Musik

Spielzeit-Abschluss-Konzert im Tanzbrunnen

Wer schon einmal in einer spanischen Arena einen Stierkampf verfolgt hat, wird sich vielleicht erinnern, dass auch als Kriterium für die Preise die Besonnung existiert: „Sol“ oder „Sombra“, Sonne oder Schatten. Das hätte man sich auch beim „Open Air“ 2023 am benachbarten Tanzbrunnen gewünscht, denn es war brüllend heiß auf den Sonnenplätzen, aber leider ohne jegliche Preisreduzierung. Wenn auch der Intendant Hein Mulders in seiner charmanten Art das schöne Wetter lobte – aber er saß immerhin im Schatten, ebenso das Gürzenichorchester. Nun kann man das Wetter langfristig nicht voraussagen, aber es wurde unter den Stammbesuchern gemurrt, warum man das Konzert nicht wie üblich um 19:30 beginnen lässt. Die Pressechefin Meike Becker bestätigte dies auch im privaten Plausch. „Schaumermal“ in 2024. Wobei die Frage ist, ob wegen des geplanten Umzugs (hoffentlich) an den Offenbachplatz diese Location noch Sinn macht.

Nun, die Veranstaltung war musikalisch dermaßen superb, dass offensichtlich niemand das Areal verließ, auch nicht während der Pause. Denn hier hatten die Fans Gelegenheit, ihre Kölner Opernlieblinge zwar leicht geschminkt, aber ohne Kostüm und Requisiten „life“ zu erleben. Mit zwanzig Nummern über 2 Stunden ein umfangreiches Programm, von der Dramaturgin Svenja Gottsmann entzückend und kompetent moderiert. Wer noch mal genau nachlesen möchte: das komplette Programm steht im Anhang.

Los ging es mit dem Tenor Insik Choi, ein Spross des Kölner Internationalen Opernstudios. Er begeistert seit Jahren mit anspruchsvollen Rollen und einer unglaublichen Stimme, hier mit der Rolle des Tonio aus Leoncavallos „Pagliaci“. Und dem passenden Ruf „Andiam. Incominciate!“ „Los, gehen wir und lasst uns beginnen“. Der nächste Knüller war ein Gastsänger, aber was für einer. Der farbige amerikanische Countertenor Key´mon W. Murrah, vielfach ausgezeichnet und inzwischen auch am Nationaltheater München engagiert, brillierte in einer Rossini-Arie der ägyptischen Königin Arsace, eigentlich eine Frauenrolle. Aber Murrah demonstrierte mit mächtigem Sopran eindrucksvoll die Kunst damaliger Kastraten; vor der Pause auch noch mit Rossinis Aris der Anne „Riedi l soglio“aus „Zelmira“.

Der langjährige Publikumsliebling Wolfgang Stefan Schwaiger und Lucas Singer überschlugen sich fast mit dem rasenden Tempo im Duett „Cheti cheti immantinente“ aus Donizettis „Don Pasquale“; aus seiner Feder stammt auch der Ohrwurm „Una furtiva lagrima“, fast geschluchzt vom Koreaner Seunglick Kim. Sein prächtiger Tenor ergänzte das Trio mit Dmitry Ivanchey und Young Woo Kim zu einer musikalischen Persiflage von Verdis „La Donna é mobile“, in Erinnerung an die großen Pavarotti/Carreras/Domingo, alle mit weißen Taschentüchern. Die Oper Köln kann ihre Tenöre sehr gut vorzeigen; bei der Gelegenheit fragt man sich, woher die Koreaner nur so vorzügliche Sänger haben. So ließ Young Woo Kim als Cavaradossi in Puccinis „Tosca” die Sterne imponierend leuchten.

Enrico Delamboye, Erster Gastdirigent des WDR-Funkhausorchesters, erwies mit den herrlichen Gürzenichs, dass ihm auch die Oper sehr liegt. Die zackige präzise Ouvertüre aus Rossinis „Barbier“ und der Beginn des zweiten Teils mit „La Boda de Luis Alonso“, einem Zarzuela-Konzertstück von G. Gimémenz, zeigten eindrucksvoll, dass die Musiker keinesfalls „urlaubsreif“ waren. Weiter ging es mit Verdis großer Arie der Eboli „Nel Giardino“ in „Don Carlo“, gesungen von der hoch geschätzten Kolumbianerin Adriana Bastidas-Gamboa; an ihren dunklen, erotisch aufregenden Mezzo in der „Carmen“ erinnert man sich gerne. Natürlich musste sie daraus später auch die „Habanera“ singen. Die beiden Koreaner Seungjick Kim und Young Woo Choi durften auch noch einmal ran in selten zu hörenden Arien der Spanier Pablo Sorozabál und Moreno Tarroba und dem Ohrwurm „Toréador“, natürlich auch aus der „Carmen“. Leider nicht dabei war der beliebte Bariton Matthias Hoffmann zum Verabschieden; er singt jetzt in seiner alten Heimat Leipzig und aktuell in Bregenz. Auch nicht schlecht. Auch KS Miljenko Turk war anderweitig engagiert.

