Musik

Die nackte Wahrheit über die Entstehung des Can-Can – “Offenbach” bei der Cäcilia Wolkenburg

 

Von Michael Cramer

    Jürgen Nimptsch (65) hat gleich mehrere Karrieren hinter sich: die berufliche bis hin zu Schuldirektor, die politische bis hin zum Bonner Oberbürgermeister, eine ehrenamtliche in vielen Gruppierungen und vor allem die künstlerische beim berühmten Kölner Männergesangverein

www.kmgv.de, hier zuletzt als Baas (Intendant) bei der „Cäcilia Wolkenburg“. Das ist die Bühnengemeinschaft des bekannten Chores, die seit 135 Jahren ihr so genanntes „Divertissementchen“, ein komisch-parodistisches Theater- oder Singspiel auf Kölsch in der Kölner Oper bzw. im provisorischen Staatenhaus aufführt unter der strengen Bedingung: Niemals echte Weiber auf der Bühne!

 

So auch 2019, dem 200sten Geburtsjahr des Kölner Sohnes Jacques Offenbach. Selbiges wird ein ganzes Jahr in der Stadt groß gefeiert mit vielen Events, sogar eine Offenbachgesellschafft hat sich extra gegründet www.yeswecancan.koeln; die rührige Claudia Hessel hält hier die Fäden zusammen und freut sich über neue Mitglieder. Nach dem Startschuss in der Philharmonie mit der „Offenbachiade“ nun das „Zillchen“, eingekölscht von „Cäcilia“, eine sehr große und sehr bunte Revue über Leben und Werk des Geburtstagkinds. Und da kommt unser Jürgen groß ins Spiel, denn er spielt und singt den Offenbach über die drei Stunden so lebendig und überzeugend, dass man den echten Jacques vor sich meint. „Amtssprache“ ist eine köstliche Mischung aus Französisch und Kölsch, die aber auch für „Imis“ (Eingewanderte) verständlich ist, zumindest bei der exzessiven Körpersprache der über 100 Mitwirkenden auf der Bühne. Das Divertissementchen ist eine enorme Herausforderung und logistische Meisterleistung, welche der Verein fast ausschließlich mit nur eigenen Leuten stemmt. Da wird über Monate geprobt, nachdem ein neues und passendes Stück ausgesucht wurde – nicht so einfach nach 145 Jahren. Eine immense Menge an Kostümen müssen mit Fantasie gezeichnet und genäht werden, die Bühne muss entworfen und gebaut werden, die Musik arrangiert und eingeübt werden, natürlich auch der Chor, ebenso das traditionelle Ballett und sehr vieles mehr. Da muss man schon den Hut ziehen, bevor man überhaupt ein Eckchen von dem Stück gesehen hat.

Der Kölner Lajos Wenzel, Schauspieler und Regisseur, der lange an der Kammeroper tätig war, hat die Werke von Offenbach und die Stationen seines Leben in Köln und Paris bunt vermischt, nicht immer hart an der historischen Wahrheit, aber sehr bühnen- und stimmungswirksam. Da geht es immer zwischen den beiden Städten flugs  hin und her, denn Offenbach hat in Paris ein Theater, dessen ironische Stücke bei der Konkurrenz Neid erweckt und den Oberen nicht gefallen; er darf nur drei Sänger gleichzeitig auf der Bühne auftreten lassen, so der gestrenge Polizeipräsident, musikalisch unterlegt vom Kriminaltango. Völlig unmöglich. Es sei denn, das geplante Stück bringt den Ordnungshüter zum Lachen.

Natürlich wird reichlich Lokales serviert, über etliche Gläser Kölsch und angefangen von der ewigen Baustelle am Offenbachplatz, wo ein Trupp Arbeiter fröhlich nichts tut und eher dem Schnaps huldigt. „Ein Provisorium hält immer am längsten“, so die Weisheit der Bauleute. Das stimmt und sitzt. Bis hin zum ständig zitierten „Kölschen Grundgesetz“, welches immer passt und sogar die Gäste auf dem Flughafen Köln begrüßt. Als Handlung für das neue Stück ist die Geschichte von „Orpheus in der Unterwelt“ angesagt, aber da Jaques in Paris lebt, will ihn so recht nichts dazu einfallen, zumal er keine Kohle und Ärger mit seinen Mitarbeitern hat. Und wo findet man einen guten Stoff? Natürlich in seiner Heimatstadt Köln, und zwar in einem Brauhaus: dort entsteht die erste Operette der Welt. Dazu kommt die inspirierende Musik von den „Bergischen Sinfonikern“ aus Wuppertal zusammen mit den „Westwood Slickers“, einer Bonner Dixie-Band; alles musikalisch perfekt  zusammengehalten von Bernhard Steiner. Mit immer wieder stimmungsmachende Ohrwürmer: Willi Ostermann, die Piaf, Queen, auch Tschaikowski, Queen und die Black Föös lassen grüßen. Und immer wieder Melodien aus  „Hoffmanns Erzählungen. Komplett  arrangiert von Thomas Guthoff.

Die Geschichte wird von vielen amüsanten Details umrahmt: Offenbach´s Mama macht mit ihrer Damenriege „Arthöschen“ wegen ihrer Krampodere“ eine Kneippkur aus dem Eimer und hebt beim Wassertreten die Röcke „He deit et wieh“: das ist die historisch zwar nicht verbürgte, aber überzeugende Geburt des Cancan in Zeitlupe. Eine entzückende Idee. Auch die „Tour de France“ dreht ein paar Runden über die Bühne. Natürlich lässt sich auch das traditionelle Männerballett nicht lumpen, darunter der KMGV-Präsident Gerd-Kurt Schwieren, seines Zeichens Optiker in Köln: nicht mehr ganz jung, und seit 50 Jahren dabei, mit einer reizenden und zugleich zwerchfellerschütternden Tanzshow.

Klar ist: alles geht gut aus. Denn Ehefrau Hermine hat bei ihrer Kur in Bad Ems die Frau des Kaisers kennengelernt und ihr in Kölscher Klüngelmanier von dem Problem erzählt. Die Folge: der Kaiser wollte das Stück unbedingt selbst sehen, und zwar im Pariser Theater. Alle jubeln, die Zeitungen überschlagen sich, und Kölner feiern ihren großen Sohn Jacques Offenbach. Das Divertissementchen hat erneut einen rundum perfekten Abend auf die Bretter des Staatenhauses hingelegt, mit erstaunlich guten Stimmen der Laiensänger, mit sehr schwungvoller Musik, und viel lokaler, ans Herz gehender Kölscher Folklore, die beim einen oder anderen sicher ein paar Tränchen hervorgerufen haben dürfte. Alle Vorstellungen bis zum 5. März sind fast ausverkauft, aber vielleicht findet sich noch eine sehr lohnende Eintrittskarte.

Fotos von Heinz Unger

Kommentare deaktiviert für Die nackte Wahrheit über die Entstehung des Can-Can – “Offenbach” bei der Cäcilia Wolkenburg