Theater

Taksi to Istanbul – voll krasse Heimatstory

 

Hinweis:

Meine Rezension von der Premiere im August 2015 hatte ich versehentlich nicht online gestellt. Sorry. Die Schauspielerin Sibel Polat, die in dem Stück mitgespielt hatte, ist ab 14.8. in dem Stück „33 Frauen“ (Fem-Fame-Night von Manuel Moser und Sibel Polat) zu erleben.

Das Theater schreibt dazu: „Die Welt ist voll mit Knaller-Frauen. Schon immer gewesen. Sie rocken Politik, Kunst und Wissenschaft. Und ihr Privatleben? Das managen sie selbstverständlich auch noch nebenbei. Im Rampenlicht stehen meistens jedoch die ihre Eier schaukelnden Kollegen.

Schauspielerin Sibel Polat hat die Schnauze voll und räumt die Bühne frei für 33 besondere Frauen. Frauen, die die Welt verändert haben und Frauen, die daran arbeiten die Welt zu verändern. Polat stellt sie und ihre Themen vor, lädt sie ein auf der Studio-Couch Platz zu nehmen und sorgt dafür, dass sie (endlich) den Fame bekommen, der ihnen zusteht.

Jay Leno, Larry King, David Lettermann, Conan O’Brien, Jimmy Fallon? Männer macht Platz für die Host des Jahrhunderts: Sibel Polat. Endlich kommen die wichtigen Themen auf den Tisch eines Formats, das so late at night ist, dass es auch mal Vormittags stattfindet. Polemische Fem-Power mit Menstruationshintergrund.

Bereits durch lange Zusammenarbeit verbunden, inszenieren Manuel Moser und Sibel Polat, das COMEDIA Dream-Team, zum ersten Mal gemeinsam ein Stück. Empfohlen ab 14 Jahre.

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Rezension vom 28.8.2015

Man kennt das: aus einem Buch, einem Film, einem Theaterstück vergrößert sich der Horizont, entwickelt sich eine weiterführende Idee – so geschehen bei dem Schauspieler und Regisseur Manuel Moser. Er hatte mit Hasenland im Kölner COMEDIA Theater sehr erfolgreich ein Stück für und über Kinder unterschiedlicher Kulturen und sozialer Schichten auf die Bühne gebracht. Da lag es nahe, eine zehn Jahre ältere Zielgruppe anzupeilen, die in Deutschland geborenen Jugendlichen in Schul- oder Berufsausbildung mit dem berühmten „Migrationshintergrund“, zumal es dafür kaum geeignete Stücke gibt.

Originell dann die Stoffsammlung: mit einem gelben Gefährt ähnlich einem türkischen Taxi, welches bei der Premiere auch wirksam vor der Tür stand, und ausgestattet mit einer Videokamera tauchten die Theatermacher in den einschlägigen Kölner „Veedeln“ und Straßenzügen auf, ob in Deutz, Kalk, Mülheim, auf der Keupstraße oder in der Weidengasse. Und sammelten die Stories von Jugendlichen, die in Köln leben, mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund und Bildungsstand, befragten sie nach ihren Sorgen und Nöten, nach ihrer Liebe zu Köln oder zum Heimatland ihrer Eltern, nach ihren tatsächlichen und gefühlten Wurzeln. Auch die Kölner Bürgermeisterin Elfi Schof-Antwerpes, Vorsitzende des Fördervereins der Comedia, ist etliche Male mitgefahren; gefördert wurde das Projekt überdies vom Familienministerium NRW.

Herausgekommen ist eine hoch spannende wie anrührende Collage über eine Reise ins „gelobte Land der Väter“, nach Istanbul. Drei junge Schauspieler schälen sich zu türkischer Musik von einer Anlage im Rollkoffer aus einer unregelmäßigen schmalen Holzkiste mit diversen Klappen; sie ist kippbar, wandelbar in ein Haus, einen Reisebus, eine Frittenbude, eine Autobahnraststätte oder einen Eisenbahnwaggon und ist das Heim für die fünfundfünfzigstündige Reise. Sehr praktikabel, da das Stück auch in Schulen oder Jugendclubs gespielt werden soll, wo das Equipment durch eine normale Tür passen muss.

