Auf Herz und Niere – (fast) schwarze Komödie im Theater am Dom
Fotos: Andreas Baethe
Rezension: Michael Cramer
„Den Steinmeier kannst Du nicht mehr fragen, seine Frau hat von ihm schon eine Niere bekommen.“ Eine zentrale Bemerkung über den Bundespräsidenten im neuen Stück „Auf Herz und Niere“ im Theater am Dom, welches der bewährte Hausregisseur René Heinersdorff allerdings etwas geändert hat: der Original-Titel „Die Niere“ klingt ihm zu sehr nach Metzgerei, wie er bei der Premierenfeier verriet. Und „Herz“, sprich „Liebe“ ist im Stück weit wichtiger als die Niere. Auch leicht ergänzt hat er das Stück: Katharina Paul schlüpft als Svetlana in eine Doppelrolle.
v.l. Lara Koy Körner, Katharina Paul, Modell des “Diamand Tower”
Ein klassisches doppelbödiges Boulevard-Theater gibt es im Theater zu beklatschen – wobei sich der zweite überraschende Boden erst zum Ende offenbart, aber hier keinesfalls verraten werden kann. Kathrin (Lara-Joy Körner) und ihr Mann Arnold (Karsten Speck) waren zum gründlichen Checkup beim Arzt, leider mit keinem guten Ergebnis: Er ist kerngesund, aber Kathrin berichtet von ihrer unheilbaren Niereninsuffizienz. Es droht die 2x wöchentliche Dialyse, oder halt ein Spenderorgan nach offizieller Wartezeit von 8 Jahren; Alternative wäre eine gespendete Niere, wenn die Blutgruppen übereinstimmen. Die stimmen bei dem Paar überein mit der zwangsläufigen Frage: „Würdest Du eine Niere für mich spenden ?“ Arnold, ein erfolgreicher Architekt, steht vor einem großen beruflichen Triumph, mit dem „Diamond Tower“ ein großes Hochhaus mitten in Paris bauen zu können; ein beleuchtetes Modell ziert ihr Designer-Wohnzimmer (schicke Bühne und Kostüme von Jan Hax Halama). Dem passt das überhaupt nicht, nicht nur wegen seiner derzeitigen beruflichen Herausforderung, sondern weil er schlichtweg Schiss hat. Es fliegen Begriffe wie Kreatinin und Harnstoff durch die Luft, Arnold mit der Situation völlig überfordert, spricht es aber nicht klar aus, sondern wiederholt gebetsmühlenartig „Ich habe nicht nein gesagt“.
v.l. Urs Schleiff, Karsten Speck
Die vertrauten Freunde Götz (Urs Schleiff) und Diana, eine Apothekerin, wollen den Erfolg von Arnold feiern und erfahren natürlich von dem Problem. Götz bietet sich sofort als Spender an, die jeweiligen Partner Arnold und Diana fühlen sich damit aber überrumpelt. Diana kennt sich bestens aus mit allen schrecklichen Nebenwirkungen, man diskutiert heftig ausländische Nieren und ihre Mutter als potentielle Spenderin. Der feige Arnold fühlt sich durch die Zusage seines Freundes in die Enge getrieben, ist andererseits aber aus dem Schneider. Und Diana findet es unverantwortlich, dass ihr Mann ohne Rücksprache mit ihr eine solche Entscheidung fällt. Es entbrennt ein regelrechter Hahnenkampf um die Niere, bis Kathrin abwinkt: sie suche sich selbst einen Spender.
Die Männer diskutieren, ob eine Nierenspende intimer sei als der Beischlaf, denn wer will schon mit seiner eigenen Niere in die Kiste steigen. Und ohnehin hätten alle Architekten einen Penis-Komplex und sähen in ihren Hochhäusern nur Phallussymbole; Konter von Arnold: „Mein nächstes Projekt wird ein Tunnel.“ In diese Ping-Pong-Diskussion platzt der Anruf des Hausarztes: „Die Laborwerte sind leider vertauscht worden“. Peng und Pause.
In dieser wird vom Premierenpublikum offensichtlich diskutiert, ob man denn nun spenden würde. Und Arnold ist auf einmal der Nierenpatient, windet sich vor vermeintlichen Schmerzen, jault und jammert. Nun stehen alle vor den Scherben ihrer Beziehung, denn weitere Liebesverhältnisse kommen ans Tageslicht. So hat Arnold auch noch ein Verhältnis mit Swetlana, einer Ukrainerin. Die schmeißt sich – Katharina Paul mit anderem Outfit und Perücke – heftig an ihn ran, was ihm offensichtlich nicht ganz geheuer ist. Misstrauisch macht er den „Elchtest“: „Würdest Du mir eine Niere spenden ?“ Sie ist unsicher: „Ich habe doch noch gar nicht nein gesagt“ So schließt sich der Kreis mit seiner eigenen Reaktion auf Kathrins Frage.
Vom Thema Organspende sind derzeit die Medien voll, Autor Stefan Vögel hat hier mit leichter Hand über ein ernstes Thema ein wunderbares und kluges Verwirrspiel geschrieben, nicht zum durchgängigen Lachen, sondern als Baustelle für zwei kriselnde Ehen. Die vier Schauspieler sind absolute Profis, Schleiff und Speck sind bereits mehrfach im TaD aufgetreten: Gutes Timing, brillante Schauspielkunst und blendende Unterhaltung trotz der existentiellen Frage: Was kann man vom Partner verlangen, wenn es um ein wirkliches Opfer geht ?
Entspannung nach gelungener Premiere. Rechts Regisseur René Heinersdorff
Nach knapp 2 Stunden langer jubelnder Applaus nach einem sehr überraschenden Ende und trotz des eigentlich ernsten Themas. Sehr empfehlenswert.