Musik

Endlich wieder Wagner, aber mit Rätseln

Gespannte Vorfreude auf einen großen Wagner-Abend hatte sich im Foyer des Staatenhauses breit gemacht, man blätterte im Abendprogramm und erfuhr, dass die pausenlose 2/12-Stunden-Version gespielt wurde. Oh je. Aber für geübte, hart gesottene Wagnerianer dürfte das ja kein Problem sein. Wer die 68 Seiten allerdings nicht aufmerksam gelesen hat, zu sparsam war, das Programm zu erwerben oder die Einführung versäumt hat, wusste nichts von der „Masleniza“, der ostslawischen Fastnachtswoche mit wilden Tänzen und der traditionellen Strohpuppe, die anschließend verbrannt wird.

SeungJick Kim

Dazu verrät das Programm, dass man sich „nach dem Zerfall der Sowjetunion in einem osteuropäischen Land befindet“; nur – was hat die Masleniza, von der überlebensgroße hölzerne Teile von einer Plane bedeckt auf der Bühne liegen, damit zu tun? Immerhin wird anfangs deren Gesicht für einen Moment enthüllt.

Dalia Schaechter

Gespannt war man auch auf die sehr breite Bühne, die in der Vergangenheit immer wieder für Überraschungen gut war – so auch hier. Der französische Regisseur Benjamin Lazar hat auch in dieser Inszenierung zusammen mit seiner Bühnen- und Kostümbildnerin Adeline Caron, mit der er schon oft zusammengearbeitet hatte, die Kölner Möglichkeiten voll ausgereizt: kein schnuckeliges Seemannsheim für Senta und ihren Vater, sondern eine heruntergekommene containerähnliche Kiste rechts außen, oberhalb eines mit Geländern angedeuteten Schiffsdecks über die gesamte Breite, mit Ölfässern, Paletten und Bänken, auf der die Geschichte spielte. Und auf der Gegenseite übereinander gestapelte rote Container, wohl symbolisch für das Schiff des ruhelosen Holländers. Alles sehr kühl, beleuchtet mit Neonröhren. Mittig dahinter das Orchester, nur partiell zu sehen. Der Dirigent Francois Xavier Roth hat die Bühne im Rücken, schaut gelegentlich hoch, wenn ein Akteur vom Geländer aus in den Orchestergraben schaut. Aber dank der Videotechnik funktioniert alles klaglos. Es ging auch nicht los mit der bekannten Ouvertüre, sondern mit einem Prolog der Senta über ihre Erinnerungen an diesen Ort, gesprochen von Silke Natho. Die ganze Oper sozusagen in Form einer Erinnerung?

Ingela Brimberg, Maximilian Schmitt

Und: die vom Holländer versprochenen Schätze für die Hand der Senta in den geheimnisvollen Seekisten sind Maschinengewehre und Pistolen; ein mühsamer Versuch der Aktualisierung. Wagners fliegender Holländer – ein illegaler Waffenhändler? Aktualisierungen können ja durchaus hübsch sein, aber bitte nicht mit aller Gewalt.

James Rutherford, Ingela Brimberg

Natürlich gibt es auch nette Szenen. So sind die Matrosen des Holländers eine sehr schlagkräftige Truppe, beinahe wie Untote, aber werden von den Mannen des Daland nach Strich und Faden verprügelt; hier hätte man sich mal eine Wiederholung gewünscht.

Das Schiff des Holländers. V.l. Siegfried Lehner, Maximilian Schmitt, Statisten

Ungeachtet der nicht schlüssigen Handlung bleibt der Abend spannend, durch eine geschickte Personenregie, durch die glutvolle Musik und vor allem durch den von Rustam Samedov blendend einstudierten Chor und Extrachor, der auf der Brücke brilliert. Es ist halt immer was los auf der Bühne. Wenn man denn willens ist, die erheblichen Brüche im Erzählstrang und Fehlleitungen der Handlung zu ignorieren. Und das konnte mit der ausgezeichneten Sängerriege leicht gelingen. Allen voran die Schwedin Ingela Brimberg, international sehr erfolgreich beschäftigt auch als Senta. Mit einer über alle Zweifel erhabenen fantastischen Stimme, emanzipiert, sehr selbstsicher, und in einer dramatisch angelegten Partie. Ihr Fast-Ehemann ist James Rutherford, ein Bariton mit sehr angenehmem Timbre, eher dezent, aber auch sehr kraftvoll je nach Anforderung.

Karl-Heinz Lehner

Der Daland wird von Karl-Heinz Lehner interpretiert, seit vielfältigem internationalen Engagement inzwischen fest im Kölner Ensemble; wie man hören und sehen konnte, ist er ein großer Gewinn für das Haus. An dem auch die Israelin Dalia Schächter seit 1995 singt und für ihre herausragenden Rollen im dramatischen Fach 2012 als Kammersängerin geehrte wurde. Zu Recht, wie man ihrer profunden Interpretation der Mary entnehmen konnte. Einen tiefen Eindruck machte auch Seung Jick Kim, just dem Opernstudio entsprungen, in seinem überzeugenden Rollendebut als Steuermann. Er ist erneut ein Beispiel für die segensreiche Schulung junger Sänger im besagten Opernstudio. Den Erik hatte Maximilian Schmitt zuvor in Graz gesungen; er ist Gast an vielen berühmten Bühnen wie der Mailänder Scala, der Dutch National Oper in Amsterdam oder der Staatsoper Wien. Es ist toll, immer wieder sehr berühmte Sänger wie ihn in Köln zu erleben, mit kraftvollem Tenor, ausgewogen, klangschön ohne Schärfen und sicher in den Höhen.

Wie ging es denn nun weiter mit der traurigen Geschichte? Nun, Senta verdrückt sich dezent Richtung des Holländerschiffs, hat vielleicht auch von den Männern die Nase voll; die beiden Ehe-Aspiranten bleiben enttäuscht zurück. Kein Wunder. Und der Zuschauer? Er hatte sicher viel Freude an der musikalischen Seite der Aufführung, vielleicht auch am bunten karnevalistischen Treiben am Ende der Masleniza-Fastenzeit. Und überlegt (so auch der Autor dieser Zeilen), noch einmal in die Aufführung zu gehen, dann aber eher aus musikalischen Gründen, um sich noch einmal die berühmte Ballade der Senta und die beiden Chöre der schottischen Seeleute und der Mannschaft des Holländers entspannt anzuhören. Denn beim zweiten Male ist es immer schöner.

Damenchor, rechts oben: Dalia Schaechter

Und dann kann er auch noch einmal über den Schluss nachdenken, der offen bleibt. Laut Programmheft “besiegelt Senta ihren Treueschwur”, was auch immer das heißen mag, denn nach dem Libretto stürzt sie sich ins Meer. Aber vielleicht ist sie auch zusammen mit der hölzernen Puppe verbrannt, die sie angezündet hat.

Fotos: © Karl und Monika Forster

Rezension von Michael Cramer, besuchte Aufführung: Premiere am 2. März 2023

Weitere Aufführungen: 8., 10., 15., 19. 21. und 23. April 2023

www.oper.koeln

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