Theater

Futur-3: Eine Stadt klagt sich an – aber bitte nicht so !

Alle sieben geplanten Theateraufführungen vor der Premiere bereits ausverkauft – wie denn das? Nun, alles ist relativ, denn in den Gemeindesaal von St. Michael am Brüsseler Platz passen nur 50 Zuschauer, da sie ringsum an der Wand sitzen. Und der reißerische Titel „Eine Stadt klagt sich an“ – gemeint ist natürlich Köln – tut ein Übriges dazu. Die Bürger sind derzeit schon sensibilisiert, jüngst durch das hochpeinliche Chaos um den angedachten Intendanten des Schauspiels, um den Fall Börschel mit einer für ihn neu geschaffenen hoch dotierten Stelle, um Kirsten Jahn von denn Grünen, die ebenfalls einen hervorragenden Job ohne Ausschreibung „unter der Hand“ bekommen sollte. Dazu die Presse: „Das ist Börschel in Grün“. Auch sensibilisiert durch das Theaterstück im Kellertheater „Köln eine Baustelle“, wo lustig und wenig differenziert auf Köln eingeprügelt wird . Da war man schon gespannt, was hier bei „Futur-drei“, einer innovativen und prämierten Theater-Companie, dazu abgeht. Greift hier mit dieser Bezeichnung, die es in der Deutschen Grammatik gar nicht gibt, das „Nomen-est -Omen“- Prinzip ? Etwa die Aussicht auf eine ganz ferne Zukunft und vorgesehen für Ereignisse, die es allerdings nie geben wird? Wie eine perfekte Stadtgesellschaft einschließlich ihrer Führungsriege?

Nun gibt es in Köln viel zu meckern, vom Chaos in der Silvesternacht 2015, über die teure Dauerbaustelle am Offenbachplatz, über den immer noch nicht erfolgten Anbau am WRM, über die schleppende Abarbeitung des Masterplans von Speer, über die ewige Verwendung einer wichtigen Autobahn-Zufahrt als Lagerplatz für Baumaterialen. Abgesehen von der Renovierung des Kalker Tunnels über zwei Jahre mit einer chronisch verstopften Zoobrücke. Und natürlich mit etlichen Missständen in der Verwaltung der Stadt. Nur – gibt es ähnliches auch nicht anderswo ? Es reicht schon der Blick in die kleinen Nachbarstadt Bonn ihrem WBBC-Skandal um die Baustelle des Congress-Centers und das Münster, den Missbrauch am Aloisiuskolleg, das Drama um die Restaurierung der Beethovenhalle – und die Oper kommt ja auch noch dran. Die Leute von Futur-drei haben sich in der Stadt umgesehen und Kölner aus Verwaltung, Politik, Kultur, Kirche und Wirtschaft befragt, woran es in Köln hapert. Und was der Grund sein könnte für „Korruption, Inkompetenz, politische Trägheit und allgemeine Mittelmäßigkeit“, wie es in der Pressemappe heißt?

Eine hübsche Idee ist es zweifelsohne, aus diesen „ Klagepunkten“ eine fiktive Gerichtsverhandlung zu konstruieren. Nach wüsten Beschimpfungen von zwei „Kritikern“ mit einem Kölsch in der Hand über Wildpinkeln und das Verkehrschaos in der Stadt zieht das „Gericht“ ein, zwei ältere Kinder (Hafia Erlen und Thea Kraft), als Symbol für die nachwachsende Generation, im schwarzen Talar, vorbei an einem Pappmodell des Kölner Doms – ohne Türme. Auch hier vielleicht als Hinweis auf einen schlechten Wartungszustand der Stadt, dem sogar die Türme zum Opfer gefallen sind ? Die Verhandlung beginnt, Zeugen schildern die Kölner Schlampigkeit, mokieren sich über die Zweitklassigkeit („aber darin Spitze“). Beklagen die mangelnde Kommunikation, selbst sich wenn die Ämter auf derselben Etage befinden. Vom Kölschen Klüngel gar nicht zu reden (obwohl es den unter anderem Namen in jeder großen Stadt gibt). Allerdings: Die Kölner gehen offen damit um. Ein Vater schimpft heftig über die Probleme, für sein Kind eine passende Schule zu finden, der Chef einer Baufirma hat als Auswärtiger keine Chance auf Aufträge, der Müllverbrennungs-Skandal und das Monopol einer Entsorgungsfirma kommt auf den Tisch. Aktiv und sehr überzeugend sind hier André Erlen als Ideengeber und Motor und die Schauspieler Stefan H. Kraft und Anja Jazeschann reihum als Ankläger, Verteidiger, Erzähler. Dazu passende Livemusik mit Gesang von Maria Sadovska.

