Vom Fischer und seiner Frau in der Kinderoper Köln
Jazzoper in einem Aufzug
Libretto von Barbara Haas nach dem Märchen von Philipp Otto Runge
Musik von Ingfried Hoffmann
Auftragswerk der Kinderoper Köln
Empfohlen für Kinder ab 4 JahrenAufführungsdauer: ca. 1h 15′ (keine Pause) Wiederaufnahme in der Kinderoper Köln im Alten Pfandhaus am 23. Juni 2012
(Premiere: 16.05.2010)
Jam Session mit Butt und Ilsebill
Von Michael Cramer
Die blau-silbrige Wasserfläche im Oval des „Alten Pfandhauses“, perfektes Übergangsquartier der Kinderoper bis zur Fertigstellung in den „Alten Opernterassen“, erscheint so echt, dass sogar manche Erwachsene Hemmungen haben, darauf- bzw. hineinzutreten. Doch wohl nicht etwa Folge eines Rohrbruchs beim naheliegenden U-Bahn-Bau? Keinesfalls, in der Kulisse der Kinderoper Vom Fischer und seiner Frau jazzt, klingt und singt es aus dem Meer, von der Küste und von einem maroden Holzsteg quer über die Bühne (Conrad Moritz Reinhardt), wo ein Fischer einen veritablen Butt gefangen hat, den er aber als verzauberten Prinzen wieder hat schwimmen lassen. Seine gierige Frau Ilsebill nutzt die Gelegenheit und befiehlt ihrem Mann, sich immer mehr vom Butt zu wünschen, erst Reichtum, dann König, Kaiser, Papst und schließlich Gott zu sein, um Sonne und Mond aufgehen lassen zu können. Und natürlich jedes Mal passend gewandet im entsprechenden Ambiente wohnen zu können; für Maike Raschke, die mit ihrem glockenreinen, ausdrucksstarken Sopran zunehmende Habgier und nachfolgende Einsicht und Zufriedenheit darzustellen vermag, ein wahrer Umkleide-Marathon. Bühnenarbeiter stülpen wie bei einer russischen Babuschka-Puppe immer größere Häuser und Schlösser übereinander, für die Kinder ein optisch notwendiger Kontrast zu unsichtbar automatischen oder digitalen Abläufen im Fernsehen. Der ganz große Vorteil solcher Aufführungen für die Kultur-Konsumenten von morgen ist der Live-Effekt, man sieht und hört Musiker und Sänger aus ganz kurzer Entfernung, wird sensibel für die Mühe, die dahinter steckt, und das Medium Theater und Oper, welches jedes Mal neu entsteht, ganz im Gegensatz zur immer verfügbaren Konserve.
Ein verwunschener Prinz an der Angel
Der Butt erfüllt zwar alle Wünsche sofort, aber die Natur reagiert heftig mit fauligem Wasser, hier allerdings nur mit großen Mengen Theaterqualm, von den Kids ehrfürchtig bestaunt. Auch die Fischwelt in Form von Krabben, Kraken, Quallen und einem alten Knurrhahn, von Elisabeth Vogtseder entzückend gewandet, beklagt die Maßlosigkeit des Menschen, ihr Leben und ihre Angst, vom Menschen gefangen und aufgegessen zu werden. Der letzte Wunsch der Ilsebill war dann doch zu viel: der Butt lacht schallend, Ilsebill sitzt wie früher in ihrer armseligen Behausung, hat aber eine Lehre aus ihrer Habgier gezogen, liebt ihren Mann und ist endlich zufrieden mit ihrem Leben. Der Butt wird wieder zum Prinzen mit schicker Sonnenbrille, die Meeresbewohner sind glücklich, ein turbulenter Tanz entlässt das rhythmisch klatschende und schnipsende Publikum euphorisch in den Alltag der Kölner Südstadt zurück.
