zwei Herren, den mit 41 Jahren noch jungenhaften Autor und Schauspieler Daniel Ratthei www.danielratthei.de. Er hat Goethes Text in eine spannende Jugendsprache gefasst, quasi eine Collage zusammen mit Original-Teilen des Romans. Und fand in dem gleichaltrigen Kölner Manuel Moser einen im Jugendtheater hoch erfahrenen und vielfach prämierten Regisseur, Dramaturg und Autor.  Hier zum schnuppern:

http://theaterpur.net/theater/schauspiel/2019/01/k-comedia-heldenzentrale.html

http://theaterpur.net/theater/schauspiel/2014/01/koeln-comedia-taksi.html

Und da war es naheliegend, die Uraufführung auf Mosers „Heimatbühne“, dem COMEDIA Theater, in der Kölner Südstadt spielen zu lassen; in dieser stimmungsvollen Location, der denkmalgeschützten Wagenhalle einer ehemaligen Feuerwache mit uriger Gastronomie, wo noch die Stangen aus der ersten Etage für den raschen Einsatz der Brandbekämpfer enden, haben schon viele Stücke auch unter Mosers Regie das erste Licht der Theaterbretter gesehen. Immer motiviert von der künstlerischen Leiterin des Hauses Jutta Maria Staerck.

Nun ist es nicht einfach, diese Geschichte „modern“ nachzuerzählen, denn das Thema „Liebe“ ist stets aktuell. Der naturaffine bürgerliche Werther verliebt sich nämlich unsterblich in die bereits verlobte Lotte. Verzweifelt wechselt er den Wohnsitz, kehrt aber später zurück. Die enttäuschte Liebe quält ihn, er ist verzweifelt. Bei einem Treffen in ihrer Wohnung küsst er sie, sich aber schließt er ein; er schreibt einen Abschiedsbrief und erschießt sich. Diese Geschichte schildert Goethe in zahlreichen Briefen an einen fiktiven Herausgeber. Auf den ersten Blick fast das „Übliche“, allerdings in einer sehr feinsinnigen Sprache. Aber eher nicht für heutige Kids, wie schon erwähnt.

Hier geht es allerdings nicht auf einen Ball, sondern eine schräge Party; die selbstbewusste, schlagfertige Lotte (sehr überzeugend: Laura Thomas) wird von den beiden mit dem Fahrrad abgeholt, will allerdings wegen des Regens lieber ihr Auto nehmen. Man diskutiert, auf einer Kiste sitzend, wer wo mitfährt, kleine Spielchen werden gespielt, Werther, ein Zerrbild von Wilhelm, knutscht mit Lotte und sinniert über ein Zusammenleben mit ihr. Teilweise in ungeordneten Nonsens-Diskussionen, als man ausgeflippt in ein geschlossenes Freibad einsteigen will.

Ratthei hat seinem Werther eine peppige Sprache geschenkt, mit vielen deftigen Ausdrücken, Zoten, Andeutungen. Spiele werden vorgeschlagen – Schnaps am Geruch erraten, jemanden durch Ertasten erkennen, berühmte Figuren nachstellen; übrig bleibt nur Dürers Feldhase. Ansonsten fährt man Fahrrad, Werther hat keinen Führerschein, lebt vegan, gönnt sich ab und zu einen Joint, hat moralische Grundsätze, verabscheut Leute seines Alters, liest viel. Wilhelm (Gareth Charles), der eher Leichtlebige, beschreibt so seinen besten Freund Werther (Maximilian von Ulhardt). Die zwei ganz unterschiedliche Menschen sind dennoch befreundet, bieten eine Projektionsfläche für heutige junge Menschen. Und diese füllten das Theater bis auf den letzten Platz, verfolgten das Stück hoch aufmerksam. Moser hat eine rasante und witzige Inszenierung hingelegt, mit spannenden Dialogen um erotische Begegnungen und um Befindlichkeiten. Hier schmerzt unerfüllte Liebe immer noch wie vor 250 Jahren, aber knallhart: Lotte fragt Werther „Bist du schwul ?“ Er: „Nein“. Wilhelm: „Kommt noch.“

Das Ganze passiert in einer Video-Arbeit von Florian Karner und auf der Bühne von Maurice Dominic Angrés. Eine nach vorne offene asymmetrische Kiste, eine Türe im Hintergrund, auf den Wänden eine flirrende und verwirrende Projektion von geometrischen Figuren, dazu zwei stationäre Trimmfahrräder zur Fortbewegung, eine Kiste als Auto, als Sitzgelegenheit, als Podest. Dazu sehr intensive, aber nicht aufdringliche Musik von Ögünc Kardelen, der bereits andere Produktionen erfolgreich musikalisch unterlegt hat.

Nach 6 Monaten in einer Werbeagentur kommt Werther zurück, aber Lotte ist mit Albert jetzt verheiratet und hat ein Kind: „Ich komme aus dieser Nummer nicht mehr heraus“. Sie versucht den verzweifelten Werther wieder aufzurichten – vergebens. Gegen seine Todesvisionen kommt sie nicht an; ob und wie er sich das Leben nimmt, bleibt im Dunkeln.

Die drei Spieler sind sehr intensiv mit ihren Rollen verwachsen und überzeugen auf der ganzen Linie. Das Stück ist ab 15 Jahre ausgeschrieben, passt aber auch für Erwachsene; für jüngere Zuschauer macht es keinen Sinn. Man merkt die Theatererfahrung von Ratthei am guten Rhythmus in seiner Sprache. Riesiger Applaus des begeisterten Hauses. Und nett: Bei der anschließenden Premierenfeier lagen Bonbons von „Werther Original“ herum, dazu konnte man über einen QR-Code ein originelles Computer-Spiel herunterladen, um den enttäuschten Werther bei Laune zu halten. Toller anspruchsvoller Theaterabend.

 

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