Und so geht es ewig in Holzhammer-Manier und ein wenig ermüdend weiter, denn diese „alten Kamellen“, etliche Male durch die Presse genudelt, will niemand mehr hören. Denn geboten wird hier eine unreflektierte Aufzählung ohne Substanz, sozusagen ein Haufen Anklagepunkte ohne Beweise. Provokative Fragen „Wer regiert eigentlich Köln“, „Warum setzt die Verwaltung die Vorgaben der Politik nicht um?“ oder „Wie kommt es, dass ein einziger Verlag die Pressevielfalt in Köln zunichte macht“ mit der Erkenntnis, dass nur die Bild-Zeitung in Köln unabhängig sei ? Die Aufzählung der vielen Punkte (dazu gehört natürlich auch die Korruption, der hohe Krankenstand, der für die Stadt Köln teure Deal mit der Arena und der Garantiemiete für das Parkhaus) ermüdet, die beiden Richter hinter ihrem Tisch sind eingeschlafen. Eine dezente Form der Selbstironie ?

Was neben diesen „Missständen“ überhaupt nicht vorkommt, sind die guten Seiten der Stadt: die fantastische Philharmonie, das wunderbare Gürzenich-Orchester, Oper und Schauspiel, die beide trotz Provisorium ein hervorragendes Programm gestalten, die Freie Theaterszene, Köln als sehr starker Medienstandort, und auch die extrem hohe Auslastung der Lanxess-Arena. Warum werden denn ständig neue Hotels in Köln gebaut, wenn die Konzerne hier keine Zukunft sehen?

Im zweiten Teil geht es schwerpunktmäßig um den Einsturz des Stadtarchivs mit zwei Toten, eine Katastrophe für das Gedächtnis von Köln und des ganzen Landes; die klare Gerichtsstruktur wird jetzt leider aufgegeben. Da wird der ganze Vorgang theatralisch ausführlich erzählt und gespielt, eine Augenzeugin (Anja Jazeschann) schildert hochdramatisch ihre eigene Geschichte, klettert dazu symbolisch auf der Leiter herum. Futur-3, wie bei der Premierenfeier im persönlichen Gespräch zu erfahren war, ist der Meinung, dass die Kölner den Einsturz schon vergessen hätten. Das stimmt nicht ! Und vor allem: Das war die Folge kriminellen Verhaltens einzelner Bauleute und nicht Schuld der Stadt. Die Presse ist ständig voll davon, sei es um die juristische Aufarbeitung, um Gedenktage, um den Status der Wiederherstellung der Dokumente und auch um den fast fertigen Neubau des Archivs. Es hat mehrere Ausstellungen dazu gegeben, so auch von Rolf Escher; der sehr bekannte Künstler hat sich lange in Köln aufgehalten und den Einsturz und die verschütteten Objekte per Zeichnung festgehalten und zu Gunsten des Archivs verkauft. Ebenso tragen Bemerkungen, etwa dass die „gesamte Hohestraße und Schildergasse“ der katholischen Kirche gehören würden, der es nicht um Geld, sondern nur um Macht gehen würde, nicht gerade zur Versachlichung bei.

Nach der Urteilsverkündung per Freispruch zerreißt einer der Richter das Papier: „Wir, die Jugend, zahlen nicht für Eure Schulden“. Und in einem Gänsemarsch schieben sich Anwesenden in den Nebenraum, um in kleinen Gruppen einen ausliegenden Fragenkatalog zu diskutieren und die Ergebnisse schriftlich zu fixieren. Nur 11 Minuten Zeit für ein hoch umfassendes und tiefgründiges Thema: Leider kommen da auch nur Allgemeinplätze heraus. Nur Forderungen, keine Lösungen. Wie sollte es auch.

Futur-drei hat sich hier sehr löblich bemüht, die Probleme einer großen Stadt – Köln nur als Beispiel – mit einer ungewöhnlichen Inszenierung zu artikulieren, sich aber dabei zu sehr in Kritik verrannt und in Masse verheddert. Weniger wäre hier mehr gewesen. Lösungsansätze waren nicht erkennbar, die Zukunft wird ausgespart.

Uraufführung am 6. Februar 2019
www.futur-drei.de
www.freihandelszone.org

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