Don Giovanni in Duisburg: Bauernhochzeit aus dem Totenreich
Von Michael Cramer
Statt mit Musik startet es auf der Duisburger Bühne per Höllen-Gewitter und kräftigen Donnerschlägen, eine frühe Ankündigung der Todesfahrt des ewigen Wüstlings? Die Ouvertüre beginnt dann eher gemächlich, so hat man Muße, eine ungewöhnliche Bühne (Roy Spahn) auf sich einwirken zu lassen. Gediegene Hotelhalle mit klassischem Dekor, Ledersofa und Restauranttisch, reichlich schräger Fußboden, beherrschende schiefe raumfüllende Bilderrahmen mit historisch nummerierten Zimmertüren, die hochgezogen den Blick auf weitere Rahmen und einen tüllverhangenen Hintergrund und Personen ermöglichen. Dazu ein durchscheinender Vorhang mit dem Böcklin-Bild „Odysseus und Kalypso“, welches später in mehrfacher XXL-Version die Hotelwände verhüllen wird. Schon ein wenig gruselig, man durfte gespannt sein.
Vor Zeugen im Restaurant verführt
In das Foyer kommt unterdessen von draußen ein vom Regen klatschnasses Pärchen, aktuell und schlicht gekleidet, wird von einem livriertem Kellner alias Leporello bedient. Es ist Augenzeuge beim nachfolgenden Meuchelmord am Komtur (der Lette Roman Polisadov beeindruckt mit voluminösem Bass), hilft dessen Leiche zu beseitigen und lümmelt sich – etwas nervig für den Betrachter – rat- und ziellos in der Szene ‘rum, um sich dann nahtlos als Zerlina und Masetto zu entpuppen. Aber nicht in gewohnter bäuerlicher Umgebung, sondern mit einer Schar von altertümlich weiß gekleideten, temporär erstarrten Zeitlupen-Zombies – verflossene Liebschaften des Frauenhelden? Ein Sonderlob hier Mechthild Seipel für ihre Kostüme sowie der Choreografie und Chor-Einstudierung (Gerhard Michalski).
Das Bild von Arnold Böcklin scheint für die international erfolgreiche Regisseurin Karoline Gruber, die in der vergangenen Spielzeit mit der Barockoper Platée von Jean-Philippe Rameau bereits einen außerordentlich erfolgreichen Einstand an der Deutschen Oper am Rhein hatte, der Dreh- und Angelpunkt ihrer vielschichtigen und tiefgründigen Interpretation des ewigen Klassikers zu sein. Kalypso, langjährige Geliebte des schiffbrüchigen Odysseus, muss ihn auf Geheiß von Zeus zurück zu seiner Frau Penelope ziehen lassen; so beschreibt es Homer in seiner Odyssee. Kalypso schaut mit heruntergezogenen Mundwinkeln ihrem Geliebten hinterher, der sich abwendend ein fernes Ziel zu fixieren scheint; nix ist mehr mit Amore.
Ein eher bürgerlicher Maskenball
Gruber hat eigentlich eine Frauenoper inszeniert, sie interessiert sich primär dafür, was Giovanni bewirkt und wie weit seine Energie die Figuren, speziell die Damen um ihn herum verändert. Er ist das Objekt weiblicher Begierde, weniger der Eroberer. Dazu passt, dass er, statt Masetto zu verprügeln, es gar mit dem überraschten Ottavio treiben will; auch Handfesseln und Striemen auf dem Rücken von Leporello sprechen eine eindeutige Sprache über Kräfteverhältnisse und mögliche körperliche Beziehungen.
Die amourösen Begierden der Frauen zeigen sich nicht nur darin, dass Gruber die Anna den Giovanni im Hintergrund lasziv – und von Statisten überzeugend gemimt – verführen lässt, während diese ihre Wut auf den Frauenheld heraussingt und ihren Verlobten um Hilfe anfleht. Ebenso gerät der auf der Bühne gar nicht praktizierte Kleidertausch zur Demonstration der erotischen Begierde der Elvira. Sie weiß, es ist nicht Giovanni, sondern nur sein Diener, der sie da befummelt; egal, die Hormone fordern ihren Tribut. Selbst zur Verabredung mit dem Komtur gibt es nichts zu essen; statt dessen scharwenzeln alle Verflossenen einschließlich Zerlina brautgewandet und begehrend um Giovanni. Keine hat aufgegeben, alle wollen ihn immer und ewig. Ob Gruber damit militante Feministinnen gegen sich aufbringt?
