Theater

Brillant und sehr originell im Theater am Dom: “Die Kehrseite der Medaille”

Waren Sie schon einmal in einem Theaterstück, wo während der Aufführung 86 mal das Licht von hell und wieder auf zartlila umgeswitcht wird ? Dann gehen Sie doch ins „Theater am Dom“, wo aktuell und bis zum 23. April die „Kehrseite der Medaille“ gespielt wird. Der erfolgreiche und umtriebige Theaterchef Oliver Durek müsste eigentlich auch den doppelten Eintritt verlangen, denn man sieht eigentlich zwei Schauspiele; das eine, in dem die Akteure auf der Bühne ihren Text sprechen, und das zweite, wo man ihre Gedanken lesen kann – natürlich nicht wirklich, sie sprechen ihren Text schon laut und vernehmbar. Anfangs immer am Rand trauen sie sich zunehmend auch mitten auf die Bühne und fassen ihre erstarrten Mitspieler gar an. Wie das ?

Der französische Erfolgsautor Florian Zeller hat in seinem Stück von 2016 ein eher selten verwendetes theatralisches Stilmittel eingesetzt – das „A-part-Sprechen“. Der Dialogpartner des Sprechenden auf der Bühne soll nicht mitbekommen, was sein Gegenüber gerade denkt oder fühlt, der Zuschauer aber schon. Er wird quasi ein Komplize des „Denkenden“. Und das hat der Regisseur und Schauspieler Pascal Breuer blendend hinbekommen. Nicht nur durch das exakte Timing mit dem Licht – an dieser Stelle ein Kompliment an die Technik – sondern auch über die Idee, die Bewegungen derjenigen, über die gerade „a-part“ gesprochen wird, quasi „einzufrieren“, mit einem Glas in der Hand, mit erhobenen Händen, bei allerlei Körperbewegungen. Ein großer Heiterkeitserfolg gelang Martin Armknecht als Patrick in seiner Rolle als langjähriger Freund des Hauses, als er in verkrümmter Haltung versehentlich vom Hausherrn angestupst wurde und genauso wie eingefroren vom Sofa fiel. Klasse !

Diese Geschichte kommt in ähnlicher Form auf dem Theater wie im Leben natürlich immer wieder vor, ist aber hier so originell geschrieben, inszeniert und gespielt, dass man über gut 2 Stunden das Grinsen kaum aus dem Gesicht bekommt. Und muss beim Lachen aufpassen, das nächste Bonmot nicht zu versäumen. Zwei alte Freunde, Patrick und Daniel, treffen sich nach einiger Zeit auf der Straße beim Einkauf. Der Kontakt war ziemlich eingeschlafen, da Daniel seine Frau Laurence und beste Freundin seiner Frau Isabel, nach 20 Jahren verlassen hat zugunsten der ganz jungen Gespielin Emma (erotisch und entzückend: Mia Geese), von Daniel verächtlich als „Frischfleisch“ bezeichnet. Emma ist über etliche Castings auf einem eher erfolglosen Weg als Schauspielerin und arbeitet nachts in einer Bar. Dazu Daniel: „An der Stange ?“

Isabel ist schwer sauer auf den alten Freund und lässt ihn das auch reichlich und mit köstlicher Mimik und Gestik spüren. Denn Daniel hatte das frischverliebte Paar zum Abendessen eingeladen, ohne seine Frau zu fragen. Die dann aber gute Mine zum bösen Spiel machte, Partei für die hübsche junge Frau ergriff und ihr sogar ein Kleid aus ihrem Schrank lieh, weil der mit einem Schneebesen Sahne schlagende Daniel ihres versaut hatte. Umziehen musste sie sich eh, denn Anna trug das gleiche Kleid wie sie, nur in einer anderen Farbe. Peinlich, peinlich. Aber auch der blitzverliebte Daniel kann es romantisch, natürlich „a-part“: „Wie Morgentau im Abendrot, bringt sie mein Inneres zum Schwingen“. Denn Daniel ist schwer angespannt „wie ein Schwein vor dem Bolzenschuss“. Und „wenn eine Schraube locker ist, liegt es immer an der Mutter“.

“Alexa“ wird immer wieder musikalisch gefordert, mal mit Beethovens lautstarker „Fünfter“, dann mit der Figaro-Overtüre. Mit einer aggressiven Werbung für Medizin gegen lästigen nächtlichen Harndrang für ältere Männer läuft es allerdings nicht ganz so glücklich.

Nach Außen hin machen alle vier Heitata, unterhalten sich nett und höflich über Banalitäten, aber in ihren Köpfen sieht es ganz anders aus. Daniel, Lektor in einem Verlag, beneidet seinen Freund um Emma, hat selbst erhebliche erotische Anwandlungen, und würde am liebsten über sie herfallen. Denn in seinen sexualisierten Tagträumen tut er alles, was ihm seine Situation eigentlich verbietet. Auch Patrick outet sich über sein verkorkstes Seelenleben und sein neues Dasein mit Anna, ebenso die elegante wie intelligente Isabel, eine Universitätsdozentin, die mit ihrem Eheleben alles andere als glücklich ist.

Ein szenischer Höhepunkt war das „Revierverhalten“ der beiden rivalisierenden „Männchen“ um Emma ähnlich wie bei den Gorillas, mit wilden Schreien, eindeutigen sexuellen Gesten und an die Brust schlagen; das Publikum schrie vor Vergnügen. Auch bei den Sprüchen musste man gut aufpassen. So meckerte Isabel über ihren Mann: „Verdrehe nur Deine Augen, dann findest Du vielleicht Dein Gehirn wieder“.

Und die letzte Bitte an Daniel : „Beschreibe mal Dein Liebesleben in zwei Worten“ und er „Bitte was ?“ Das Premierenpublikum hatte hörbar viel Spaß an dieser gut geölten Gesellschaftskommödie, die von perfekten Dialogen und tollen Schauspielern lebt. Und wenn Daniel seine Frau fragt „Hast Du schon mal an eine Scheidung gedacht?“ und sie „Nein, nur an Mord“, dann denkt mancher Zuschauer vielleicht auch an die eigene häusliche Situation, wenn auch etwas weniger konsequent.

Mit Timothy Peach (Daniel), Alexandra Kamp (Isabel), Martin Armknecht (Patrick) und Mia Geese (Emma). Nicola Tiggeler, im wahren Leben die echte Ehefrau von Timothy Pech, spielt die Isabel ab 28. März.

http://www.theateramdom.de

Premiere am 9. Februar 2023

Fotos: @jenniferzumbuschfotografie

Wunderbare Kostüme und Bühne: Monika Maria Cleres

Aufführungen bis 23. April täglich, Sa und So auch 17:00 Uhr.  Montags geschlossen.

Als Nächstes: 27.04.2023 – 02.07.2023

DAS BRAUTKLEID

mit Oliver Bürgin, Aline Hochscheid, Jenny Kittmann, Makke Schneider
Komödie von Stefan Vögel, Regie: René Heinersdorff

 

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