Bach auf dem Akkordeon ? Aber ja gerne !
Viviane Chassot beim Festival Knechtsteden
Wie hält man das aus, zwei Stunden überwiegend Bach-Musik auf einem Akkordeon vorgespielt zu bekommen ? Zumal diese Musik bzw. das Instrument für manche Zeitgenossen schon etwas grenzwertig ist: ein oder zwei Stücke gerne, aber einen ganzen Abend ?
Nun, die regelmäßigen Gäste der Knechtstedener Konzerte sahen das anders: die Tickets für das Konzert im hübschen barocken Schoss Arff (www.schloss-arff.de) waren im Nu ausverkauft, sogar eine Warteiliste war angelegt. Und das für ein Akkordeon-Konzert. Bei dem Instrument der Schweizerin Viviane Chassot https://www.vivianechassot.ch handelt es sich allerdings mitnichten um irgendein „Schifferklavier“, sondern um eine italienische Spezialanfertigung der Firma Bugari mit gut 200 Knöpfen, 15 Registern und sechs Oktaven Tonumfang, alles zusammen 15 kg schwer. „Meine kleine Wunderkiste“ nennt die Musikerin ihr Instrument, mit dem sie die Welt bereist, an Hochschulen unterrichtet, oft barfuß spielt und nun auch im Schloss Arff auftritt. Als Kind kam ihre Begeisterung durch das Spiel des Vaters auf, aber anstatt mit dem „Schneewalzer“ versuchte sie sich mit Bach. Und dann auch mit Haydn und Mozart. Denn was auf dem Klavier geht, geht auch auf ihrem Akkordeon; sogar Mozart-Klavierkonzerte hat die umtriebige Musikerin mit einem Schweizer Kammerorchester eingespielt.
Die Tonerzeugung ähnelt der auf einem Harmonium; durch Luft schwingen die Zungen des Instruments, und der Spieler kann durch den unterschiedlichen Druck mit den Balgen die Dynamik der Musik variieren – was auf einer Orgel so nicht möglich ist.
Die aparte 44-jährige Musikerin in enger roter Lederhose und mit unverkennbarem Schweizer Akzent ist bekennender Bach-Fan, sie geht auch offen um mit ihrer überstandenen Brustkrebs-Erkrankung und der Hilfe durch die Musik wie mit einer Bibel. So begann sie ihr Konzert mit dem c-Moll-Präludium aus dem „Wohltemperierten Klavier“, ein Stück, welches sie durch ihr Musikerleben begleiten würde. Und da konnte man staunend und entzückt die ganze Wucht und Farbigkeit des Instruments erleben und vielleicht sogar ein Akkordeon-Fan werden. Und zu Hause ihre neue Solo-CD „Pure Bach“ genießen, für die sie neben vielen anderen den renommierten Preis „Opus Klassik“ erhalten hat.
Es ist verblüffend zu sehen, mit welcher Fingerfertigkeit sie über die Tasten – nein, Knöpfe – flitzt, Melodien oder Begleit-Akkorde rechts wie links spielt, und sich dabei an ihrer sehr variablen Mimik zu erfreuen. Man merkt ständig ihre Freude an der Musik und ihrem Instrument. Auch im – sehr schnell – gespielten nächsten Stück, dem Italienischen Konzert, Klassiker fortgeschrittener Klavierschüler, atmet der Bach´sche Geist, wenngleich das Klavier hier eher punkten dürfte, denn die variable Dynamik des Akkordeons ist hier unnötig.
Aber umso mehr in Mozarts Adagio in C-Dur, für Glashamonika komponiert, denn hier ist durch die Dynamikmöglichkeiten das Akkordeon klar im Vorteil. Auch die kleine Haydn-Sonate F-Dur, Hob XVI.37, eignet sich sehr gut für das Akkordeon, mit gefälligen Läufen, hübschen Harmonien und dem musikalischen Geist von Domenico Scarlatti (der allerdings kein Akkordeon kannte). Zum Erholen zwischendurch gab es noch etwas für´s Gemüt, Mozarts wohlbekanntes „Ave verum corpus“, eine Motette für Streicher, Orgel und Chor, hier musikalisch sehr reduziert, aber dennoch hoch wirkungsvoll.
Danach die Französische Suite No. 5, natürlich wieder von Bach, ein Stück zum Versenken und zum Nachdenken über die Konstruktion der Welt und ihre aktuellen Probleme. Sándor Veress war ein bedeutender ungarisch-schweizer Komponist mit einem riesigen und vielseitigen Oeuvre; von ihm stammten sechs Csárdás, hübsche ungarische Tänze und eine Reminiszenz an die Wahlheimat von Verres, der im Alter noch eine Professur in Bern angenommen hatte. Und zum Schluss durfte natürlich Astor Piazzolla nicht fehlen, der berühmte argentinische Bandoneon-Mann, der das Instrument aus den Kaschemmen geholt und zum Tango Nuevo veredelt hatte: schmachtende Musik, nicht aufgelöste Akkorde, Choräle über alle Klangregister. Einfach toll, und ein entsprechend langer jubelnden Applaus. Die Zugabe, ein leichtfüßiger schwungvoller Chopin-Walzer, entließ die begeisterten Zuhörer wieder in die Realität, ebenso das Schweizer Lied „Abend am See“.
Wer noch etwas über die Musikerin lesen möchte: https://www.schweizer-illustrierte.ch/people/swiss-stars/beste-akkordeonistin-der-schweiz-viviane-chassot-spielt-nicht-landler-sondern-klassik-und-jazz-599449
Viviane Chassot ist eine Künstlerin „zum Anfassen“, sie unterhielt sich anschließend locker mit zahlreichen Zuhörern und signierte ihre CDs. Es war ein guter Griff, sie engagiert zu haben und gleichzeitig eine weitere interessante Location für die benachbarte Knechtstedener Konzertreihe zu testen. Daher auch Dank an den Schlossherrn Sebastian von Landsberg-Velen für die Überlassung der sehr ansprechenden Räume.
Text: Michael Cramer
Fotos: © Michael Cramer und © Festival Alte Musik Knechsteden