Zwei gegen einen verbündet
Und das Gute daran ist: Der ewige Verführer bleibt ihnen erhalten. Der Komtur in papstähnlich abenteuerlicher Montur zwingt nicht nur Giovanni, sondern das gesamte Ensemble zu Boden, nachdem er ihnen segnend ihre erotischen Sünden verziehen hat. Sie dürfen weiterleben, aber ob sie ihre Versprechungen im Schlusssextett tatsächlich halten, darf bezweifelt werden. Denn Giovanni lebt weiter, real oder als Figur der Begierde, ist niemals tot zu bekommen, er schleicht zwischen den Akteuren herum und verschwindet im Hintergrund, wo die nächste Braut schon wartet. Eros und Tod sind dicht beieinander.
Musikalisches Highlight des Abends waren die verflossenen Damen des Giovanni. Sowohl die Russin Olesya Goloneva (Donna Anna) wie auch die Donna Elvira der Ukrainerin Natalya Kovalova glänzten mit überzeugender Darstellung und großen Stimmen; ihre Solonummern gerieten zum Triumph: Tolle emotionale Oper mit langem Arienapplaus. Die Herren Giovanni (aus Lettland: Laimonas Pautienius) und Leporello (Adam Palka aus Polen) fielen dagegen ein wenig ab. Wenn auch sängerisch und szenisch durchaus ansprechend, fehlt es ein wenig an Bühnenpräsenz, stimmlichem Volumen und Schwärze. Auch den Verführer nahm man dem Giovanni nicht ganz ab, trotz durchsichtigen Netzhemds und Zopf. Und: Warum müssen Leporello sein Registerarie teilweise im Sitzen singen und Giovanni zur – von Mozart gar nicht so genannten – Champagner-Arie Masken durch die Gegend werfen? Im Ensemblegesang hatten die Damen ganz klar die Nase vorn, aber das passte ja –wenn auch unfreiwillig – ohnehin zur Inszenierung.
Keine Vergebung der Sünden
Corby Welch (Don Ottavio) gestaltete überzeugend eine tragisch-einfältige Figur, ein Corps-Student bürgerlicher Normalität. Sein lyrisch weicher, runder Tenor begeisterte durchgehend, herrlich in seiner großen Arie „Il mio tesoro“; ein weiterer Ohrenschmaus des Abends. Zerlina (Alma Sadé, Israel) glänzte mit hellem, durchsichtigem Sopran und Spielfreude, Torben Jürgens als Masetto sang und spielte ordentlich, ihm hätte aber etwas weniger Bescheidenheit gut getan.
Das Orchester unter dem früheren Ersten Kapellmeister Friedemann Layer schlug sich zwar wacker, glänzte oftmals durch Dynamik, Verve und schöne Holzbläser, zeigte aber auch etliche Wackeleien, Unschärfen und Tempo-Inkoordination mit der Bühne. Sensibel begleitend das Continuo mit Friedemann Pardall am Cello und Mathew Ottenlips (Hammerklavier).
Dem trotz des EM-Deutschlandspiels vollen Hause gefiel die Premiere uneingeschränkt, wie es zahlreicher Arienapplaus und langer stehender Schlussbeifall mit Bravos eindrucksvoll demonstrierten.
FAZIT
Eine hoch spannende, mit zahllosen Regieeinfällen gespickte, schlüssige Inszenierung, die zwar recht locker, aber nachvollziehbar mit Personenführung des Librettos umgeht. Musikalisch und sängerisch durchaus anspruchsvoll, bleibt der Geist der Mozart´schen Intention gänzlich erhalten, wenngleich es Widersprüche geben dürfte. Auf jeden Fall sehr sehens- und hörenswert.
Musikalische Leitung: Friedemann Layer
Inszenierung: Karoline Gruber
Bühne: Roy Spahn
Chor der Deutschen Oper am Rhein
Duisburger Philharmoniker