Kein Opernkonzert ohne die amerikanischen Klassiker. In mehreren Nummern aus Bernsteins „West Side Story“ konnte die hoch geschätzte Kathrin Zukowski zusammen mit ihren Kollegen ihre große Qualifikation demonstrieren, mit „America“ und allen Solisten endete ein begeisterndes Opernkonzert als Abschluss der sehr erfolgreichen Spielzeit 22/23. Dass beim begeisterten Applaus mit dem „Brindisi“ aus der Traviata und dem „Galop infernal“ des Kölners Jaques Offenbach noch Zugaben erklatscht wurden, ist klar. Und natürlich dachten alle an den Offenbachplatz, wo in der übernächsten Spielzeit die Oper wieder spielen soll. Hoffentlich. Aber immerhin sitzt die Presseabteilung schon dort. Und der Schreiber dieser Zeilen hat noch die originalen Eintrittskarten für die angedachte Premiere. Ob die wohl noch gültig sind ?  Dazu ein älterer Bericht über die dramatische Verschiebung der Eröffnung: https://www.kulturcram.de/2022/07/baustart-und-der-oberverantwortungshut/

Bericht von Michael Cramer

Fotos von © Teresa Rothwangl

1) R. Leoncavallo – Pagliacci – Prologo di Tonio „Si può?“ (Choi)                                                              [5‘30]
2) G. Rossini – Semiramide – Aria Arsace „Ah quel giorno ognor rammento“ (Murrah)                          [5‘30]
3) G. Donizetti – Don Pasquale – Duetto Pasquale-Malatesta „Cheti cheti immantinente“                     [6‘00]
(Schwaiger – Singer)
4) G. Donizetti – L’elisir d’amore – Aria di Nemorino „Una furtiva lagrima“ (Seungjick Kim)                   [4‘00]
5) G. Verdi – Rigoletto – Aria Duca „La donna e mobile“                                                                              [3‘00]
(Three Tenors: Ivanchey, Young Woo Kim, SeungJick Kim)
6) G. Verdi – Don Carlo – Canzone del velo Aria Eboli „Nel giardin del bello saracin ostello“                [4‘50]
(Bastidas-Gamboa + Zukowski als Tebaldo)
7) G. Rossini – Il barbiere di Siviglia – Sinfonia (rev. Zedda-Ed. Ricordi)                                                   [7‘30]
8) G. Puccini – Tosca – Aria Cavaradossi „E lucevan le stelle“ (Young Woo Kim)                                            [3‘00]
9) G. Rossini – Zelmira – Aria Anna „Riedi al soglio“ (Murrah)                                                                     [7‘00
10) G. Giménez – La boda de Luis Alonso – Intermedio (Orchester)                                                         [5‘30]
11) P. Sorozabál – Ta tabernera del puerto – Aria Leandro „No puede ser“ (Young Woo Kim)             [3‘30]
12) F. Moreno Torroba – Maravilla – Aria Rafael „Amor, vida de mi vida” (Choi)                                     [3‘00]
13) G. Bizet – Carmen – „Habañera“ (Bastidas-Gamboa)                                                                            [4‘30]
14) G. Bizet – Carmen – Toréador Choi                                                                                               [3‘00]
15) L. Bernstein – West Side Story – „I feel pretty“                                                                             [3‘00]
(Zukowski + Bastidas-Gamboa, Murrah, Isene)
16) L. Bernstein – West Side Story – Duo „Tonight“ (Zukowski/Ivanchey)                                     [5‘00]
17) L. Bernstein – West Side Story – Ensemble „America“                                                               [5‘00]
(Murrah, Bastidas-Gamboa und alle Soli)
18) G. Verdi – La Traviata – Brindisi „Libiamo, ne‘ lieti calici“                                                                       [3‘30]
(Young Woo Kim, Kathrin Zukowski, alle Soli verteilen über Stimmen)
20) J. Offenbach –  Orphée aux Enfers – daraus: Galop infernal (Can Can) (Orchester + alle Soli)                 [2‘30]

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