Musik

Spannend: Eine Lateinische Messe aus Tangomusik

Mal nicht von Bach, Mozart oder Beethoven

 

Von Michael Cramer

 

Aufführung am 14.7. 2015, © Fotos vom Autor

Schon ein erhebender Anblick. Da quillt eine schier unübersehbare Menschenschlange, 180 Chorsänger*innen, durch zwei enge Türen auf das Podium des vor einigen Jahren wunderschön restaurierten „Palais am Park“ in der Flora Köln, dem botanischen Garten mit 10.000 einheimischen und exotischen Pflanzen. Ein guter Ort für ein großes Konzert mit europäischen und südamerikanischen Wurzeln: eine lateinische Messe, traditionell in der katholischen Kirche verwurzelt, komponiert mit Tango-Musik aus Argentinien: Die „Misa a Buenos Aires“ von Martìn Palmeri. Der Tango ist immerhin Weltkulturerbe und in jedermanns Ohr, und der Messetext ist von europäischen musikalischen Schwergewichten wie Bach, Mozart, Haydn oder Cherubini, aber auch von Neutönern wie Arvo Pärt und Hans Werner Zimmermann vertont worden. Die Bonner Sängerin Guadalupe Larzabal, Vorsitzende der Deutsch-Hispanoamerikanischen Gesellschaft LiberArte-bonn.com, hat das in Argentinien sehr beliebte Werk erstmalig nach Deutschland geholt, und dazu gleich 22 bereits vorgeschulte Chöre aus Deutschland, Spanien, Norwegen und sogar einen aus Argentinien eingeladen. Ein ganz erheblicher logistischer Kraftakt. Vier Tage gab es Intensivproben im Rahmen eines Chor-Festivals in Siegburg, und dann das ersehnte Highlight, das natürlich ausverkaufte Konzert. Das war schon eine richtig große Nummer.

Engagiert am Pult: Pablo Quintero

Im Programmheft ist der Text der Messe leider nicht abgedruckt, auch ist nicht erwähnt, dass der Komponist Martín Palmeri aus Buenos Aires in eine katholische Familie hineingeboren wurde.  Er schrieb viele Vokal- und Instrumentalwerke, die aber meist nur lokale Verbreitung gefunden haben. Am bekanntesten ist sein „Misatango“, ein opulentes Werk mit Kammerorchester, Bandoneon, Sopranstimme, Klavier und Chor. Es ist auch bei Youtube nachhörbar. Und eine herrliche Mischung aus Tangomusik, mit Anklängen an Bach, Mozart und Verdi, natürlich mit jeder Menge Astor Piazolla und Quadro Nuevo. Nun fragt man sich vielleicht, ob der Charakter einer Heiligen Messe hier überhaupt erreicht werden kann. Denn ob die  religiöse Versenkung bei der Anbetung Gottes, der Bitte um ewiges Leben und um Verzeihung der Sünden wirklich greift, darf leicht bezweifelt werden, dazu ist der Tango zu sehr anrüchig, hat Verruchtheit, Leidenschaft und Schmerz;  das Werk ist zu bunt, zu laut und zu vielfältig. Und auch zu spannend – was bei einer Mozart-Messe aber auch nicht anders ist.

Solo: Sigrún Palmadóttir

Den lateinischen Text, die lateinamerikanischen Rhythmen und die einschmeichelnden Melodien und Harmonien – diese Verbindung übersetzt der hoch aufmerksame Chor in stets engagierten, ungemein ausdrucksvollen Gesang. Mit bewundernswerter Präzision in den Einsätzen, klangschön, angenehm auch in der Höhe, perfekt geführt vom Dirigenten. Zwischen manchmal belanglosen, sich wiederholenden Sequenzen schäumt dann auf einmal das argentinische Blut hoch auf zum Feuerwerk, verstärkt von den fremdländischen Klängen des Bandoneons (eindringlich zu erleben: Gilberto Pereyra). Das „Neue Rheinische Kammerorchester“ unter dem routinierten Pablo Quintero, der mit diesem Werk viel unterwegs ist, machte seine Sache mit der für die Musiker sicher ungewohnten Musik ausgezeichnet, wenngleich zuweilen etwas mehr Rauigkeit und Energie wünschenswert wäre. Das gilt auch für die Solosängerin, die  Isländerin Sigrún Pálmadóttir; ihren makellosen Sopran, wunderbar über der Musik schwebend, hätte man  sich bisweilen etwas kräftiger und energischer gewünscht. Aber das Stück bietet im Wesentlichen auch nur kurze Sequenzen und kaum eine große Solo-Arie wie sonst oft.

Der Komponist Martín Palmeri am Flügel

Zwischen manchmal belanglosen, sich wiederholenden Sequenzen schäumt dann auf einmal das argentinische Blut hoch auf zum Feuerwerk, verstärkt von den fremdländischen Klängen des Bandoneons (eindringlich zu erleben: Gilberto Pereyra). Das „Neue Rheinische Kammerorchester“ unter dem routinierten Pablo Quintero, der mit diesem Werk viel unterwegs ist, machte seine Sache mit der für die Musiker sicher ungewohnten Musik ausgezeichnet, wenngleich zuweilen etwas mehr Rauigkeit und Energie wünschenswert wäre. Das gilt auch für die Solosängerin, die Isländerin Sigrún Pálmadóttir; ihren makellosen Sopran, wunderbar über der Musik schwebend, hätte man sich bisweilen etwas kräftiger und energischer gewünscht. Aber das Stück bietet im Wesentlichen auch nur kurze Sequenzen und kaum eine große Solo-Arie wie sonst oft.

Am Bandoneon: Gilberto Pereyra

Bezaubernd war es, die vielen hoch aufmerksamen, aber glücklichen Gesichter im großen Patchwork-Chor zu beobachten; immerhin hatten die Sänger*innen viel Zeit und Aufwand in diese Aufführung investiert. Etliche Video-Kameras, Fotografen und Handys waren im Einsatz, um dieses Event festzuhalten. Und geklatscht wurde fast nach jedem einzelnen Stück. Die launige Einführung durch Vorstandsmitglied Irina Gassmann geriet allerdings arg umfangreich, erheblich verlängert durch 2 sehr ausführliche Referate über die Kita „Schatzinsel“, begünstigter Verein des Benefizkonzertes. So ehrenwert das Engagement für Kinder drogenabhängiger Eltern ja ist, aber das stand ja eh alles im Abendprogramm.

Blumen für alle, hier mit der Organisatorin Lupe Larzabal (2. v. links), zwei Chorleiterinnen und dem Bandoneon-Spieler

Vorgeschoben war noch Palmeris Werk „Die vier Jahreszeiten“, in Anklang an Vivaldi. Zum Einhören gut geeignet ist es eher gehobene Unterhaltungsmusik, hübsch, mit vielen ähnlichen Passagen. Aber das ist es bei Vivaldi im Grunde auch. Erst im „Primavera Portena“, dem Frühling, kam spannendes Tangofeeling auf. Das Publikum raste vor Begeisterung, so dass ein Teil der „Jahreszeiten“ wiederholt werden musste. Ein rundum perfekter Abend mit einer tollen Musik; schade, dass es keine zeitnahe Wiederholung gibt.

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