Musik

Rusalka – Märchenhaftes auf dem tiefen Grunde des Gewässers

 

Sehr eindrucksvolle Inszenierung, tolle Sänger, überzeugendes Orchester

Von Michael Cramer

Chronischen Nörglern an der Oper Köln sollte man die aktuelle Produktion „Rusalka“ von Antonin Dvorák als Pflichtveranstaltung vorsetzen und anschließend über die Qualität von regelmäßig verpflichteten Sängern in Köln, über das Gürzenichorchester und den nicht vorhandenen Orchestergraben, und vor allem über die szenischen Möglichkeiten im so oft gescholtenen Staatenhaus diskutieren. Längstens nach der spektakulären Inszenierung von Zimmermann´s „Soldaten“ oder der „Turandot“ hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man die enorme Breite und Tiefe der Bühne auch ohne Schnürboden hervorragend nutzen kann, so jüngst eindrucksvoll in „Rualka zu erleben. Der Bühnenbildner Ulrich Leitner hat hier den Boden eines Gewässers dargestellt, Fischkadaver liegen herum, Nebelschwaden und sprühendes Wasser erfüllen die Szene, eine riesige Welle scheint von hinten wie ein Tsunami die ganze Szene zu überspülen; alles stimmungsvoll und ergreifend von Nicol Hundsberg beleuchtet.

„Rusalka“, die tschechische Nixen- und Märchenoper, wurde tatsächlich noch nie in Köln gespielt; schon sehr erstaunlich. Das knapp 200 Werke umfassende Oeuvre des Tschechen umfasst neben großen Sinfonien, darunter der Ohrwurm „Aus der Neuen Welt“, auch zehn Opern, die – bis auf sein Spätwerk Rusalka (UA 1901 in Prag) – außerhalb seiner Heimat kaum gespielt werden. Der Theatermann und Librettist Jaroslav Kvapil hatte „Rusalka“ – das tschechische Wort für Wassernixe – zuvor mehreren Komponisten vergeblich angeboten; bei Dvorak hatte er dann Erfolg. Aber nicht wegen der Symbolik der Geschichte um die Wassernixe, die – wenn auch unter Verlust der Stimme – ihrer Welt entfliehen und ein Mensch werden möchte, sondern wegen seiner ausgeprägten Liebe zur Natur und ihren Wesen. So entstand ein höchst erfolgreiches poetisches Märchen im Rang einer tschechischen Nationaloper, angelehnt an die Figur der „Undine“ (Hans-Christian Andersen) und an das Märchendrama „Die versunkene Glocke“ von H.-C- Andersen. Und mit einer überbordenden spätromantischen, lyrischen Musiksprache, mit arioser Melodik und liedhaften Formen. Ein großes musikalisches Opus, an Wagner orientiert und mit Ansätzen seiner Leitmotivtechnik, aber mit eigener Kraft der Musik.

Die junge Regisseurin Nadja Loschky hat in ihrer ersten Arbeit für die Oper Köln die Geschichte der kleinen Seejungfrau, die sich in heftiger Liebe zu einem schönen Prinzen verzehrt, sehr eindrucksvoll und stellenweise zu Tränen rührend dargestellt. Rusalka muss, um ein liebender Mensch zu werden, auf ihre Stimme und vor allem die Rückkehrmöglichkeit verzichten. Loschky hat das große Glück, mit den Ensemblemitgliedern Adriana Bastidas-Gamboa (fremde Fürstin), mit Dalia Schaechter (Hexe Jezibaba), mit Samuel Youn als Wassermann und den häufigen Gastsängern Olesya Golovneva (Rusalka) und Mirko Roschkowski (Prinz) über ein unglaubliches Sängerpotential zu verfügen, welches einem nahezu die Sprache verschlägt. Eine „Palme des Abends“ konnte es daher nicht geben, jeder der Protagonisten war stimmlich und darstellerisch auf absoluter Höhe. Wenngleich sich Rusalkas „Lied an den Mond“ tief in die Herzen der Opernbesucher eingebrannt haben dürfe, ebenso ihre anrührenden Bemühungen, nach dem Verlust des Fischschwanzes ihre gestützten und bandgierten Beine wieder funktionsfähig zu machen. Allein das war Schauspiel per Excellence.

Ihre mädchenhafte Figur, ihr lyrischer Gesang, aber auch ihre Höhe im Fortissimo, ohne zu pressen, dazu ihre ständige intensive Bühnenpräsenz – das alles macht sie zur Idealfigur der Rolle. Samuel Youn, in Köln aus dem Internationalen Opernstudio hervorgegangen und weltweit stark gefragt, singt und spielt souverän mit sattem sonorem Timbre den Wassermann, der seine Tochter vergebens vor dem Weg in die Menschenwelt warnt.

 

Dalia Schaechter, in vielen dramatischen und anspruchsvollen Rollen seit Jahren bewährt und geliebt, ist die durchtriebene Hexe, mit starker Körpersprache und starker Stimme. Bastidas-Gamboa, ebenfalls ein Spross des Kölner Opernstudios www.opernstudio-koeln.de hat sich über die vielen Jahre in Köln beständig anspruchsvollere Rollen erarbeitet. Ihr angenehmer Mezzo ist ein wenig dunkler geworden, sehr gut für charaktervolle Rollen, wie hier als „Bösewicht“. Roschkowski ist ein heller lyrischer Tenor, der jüngst in Bonn als Lohengrin Besucher und Presse entzückte. Auch der Bariton Insik Choi entstammt dem Opernstudio und ist seit einem Jahr festes Ensemblemitglied, mit seinem mächtigen Bariton begeisterte er als Heger. Famos auch das Elfenballett mit Emily Hinrichs, Regina Richter und Judith Thielsen.

 

Nadja Loschky hat nacheinander drei Betten auf den Grund des Sees gestellt; aus dem ersten, vom Wassermann auf die Bühne gezogen, entstand Rusalka, vom Vater vor der Menschenwelt gewarnt. Das zweite ist das Lotterbett, nur vom Prinzen und der fremden Fürstin, jedoch nicht von Rusalka genutzt; zum Ende bleibt ein rostiges Bettgestell, vielleicht ein Symbol der mangelnden Sexualität der Titelfigur. Denn Rusalka muss erst noch reifer werden. Das schafft sie durch den Todeskuss mit dem Prinzen, dem sie – entgegen dem Libretto – noch ein Messer in den Bauch sticht. Sie wird erwachsen und kann sich selbstständig auf den Weg machen, schneidet sich symbolisch ihre Zöpfe ab. Ein Beispiel für viele bildhafte Details in dieser wunderbar und gleichzeitig klar erzählten Oper.

 

Dazu gehört das herrliche Gürzenichorchester unter Christoph Geschold, Kapellmeister in Leipzig. Er lässt durchweg Prächtiges hören, einen opulenten Klang mit berückenden Bläsern, aber auch feinen kammermusikalischen Phasen, immer präsent, aber nie die Sänger erdrückend. Und stimmig, stets im Fluss wie das Wasser. Ein großes Kompliment an die Oper Köln und die Intendantin Dr. Birgit Meyer für diese herausragende Produktion.

Premiere am 10. März 2019 – Fotos von © Paul Leclaire

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