Ein türkischer Tourist in Hagen – sehr nett und gagreich
Von Michael Cramer
Fotos: © Klaus Levevre
Premiere am 2. Februar 2019
Besuchte Aufführung am 14.3. 2019
Die Rezeptionsgeschichte von Rossini´s Turco in Italia liest sich eher traurig, da gerade diese Oper durch eine Heerschar von Dirigenten, Intendanten und Sängern über ein Jahrhundert lang übel zugerichtet wurde. Nach dem Premieren-Durchfall 1814 in der Mailänder Scala (man hielt die Oper nur für eine modifizierte Replik der „Italiana in Algerie“) und trotz glänzender Besetzung kam es zunächst nur zu wenigen Aufführungen. Das hatte wohl auch moralischen Gründe wegen der offen gezeigten Leichtlebigkeit. Dabei ist die Oper in Originalität und Musikalität der „Italiana“ überlegen, ist musikalisch anspruchsvoller, wahrt dabei aber die Rossinis Kompositionen eigene Leichtigkeit, Virtuosität und Fröhlichkeit.
Zu lesen ist immer wieder, dass Rossini Teile der Oper seine Mitarbeiter hat komponieren lassen und sich auch selbst um die Aufführungen wenig gekümmert hat. Das rächt sich. In der Folgezeit haben die bereits genannten Täter Bearbeitungen vorgenommen, Arien hinzugefügt oder Kürzungen durchgeführt, das Werk sozusagen gründlich verhunzt. Erst 1950 wurde unter der Regie von Zefirelli und mit der Callas als Fiorilla in Mailand eine redigierte und entschlackte Version geboten und in der Folge auch zunehmend anderweitig gespielt. Insgesamt hält sich die Zahl der Aufführungen allerdings sehr in Grenzen. Das kleine Theater Hagen hat sich nun erkühnt, die Oper auf die eigenen Bretter zu bringen, ein nicht einfaches Unterfangen, da gerade „das Leichte so schwer ist“; eine Rossini-Begeisterung kommt nur auf mit exzellenten Protagonisten und einem famosen Orchester.
Die Story ist auch nicht ganz einfach und diametral zu den beliebten Türkenopern, denn hier kommt der reiche Muselmann Fürst Selim als Tourist nach Neapel, speziell auf der Suche nach amourösen Abenteuern. Seine Ex Zaida war seinem Harem entflohen und trauert Selim nach. Der aber schmeißt sich an Fiorilla, Eifersucht kommt auf, da Selim die Zaida trifft, was der Fiorilla total stinkt. Und ihrem Gatten Geronio ebenfalls. Selim will Fiorilla entführen, da ihr Mann sie nicht zu verkaufen gedenkt. Genau jetzt kommt der Dichter Prosdocimo ins Spiel, der auf der Suche nach einem Opernlibretto ist; bei einem Maskenball kommt es zu allerlei heillosen Verwechselungen und Beziehungsproblemen, bis sich die Paare mehr oder weniger im Originalzustand wiederfinden. Und der Dichter hat eine schöne Basis für sein Libretto – beziehungsweise für seinen neuen Film – denn das ist die Basis für die Inszenierung von Christian von Götz. “Der Türke in Italien” thematisiert Freiheit, Treue und Liebesbeziehungen. Das macht diese Oper bühnenwirksamer, als es Rossinis vorangegangene, stärker in der neapolitanischen Tradition verankerte Opern sind. Das Werk ist nach “Die Liebesprobe” und “Die Italienerin in Algier” die letzte der drei Rossini-Opern, die von der damals herrschenden Orientbegeisterung zeugen; auch Mozart´s Meisterwerk „Die Entführung aus dem Serail“ gehört dazu.
Eine sprichwörtliche Beziehungskiste
Das Produktionsteam um von Götz hat allerlei gewerkelt; so sitzen bei der Ouvertüre ein Produzent neben dem Filmemacher auf klassischen beschrifteten Regiestühlen, gemeinsam schauen sie seinen neuen hochpathetischen Stummfilm an, der aber nicht recht ankommt; das Drehbuch ist leider nur für die Tonne. Damit geht die Geschichte für den Poeten richtig los, er braucht Stoff für einen weiteren Film. Die Inszenierung strotzt nur so voller Regiegags, die zum Teil originell, aber auch sehr abgeschmackt und albern sind. Und die auch durch ständige Wiederholungen, wie in alten Filmen mit dem Kopf an eine Wand zu rennen, mitnichten origineller werden. Auch wenn Geronimo an einem langen Seil wie Tarzan, allerdings dabei singend über die Bühne schwingt, ist das vielleicht zwei mal witzig, dann aber nicht mehr. Nicht wirklich erschließt sich die Idee der Regie, die Protagonisten sackhüpfend über die Bühne zu schicken, sogar paarweise, und dabei gegenseitig diverse Unterwäscheteile zu erbeuten. Unklar bleibt auch, warum Fiorilla im schicken Ägypten-Look und mit Rollerblades hin und her über die Bühne rollen muss. Aber was auch passierte, das Publikum im leider nur halb gefüllten Opernhaus quittierte die Szenen mit viel Gelächter und Zwischenapplaus. Denn man muss nicht alles immer auf die Goldwaage legen und logisch überdenken. Rossini ist bei all seiner musikalischer Genialität auch ein Lustspiel-Komponist, wo sich ein Regisseur in einer „komischen Oper“ auch mal einfach gehen lassen und seine Fantasie ohne Angst vor Beckmessertum umherschweifen lassen kann. Denn Klamauk kann auch mal Kunst sein.
Musikalisch war durchaus Achtbares zu vernehmen. Das Philharmonische Orchester Hagen arbeitete sich in dieser sechsten Aufführung wacker durch die kritischen Klippen der Partitur, nicht immer, aber immer besser und präziser in der Synchronisation der Tempi mit der Bühne. Maestro Steffen Müller-Gabriel am Pult verstand es, mit einem beständigen Drive die Handlung und die Sänger zu unterstützen und erfolgreich zu fordern. Auch über diese gibt es Gutes zu berichten. Allen voran Marie-Pierre Roy mit viel szenischem Selbstbewusstsein, hervorragenden Spitzentönen und locker fließenden Koloraturen. Kammersängerin Merylin Bennettt als Zaida zeigte einen angenehmen kräftigen Mezzo und ein prima komödiantisches Talent. Der Koreaner Dong-Won Seo als Türke gefällt sehr mit profundem Bass, und erst recht Rainer Zaun als herrlich tiefer Buffo. Der in Hagen sehr beliebte Sänger musste das Ensemble nach dem Intendantenwechsel verlassen, was sehr viel Unmut erzeugt hatte. Hier konnte er sich in gewohnter Frische und Güte erfolgreich präsentieren. Den Dichter singt Kennth Mattice rollengerecht; immerhin erfindet er am Ende den Tonfilm. Leonardo Ferrando spielt den Don Narciso sehr engagiert, hat allerdings stimmlich in Höhe und Sicherheit noch etwas Luft nach oben.
Der Oper Hagen darf man für diese – trotz szenischer Kritik (alles ist Geschmackssache) – hübschen und musikalische reizvollen Produktion im originellen Bühnenbild (stilisierte Kameralinse von Lukas Noll) der selten gespielten Oper ein volleres Haus wünschen. Der Schlussapplaus war auf jeden Fall sehr eindeutig begeisternd.