Die Antworten vieler Fragen an die Jugendlichen zur Heimat, zu ihren Wünschen, zu ihren Problemen in der Schule („man muss schlauer und besser sein als die Deutschen“) oder zu den Beziehungen zu ihren Altersgenossen, zu ihrem Gefühlsleben, zur Planung ihres Lebens oder zur Bedeutung ihrer Familie kamen in den großen Theater-Schüttelbecher, bis kurz vor der Premiere wurde immer noch umgestellt.

Der drahtige Faris Metehan Yüzba?io?lu beginnt mit einem Prolog auf türkisch, Harun Çiftçi, hoch gewachsen und mit sonorer Stimme korrigiert auf Deutsch, Faris dann: „Das sag ich doch“. So eng sind die beiden Muttersprachen beieinander wie auch die Kulturen; da wird „Drink doch ene met“ und „En unsrem Veedel“ zu Recht und perfekt auf Kölsch gesungen und dann der Nationaltanz Halay fast zelebriert; das melancholische türkische Lied des Großvaters geht nahtlos über in wilde Rockmusik mit ekstatischem Diskotanz. Alles kein Problem, zwei Kulturen halt, einfach umzuswitchen.

In zahlreichen Rollenspielen – nicht nur Vater/Tochter und Großvater/Kind – wechseln die Drei auf ihrer fiktiven Reise vom strengen bayerischen Zollbeamten zum Imbissverkäufer, vom Busfahrer zum Familienmitglied, zur eigenen Fragen stellenden Identität, zum kritischen Beobachter. Sogar das Autoradio und das Navigationssystem werden gemimt – köstlich. Wunderbar auch das Spiel und vor allem die strahlende Mimik der jungen Schauspielerin Sibel Polat. Alle Akteure haben eine professionelle Ausbildung und bereits umfangreiche Berufserfahrung.

Das voll besetzte Haus, darunter viele Jugendliche im Rahmen eines Schulprojektes, reagierte sehr sensibel mit Heiterkeit und nachdenklicher Betroffenheit, wenn auch manche Passagen vielleicht nicht ganz nachvollzogen werden konnten. Denn Gespräche über die eigene Identität, über Verständnis für die Unterschiede der vielschichtigen Gesellschaft, über das persönliche Schicksal einzelner wie auch über ihre religiöse Bindung sind ja nun keine leichte Kost. Ebenso wie die Heimatlosigkeit vieler Jugendlichen, die hin und hergerissen sind zwischen einem vielleicht streng konservativen Elternhaus und ihrem hippigen Umfeld.

Alle wollen nach Istanbul, „die schönste Stadt der Welt“, um zu sehen, wie es sich dort anfühlt, ob die Familie Recht hat mit ihrer Einschätzung. Und natürlich wurden Andenken an die Heimat, an Köln, mitgenommen; ein Fanschal des 1. FC, ein Käsekuchen, ein Fässchen Bier, die hochgelobte Kölner Müllabfuhr. Wunderbar dann die touristische Reise durch Istanbul mit Fremdenführer, mit der berühmten Hagia Sophia, dem Bosporus, den Gerüchen, den Bäumen und Blumen, der Ruf des Muezzins. Aber es kommt auch schnell wieder die Ernüchterung und die Liebe zur Stadt Köln, wo man geboren ist. Ein schwieriger Spagat: Köln ist meine Heimat, und ich stamme aus der Türkei – oder wie Sibel aus Kurdistan.

Ein großartiges Stück, für deutsche wie für deutsch-fremdländische junge Menschen zum Verbinden der Kulturen, zum Abbau von Vorurteilen, zum Verständnis für die anderen. Dickes Kompliment an die Ideengeber, die Macher und die Ausführenden; zu Recht gab es langen jubelnden Applaus.

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