Rigoletto in Bonn – viel Jubel, viele Buhs
Licht und Schatten auf der Bonner Opernbühne
Eventuell anwesende Orthopäden oder Physiotherapeuten dürften sich bei der Aufführung von „Rigoletto“ in der Oper den Kopf zerbrochen haben. Was haben die denn alle nur für Gebrechen? Denn bei dem Krankenstand auf der Bühne müsste eigentlich jede Aufführung gecancelt werden. Ist denn da auch nicht der Theaterarzt zuständig ? Nun, der Titelheld hat einen Buckel und hinkt, aber das hat er schon immer. Aber seine Tochter Gilda braucht Gehstützen, mit denen sie nur mühsam vorwärtskommt. Eine Folge von Kinderlähmung ? Aber warum lebt sie in einer Art Vogelkäfig, nur über eine lange Treppe zu erreichen ? Und warum ist der Käfig abgeschlossen ? Und was hat die junge Frau im Rollstuhl auf der linken Seite ? Spastische Bewegungen, irgendwie im Zusammenhang mit dem Zustand der Gilda. Oder ist sie eine Art Alter Ego von ihr ? Sie könnte auch die Tochter des Grafen Monterone sein.
Dem scheinen sämtliche Extremitäten abhanden gekommen zu sein, er muss in einem Wägelchen gezogen werden. Ist ein solcher Torso überhaupt lebensfähig, der trotzdem sehr achtbar singt ? Und das noch nicht genug: Die verschwisterten Auftragsmörder Sparafucile und Maddalena sind aneinandergebunden, vielleicht sind sie siamesische Zwillinge, die von ihren grauseligen Verbrechen leben ? Und: wie soll bitte Opernglück à la Verdi aufkommen, wenn im Hintergrund ein großformatiges Video mit Raupen beim Fressen läuft, wenn gut genährte ältere Herren nur in Unterhosen und mit Gehstützen die Szene bevölkern, und gleich zu Beginn von allen ein albernes Tänzchen aufgeführt wird ? Vielleicht als gemeinsame und heilsame physiotherapeutische Übung ? Die Karnevalsstadt Köln lässt schon irgendwie grüßen, auch was die Kostüme anbelangt. Vor allem bei den üppigen Kleidern für die Herren; da denkt der geübte Kölner sofort an die Cäcilia Wolkenburg: https://divertissementchen.de/caecilia-wolkenburg/
Es ist merkwürdig ruhig im Publikum bis zu dem Moment, da Rigoletto den dreisten Kameramann erdrosselt, da erhebt sich statt Beifall ein Shitstorm; auch über die Szene, wo Gilda statt einer erotischen Anmache vom Herzog eine Sahnetorte ins Gesicht geklatscht bekommt. Das hatten wir doch früher bereits bei Dick und Doof in Schwarz-weiss. Über diesen ekeligen Unsinn kann man nur verständnislos den Kopf schütteln. Oder halt buhen, wie es am Ende beim Erscheinen des Produktionsteams sehr lautstark zu hören war, vielleicht sogar bis auf den Boeselagerhof, den Vorplatz der Oper ? Zumal das Bonner Premierenpublikum nach der just grandios durchgefallenen „Entführung“ einige Übung im Buhen haben dürfte.
Genug der bösen Ironie. Glücklicherweise war der „Rigoletto“ musikalisch eine tolle Aufführung, mit exzellenten Sängern und einem grandios aufspielenden Orchester unter dem Bayern Daniel Johannes Mayr. Die jahrelange „Schulung“ des Orchesters durch den Verdi-Spezialisten Will Humbug scheint deutlich Früchte zu tragen. Das Orchester erzeugt Rückenschauer sowohl bei den zarten Passagen wie auch im aufrührenden Tutti, mit ausgezeichneten Bläsern und einem harmonischen Streicherklang.
Die Bühne von Hank Irwin Kittel besticht durch bühnenhohe bewegliche Leinwände, auf die ein passender Hintergrund projiziert wird (Video von Gretchen fan Weber): im Palast, hübsche italienische Straßenszene, grausige Landschaft mit heruntergekommener Vegetation, stimmungsvoll beleuchtet von Friedel Grass. Kleine Bühnen mit viel Plüsch und in Bilderrahmen können für Einzelszenen bewegt werden, ein Steinhaufen und eine Mauer mit einem Türchen kommen im schlimmen Finale zum Einsatz.
Die Handlung der Oper, neben „Aida“ und und „Traviata“ eines der Hauptwerke des italienischen Klangzauberers, dürfte hinlänglich bekannt sein und sei hier geschlabbert. Unter den Sängern verdient die Palme des Abends das Ensemblemitglied Giorgos Kanaris; für den Griechen war es ein fulminantes Rollendebut, welches er mit allen Fasern seiner Seele eindrucksvoll und mit perfekter Bühnenpräsenz gestaltete. Der jubelnde Einzelapplaus schien ihn fast verlegen zu machen. Man wundert sich, dass er den Rigoletto nicht bereits früher gesungen hat.
Entdeckung des Abends aber war die junge Deutsch-Russin Anastasiya Taratorkina, welche die Rolle bereits in Wiesbaden gesungen hatte, wo sie zum Ensemble gehört. Mit einer sehr berührenden Stimme, mit sicherer wie zarter Höhe, mit leisen Tönen und packendem Ausdruck, ist sie auch szenisch einfach brillant. Ihren Verehrer singt mit berückendem lyrischem, aber dennoch strahlendem Tenor der Rumäne Ioan Hotea, wunderbar seine berühmteste Arie der Oper über die Damen. Sicher ein guter Frauentyp, und klar, dass der Papa ein großes Problem mit ihm hat. Auch das Mörderpaar Pavel Kudinov und Charlotte Quad singen prächtig, auch wenn sie zusammengeschnürt bewegungsmäßig etwas gehemmt sind. Der klangschöne Herrenchor ist von Marco Medved präzise einstudiert und spielt auch prima, wenn man von den albernen Bewegungsübungen mal absieht.
Fazit: Eine gut gesungene und gespielte Verdi-Oper ist immer ein Glücksfall, so wie hier in der Bundesstadt Bonn. Der Besuch wird daher wärmstens empfohlen, für empfindliche Seelen ggf. mit dunkler Sonnenbrille.
Premiere am 15. Oktober 2023
Rezension: Michael Cramer
Fotos: © Hans Joerg Michel
12 Aufführungen bis zum 25. Februar mit wechselnden Besetzungen und Tickets hier:
https://www.theater-bonn.de/de/programm/rigoletto/204351#dates-and-tickets