Musik,  Theater

Die Entstehung des Kölsch-Glases- Napoleon en Kölle

Die Entstehung der Kölsch-Stange

Oder: Napoleon en Kölle

 

Die Frage, wann und wie das Kölschglas in der heutigen Form erfunden wurde, wird zur Zeit allabendlich im Staatenhaus in Köln beantwortet bzw. demonstriert, und zwar im Divertissementchen „Napoleon en Kölle“. Es geht um die existenzielle Einschätzung der eigenen Lebenssituation am Beispiel des Füllstandes von Getränken im Glas, vereinfacht: „Halb voll“ oder „halb leer“. Der Pessimist spricht von „schon halb leer“, im Gegensatz zum beruhigenden „noch halb voll“; das entspricht auch eher der Kölschen Mentalität. Das halbvolle Glas wird in der Revue flugs in eine Kölschstange umgefüllt, die dann halt „gestrichen voll“ ist. Eine kleine Rand-Episode im Theaterstück der Cäcilia Wolkenburg, die soeben Premiere hatte und fast täglich bis zum 1. März spielen wird.

Das „Zillchen“, wie die „Bühnengemeinschaft Cäcilia“ im Kölner Männergesangverein www.kmgv.de liebevoll genannt wird, blickt auf eine lange Historie zurück, die erste Aufführung war schon 1874; bis auf die Kriegszeiten, und dazu gehört auch der Kampf gegen Corona, wurde jährlich ein neues Stück geschrieben und aufgeführt. Dahinter steht der Kölner Männergesangverein mit ca. 180 aktiven Sängern. Und klar ist, dass hier Weiber auf der Bühne nichts zu suchen haben, alle Frauenrollen und auch die Tanzpartien werden ausschließlich von Männern dargestellt. Nachdem 2020 Corona die Party sehr gründlich vermiest hatte – man spielte nur über Stream – ging der Verein äußerst sorgsam mit der Pandemie-Prophylaxe um; regelmäßige Tests und Booster-Impfung aller Teilnehmer führten bisher zu sicheren Aufführungen. Allerdings musste auch auf der Bühne mit Mundschutz gesungen und getanzt werden. Und konsequent Kölsch zwar nicht getrunken, aber gesungen und jeschwaad. Zwar wurde die Verständlichkeit durch Mikroports verbessert, aber man sieht halt nicht, wer da gerade singt oder spricht, vor allem bei Gruppen. Aber besser so als gar nicht.

Jürgen Nimptsch, Baas (Chef) der Sängerriege und Ex-Bürgermeister von Bonn,  beamt – optisch unterstützt mit Europafahnen – als der berühmte Kölner und ehemaliger Ferdinand Franz Wallraf die Zuhörer sogleich 200 Jahre zurück in die Zeit der französischen Besatzung; diese hatten  in Köln etliches verändert in Sachen Schulsystem, Gesundheit, im Rechtswesen, im Handel, die Straßenbeleuchtung der neu durchgezählten Häuser (dabei auch 4711) und vor allem in der Säkularisation, der Trennung von Staat und Kirche.  Nur hätte das niemals ein Werk der französischen Besatzung alleine sein können, da haben die Kölner heftig selbst dran gedreht. Und so hat sich Napoleon auf den Weg nach Köln gemacht, um der Sache persönlich auf den Grund zu gehen. Oder so ähnlich. Applaus brandet auf, als der Vorhang den Blick freigibt auf eine bunte Szene am Rhein, mit viel Volk, mit Soldaten, Handwerkern und Kaufleuten. Sogar der Kardinal schlendert zu Fuß umher und segnet das Volk.

Ein Mönch als Barkeeper in einer Open-air-Kneipe schenkt reichlich aus, überall wuselt viel buntes Leben. Und es ist sehr viel zu sehen. Und vor allem zu hören, denn der Dirigent Christoph Brauckmann hatte die „Bergischen Symphoniker“ blendend einstudiert und fest im Griff mit einem vielfältigen Potpourri an Kölschen Liedern, Opernmelodien, Zitaten aus der Wiener Klassik und Schlagern. „Heidewitzka, Herr Kapitän“ erklang gleich nach Wagners „Der Fliegende Holländer“, und Helene Fischer war total atemlos nach  Abbas „Waterloo“. Eine hervorragende Möglichkeit, die eigenen Musikkenntnisse zu überprüfen, auch bei dem Wirken der Bonner Dixi-Band „Westwood Slickers“. Alleine für die Musik hätte sich der Besuch bereits gelohnt; im WDR-Fernsehen am 26.2. um 11:00 kann man noch einmal reinschauen bzw. reinhören. Vielleicht ist ja bis dahin die Maskenpflicht passee. Oder es gibt eine CD mit der Musik zu kaufen oder zum Runterladen.

Die Mannen auf der Bühne singen einfach herrlich, es ist eine große Freude ihnen zuzuhören. Sowohl beim Gesang in Mannschaftsstärke wie auch solistisch oder im ganz kleinen Ensemble. Man vergisst total, dass hier ausschließlich „Dilettanten“ singen und spielen – ein Begriff, der heutzutage leider negativ besetzt ist; gemeint sind damit „Amateure“, die oft ganz hervorragend agieren. So wie hier. Vor allem in den Szenen, wo ein französischer Soldat und ein Kölsches Mädchen heiraten sollen, aber sich noch gar nicht kennengelernt haben. Aber sie sind die ersten, die das neu geschaffene Standesamt nutzen dürfen. Oder wo das komplette Haus der Frau Schmitz von der Seite auf die Bühne gezogen wird; man vergisst schnell, dass hier in einem Provisorium gespielt wird ohne Drehbühne, Schnürboden oder große Bühnentechnik. So sind auch die Musiker in Ermangelung eines Orchestergrabens hinter der Szene angesiedelt, man sieht bis auf den Dirigenten leider wenig von ihnen. Optisch köstlich ist der „Höllenchor“, eine Prozession von Klerikern mit einer Marienstatue – ganz in rotes Licht getaucht. Auch das Ballett der Ratten, die aus der Stadt vertrieben werden sollen, und der Tanz der Schmetterlinge, symbolisch für die Liebe zwischen dem Soldaten und der Kölnerin, machen staunen. Dazu das Lied der Paveier „Leev Marie“ – es datt nit schön ?

Und der Kaiser Napoleon ? Dessen Besuch ist historisch verbürgt; er kommt mal per Kutsche, oder mit einem Schiff in die Szene geglitten, und scheint mit allem zufrieden zu sein, was die Kölner so angestellt haben. Und die waren hoch begeistert von „Napoleon in Kölle“, viel langer Applaus dankte den rund 100 Mitwirkenden auf und hinter der Bühne.

Besuchte Aufführung: Generalprobe am 28.1.2002

Bühnenbild: Thomas Brauckmann

Kostüme: Judith Peter

Fotos: Michael Hause

Rezension von Michael Cramer

 

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