Philipp Otto Runge schrieb das Märchen 1806 in vorpommerischer Mundart, es diente später den Brüdern Grimm und auch Ludwig Bechstein für sein „Deutsches Märchenbuch“ als Vorlage; die Deutsche Post gab sogar eine Briefmarke mit dem Fischer und seiner Frau auf dem Thron heraus. Ingfried Hoffmann, Alt-Jazzer und vielfältiger Komponist und Arrangeur (Phantom der Oper, Sesamstraße, Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt) erhielt den Kompositionsauftrag von der Kinderoper, die unter der Leitung von Elena Tzavara bewusst kindgerechte neue Werke einsetzt. Zusammen mit dem Libretto von Barbara Haas ist eine veritable Jazz-Oper herausgekommen, mit Bigband-Sound, Blues- und Rock-Elementen, Latin, Dixie und auch sanften melodiösen Passagen. Exzellent dargeboten von einem knackigem Profiteam unter dem präzisen Dirigat des jungen Jazz-Pianisten Samuel Hogarth, der das Publikum vorab mit einer angeblich noch notwendigen Probe überraschte: rhythmisches Klatschen und Lalala für den großen Abschlusstanz. Auch eine Polonaise der Musiker über die Bühne und mitten durchs Publikum nahm eventuelle Berührungsängste. Wunderbar.
Ilsebill – immer mehr will sie
Die Geschichte ist im Gegensatz zu vielen eigentlich grausamen Märchen recht sanft, es gibt weder Blut im Schuh noch vergiftete Äpfel. Die Textverständlichkeit war ausgezeichnet, nicht nur weil – wegen der lauten Instrumente – Mikrofone benutzt wurden, sondern der durchaus guten Aussprache der nicht deutschen Sänger. Dennoch ist Habgier des Menschen und Raubbau an der Natur für Kinder anhand dieses Stückes natürlich noch kaum erkennbar. Aber es ist leicht zu vermitteln, wohin im Kopf das Verlangen nach einem immer besserem Handy, Fahrrad oder PC führen kann, nämlich zur Nicht-Zufriedenheit. Die Erfüllung von Wünschen führt nämlich zu immer neuen Wünschen, das kann man auch Kindern erklären, die wie die Erwachsenen unter werbender Dauerberieselung stehen. Vielleicht ja ein Stück Erkenntnis fürs Leben. Das erhofft sich auch die Regisseurin Elena Tzavara, jüngst hoch gelobt für die Jugendoper Border und selbst Mutter eines knapp schulpflichtigen Sohnes, die das Stück mit leichter Hand, aber auch mit viel Wärme und feinen Nuancen in Szene gesetzt hat.
Happy end- der große Freudentanz
Gustavo Quaresma mit lockerem, jugendlich strahlendem Tenor, ist ein hübscher Kerl, der das Mitgefühl der Kinder auf sich zieht, er leidet unter der Habgier seiner Frau, traut sich nicht zu widersprechen, und ist am Schluss so froh, dass alles gut ausgegangen ist. Den Butt in langem goldglänzend geschupptem Ornat spielt und singt SévagTachdijan, hoch gewachsen und mit herrlich volltönendem Bariton, zappelt er an der Angel, zwängt sich unter den Steg und glänzt als schicker Prinz. Die Meeresbewohner, unter ihnen erneut der Opern-Oldie Werner Sindemann, agieren zunächst quasi unter Wasser hinter einem blauen Netz-Vorhang, um sich dann später auch offen zu zeigen, mit langen Kraken-Armen, Quallen-Tentakeln oder einer fetten Krabbe auf den Kopf. Fantasiereiche Kostüme für eine hervorragende engagierte Sängerschar.
FAZIT
Sehr empfehlenswertes Jazz-Musical einer alten Geschichte mit fetzigen Klängen und jugendlichen Stimmen des Kölner Opernstudios, wahrlich nicht nur für Kinder. Erfrischend in Szene gesetzt, nicht nur unterhaltend, sondern mit Lernfaktor für unseren oft zu verwöhnten Nachwuchs.
Musikalische Leitung: Samuel Hogart
Inszenierung: Elena Tzavara
Kostüme: Elisabeth Vogetseder
Jazz-Ensemble „Altes Pfandhaus“