Musik

Moses und Aron in Bonn – 12 Töne und sehr heftig

 

Zwölfton-Musik in der Oper Bonn – um Himmels Willen, doch nicht für mich ! So gab es noch vor der Aufführung in der Bundesstadt zahlreiche Stimmen in den Sozialen Medien, die das Werk total ablehnten, ohne es überhaupt gesehen oder gehört zu haben. Nun ist diese Musik von Arnold Schönberg  für den kulturbeflissenen Musikliebhaber, der Mozart und Verdi schätzt, schon ein wenig fremd. Aber Oper ist ja nun die Synthese von Musik, Gesang, Sprache, Bühnenbild, Kostümen und Schauspiel; damit steht dieses vielseitige Sujet singulär und einzigartig in der Kultur.

Die Story der Oper stammt aus dem Alten Testament, dem Buch Mose, wo Gott Moses anweist, sein Volk aus der ägyptischen Knechtschaft ins gelobte Land zu führen, „wo Milch und Honig fließen“. Nicht ganz einfach, denn in der Wüste lauern vielfältige Gefahren; und gleichzeitig eine monotheistische Religion zu etablieren statt der Vielgötterei in Ägypten. Allerdings ist Moses rhetorisch nicht so fit, daher muss für ihn sein Bruder Aron die Israeliten überzeugen.

Moses geht für 40 Tage auf den Berg Sinai, um mit Gott über die Gebote zu sprechen. Hier passt der nette Witz, wo er bei seiner Rückkehr nach dem Ergebnis gefragt wird. Seine gute Nachricht: Runtergehandelt von 12 auf  10 Gebote. Die schlechte: Ehebruch ist immer noch dabei.

Arnold Schönberg ist 1874 in Wien in ärmlichen Verhältnissen geboren. Er hat autodidaktisch Geige und Komposition gelernt, sein erstes Werk, das Streichquartett D-Dur, war erfolgreich, etliche Kompositionen folgten. Sein einziger Lehrer war Alexander von Zemlinsky. Schönberg begründete die „Zweite Wiener Schule“, schuf die Zwölftonmusik und polarisierte damit die Musikszene. Als Jude emigrierte er 1933 nach USA, wo er 1951 starb. An Moses und Aron begann er in den späten 1920er zu arbeiten, hat den dritten Teil nie vertont. Warum er diesen Teil nicht komponiert hat, bleibt ein Rätsel. Auch hielt er sein Werk lange für nicht aufführbar. Erst 1954, also posthum, erfolgte eine konzertante Aufführung in Hamburg, und 1957 eine szenische in Zürich. Später folgten dann Zürich, Salzburg, Barcelona, Salzburg München, Düsseldorf, Köln und die Ruhrtriennale. Für Interessierte hier eine Auflistung https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=Bi-q_frH1W0

 

Nun ist das Stück sauschwer, insbesondere für den Chor. So schrieb ein erfahrener Chorsänger bei Facebook von seiner „größten musikalischen Herausforderung in seinem Berufsleben“ und der „Einstudierung über Monate“. Dazu kommt, dass zur Verstärkung des Bonner Opernchores der famose Bonner Opernchef Marco Medved das professionelle „Vocalconsort Berlin“ engagiert hat,  welches europaweit erfolgreich auftritt. Von den beiden titelgebenden Akteuren singt nur einer, der Kölner Sänger Martin Koch, als Aron. Er setzt seinen hellen, ausdrucksstarken Tenor ganz hervorragend ein, mit klaren Höhen und akustisch sehr gut verständlich. Die Rolle des Moses ist eine reine Sprechrolle; der Berliner Dietrich Henschel, eigentlich ein Bariton, zeigt eindrucksvoll, wie gut ein Sänger auch sprechen kann. Ein riesiger Applaus schallte durch den fast voll besetzten Zuschauerraum nach diesem spannenden, gewaltigen Kraftakt, der auch für die Zuschauer sehr anstrengend ist.

Mit den Proben begann man bereits 2019; durch Corona war die Arbeit beträchtlich eingeschränkt. Dazu kam der plötzliche Tod des Operndirektors und Chefdramaturgen K.W. Meyer am Ostersamstag 2023, der die Reihe „Focus33“ maßgeblich gefördert hatte; in dieser Serie sollten verschüttete oder verfemte Werke wiederbelebt werden. So auch Moses und Aron.

  Der Regisseur Lorenzo Fiorini, *1972, kommt aus Locarno, ist ausgebildeter Cellist, und hat sich nach seiner beachtlichen Konzertkarriere bei Ruth Berghaus und Götz Friedrich als Opernregisseur ausbilden lassen. Und inszeniert preisgekrönt seither an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen, aber auch in Kopenhagen. Er verzichtete auf Anspielungen zur Entstehungszeit der Oper, ließ zu Beginn einen Dornbusch brennen, aus dem Gott sprach, und steckte seine beiden Helden, ausgestattet wie Kinder, in ein Kasperletheater. Schon etwas verwirrend.

So hat er auch das Goldene Kalb schlichtweg eliminiert, der huldigende Chor singt aus dem Off. Auch der Zauber, bei dem sich ein Hirtenstab in eine Schlange verwandelt, überzeugt das Volk vom Vorhandensein des unsichtbaren Gottes. Ebenso die opferbereiten Greise, die nackten Jungfrauen und die verzückten Jünglinge. Der Regisseur hat bewusst auf Sex- und Gewaltorgien verzichtet, nur eine schmale Kammer ist übrig geblieben, in der Moses die Gesetzestafeln erhalten soll. In der er – ähnlich wie in einer Gummizelle – seinen Frust, seine Phantasien und seine Verzweiflung austoben kann. Nach und nach zieht er sich alle Kleider vom Leib, zerstört die Gesetzestafeln, zertrümmert das Interieur und entdeckt zwei Farbeimer in dem ganzen Gerümpel, beschmiert sich immer wieder mit Farbe und drückt wiederholt seinen Leib gegen die Wände; fast eine halbe Stunde lang. Body-Painting nennen das die Anhänger exzessiver Malkunst. Dirk Kaftan lässt sein Orchester entsprechend komplex und laut aufspielen.

Als er zurückkommt, sieht er die Berge von geopferten toten Israeliten, und rammt sich ein Messer in den Bauch, denn er hat verloren.

Zu den weiteren Protagonisten: neben den beiden Hauptrollen singen sehr beachtlich Tina Josephine Jäger, Tae Hwaan Yun, Mark Morouse, Martin Tzonev, Ava Gsell und Susanne Blattert. Dazu kommen sechs Solostimmen und 7 Chorsoli.

Die Kostüme stammen von Sabina Blickenstorfer, die Bühne ist von Paul Zoller. Das umfangreiche Video ist von Christian Weissenberger.

Die Oper Bonn hat mit dieser an die Nieren gehenden, sehr aufwändigen Inszenierung ganz Großes geleistet, da kann man sich nur tief verneigen. Und hoffen, dass die folgenden Aufführungen https://www.theater-bonn.de/de/programm/moses-und-aron/204473#dates-and-tickets gut besucht werden. Denn: auch wenn man diese Musik nicht wirklich liebt, erlebt man hier ein ganz großartiges, selten gespieltes Musiktheater. Der Rezensent geht auf jeden Fall noch einmal in die Aufführung.

Fotos: ©Sebastian Hoppe

Der Trailer: https://www.theater-bonn.de/de/?mode=repertoire&category=Oper&is_premiere=true&showItems=7

Rezensierte Aufführung: Premiere am 10. Dezember 2023

Text: Michael Cramer

Foto: Michael Cramer
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