Musik

Rossini´s “Barbier” von Berghaus – “immergrün” seit 1968

Ruth Berghaus

 

Nein, an dieser Inszenierung und der Bühne darf kein iota geändert werden. Das ist nationales Kulturgut der DDR und ihrer Vorzeige-Regisseurin Ruth Berghaus (1927-1996) und des Ausstatters Achim Freyer (*1934), der 1972 die DDR verließ. Anders als zum Beispiel der Kölner Carson-Ring, der immer mal wieder „verliehen“ und vom Regisseur verändert wurde, gib es hier keinerlei Änderungen – seit 20 Jahren mit und 30 Jahren ohne Mauer. Dazu gab es in Köln eine Besonderheit: Die Ostberliner 1:1-Inszenierung, eingerichtet von Katharina Lang, ehemalige Regieassistentin unter Ruth Berghaus, die bei der Entstehung dieses prickelnd-feurigen und pulsierenden Meisterwerks penibel Buch geführt hat über alle Details bis hin zu jeder Handbewegung der Protagonisten. Auch die originellen Kostüme von Achim Freyer sowie die leicht transportable Ausstattung kam original von der Staatsoper “Unter den Linden” in Berlin. Es wurde quasi eine komplette Operninszenierung gemietet, allerdings ohne Sänger und ohne Orchester.

Die Aufführung ist voll von Situationskomik und Lebendigkeit, man hat nicht Ohren und Augen genug, um den Witz, die Grazie und die unglaubliche Musikalität dieser Aufführung zu goutieren, die mehrere Generationen von Sängern, Dirigenten und Assistenten mühelos überstanden hat. Eine Nachbarin in der Pause: “Man bekommt das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht”.

Kein Wunder, dass die Aufführung inzwischen an die 350 mal unverändert gespielt wurde- mit einer kleinen Ausnahme: zu DDR-Zeiten wurde Deutsch gesungen, nach dem Mauerfall italienisch: da musste Berghaus noch mal ans Regiepult. Nun ist der „Barbier“ unbestritten einer der Opern-Höhepunkte weltweit – die Wagner-Puristen mögen dem Rezensenten verzeihen, –  und vom 23-jährigen Genie Rossini innerhalb von nur drei Wochen geschrieben.

Ruth Berghaus inszeniert eine Komödie, verweigert aber alles Klamottige, nix ist mit Schenkelklopfen vor Lachen. Dabei merkt man, dass sie jede Regung und Bewegung choreographisch festlegt. Jede Figur zeichnet sich durch eine eigene Körpersprache aus. Die eine trippelt, die andere humpelt, die dritte hüpft, die vierte hoppelt, die fünfte gleitet eher über die Bühne als dass sie geht, die sechste stapft mit Riesenschritten durch den Raum. Sie versteht den Barbier von der Commedia dell’arte her, Achim Freyer hat die Figuren im Stil der Arlekine, Dottores und Pantalones ausstaffiert, das „beider Gesellenstück“, wie Freyer sich ausdrückte, setzt sie auf Verfremdungseffekte, auf ein stilisiertes Spiel. Die Guckkasten-Bühne besteht aus altweißen Tüchern mit Patina, in bester Brecht-Manier auf- und wieder zugezogen, mit aufgemalten Gebäuden, Türen und Fenstern, die Akteure suchen sich dahinter zu verstecken, aber vergebens, alles bleibt sichtbar, denn es kommt ohnehin alles ans Licht. Sogar das Klavier, auf dem der falsche Musikmeister vorgeblich mit Rosina übt, ist aus bemaltem Stoff. Entzückend.

Regina Richter

Auch der Souffleurkasten, normalerweise kaum sichtbar, ist deutlich erhöht und dient u.a. als Podium für den Barbier, wo er seine bedeutende Rolle in seiner kleinen Welt rampensingend demonstriert. Wunderbar auch Almaviva, der sich dort herrschaftlich präsentiert, ebenso wie alle anderen Figuren des Spiels.  Theater im Theater sozusagen.

Was wäre Rossini ohne exzellente Sänger und Musik. Und da hat die Oper Köln in der letzten Inszenierung der Ära Birgit Meyer es an nichts fehlen lassen. Allen voran die entzückende Adriana Bastidas-Gamboa, kurz vorher noch als Männer verachtende Furie in der Carmen zu bewundern, glänzt jetzt in ihrem Rollendebüt als Rossini-Rosina. Mit ihrem samtigen Mezzo, dennoch immer wieder durchdringend und mit hochpräzisen, grandiosen  Koloraturen, ist sie eine wirkliche Freude zu hören wie in der Glanz-Arie „Una voce poco fa“. Und sie zu sehen, denn man nimmt ihr das gesten- und mimikreiche Spiel um Liebe und Intrige gerne ab.

Publikums-Liebling No. 2 ist der baumlange Wolfgang Stefan Schweiger als stimmgewaltiger Figaro, der wie ein Filou überall und nirgends agiert, und erfolgreich versucht, überall seinen Geldbeutel zu füllen. Publikum-Liebling No. 3 dann Bjarni Thor Kristinsson als Don Basilio, der mit seinem riesigen Bass, seiner flexiblen Singweise und überragender Bühnenpräsenz, der den Einzelvorhang nach der berühmten Arie „La corunia“ reichlich verdient hat. Alasdair Kent als Almaviva macht nicht nur eine gute Figur, sondern verfügt über einen einfach schönen, nicht allzu schweren Tenor, mit dem er mühelos auch die Höhen meistert. Und der fiese Bartolo (Enrico Marabelli), der sein vermögendes Mündel zu heiraten versucht, spielt einfach köstlich den alten Schleimer, der am Ende gewaltig verliert. Auch er passt stimmlich perfekt ins Team. Ebenso Claudia Rohrbach, seit sehr langer Zeit erfolgreich im Ensemble; sie sang die vollbusige Haushälterin Berta, auch im Spiel köstlich in ihrer großen Arie Il vecchiotto cerca moglie. Ebenso erfüllte David Howes, Mitglied des Opernstudios, rollengerecht die Rolle des Fiorillo, genau Florian Eckhardt als Notar und Valmar Saar als Offizier.

Was sind Sänger ohne perfekte Orchesterbegleitung ? Nichts, es sei denn, George Petrou dirigiert. Der gebürtige Grieche gastiert an allen Opernhäusern dieser Welt mit Schwerpunkt Barockmusik, hat zahlreiche CDs aufgenommen und ist u.a. künstlerischer Leiter der Händel Festspiele in Göttingen. Und das hört man. Nicht nur in seinem subtilen Continuo auf dem Hammerklavier, wo er köstlich das Gitarrenspiel des Almaviva imitiert; er musiziert perfekt mit dem Orchester, teilweise recht langsam zelebriert er manche Szenen. Es ist ein Genuss, seinem Dirigat zuzusehen. Sehr erfreulich war auch der Chor der Oper unter Rustam Samedov, herrlich als Musikanten auf diversen Instrumenten.

Premierenapplaus mit der Regisseurin Katharina Lang

Unter dem Strich ist dies ein blendender Abschluss der zehnjährigen Amtszeit von Dr. Birgitt Meyer als Intendantin. Jetzt darf man gespannt sein, wie es in Köln weitergeht.

Die nächsten Aufführungen: 20., 23., 27. Juni, 2. Juli.

Rezension von Michael Cramer

Fotos von ©Paul Leclaire

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