Musik

Lange Badesaison im Kölner Staatenhaus

       Wer sich das Vergnügen gönnen möchte, einen Teil der Kölner Sänger und der Statisten mal in knapper Badebekleidung zu erspähen, da gibt es derzeit eine gute Möglichkeit: Im Saal zwei – nein, am Sandstrand des Staatenhauses spielt der Opernrenner „Der Liebestrank“ von Gaetano Donizetti. Der Komponist musste sein Werk als „Einspringer“ für eine ausgefallene Produktion 1832 binnen kürzester Zeit schreiben, und wurde damit sehr schnell sehr berühmt. Ähnlich wie sein Landsmann Rossini.

Gemeinsame Strandgymnastik
Dmitry Ivanchey

Der international hoch angesagte italienische Regisseur Damiano Michilietto hatte zusammen mit Paolo Fantin (Bühne) und Silvia Aymonio (Kostüme) ein rein italienisches Produktionsteam hinter sich, und dazu mit Matteo Beltrami einen sehr beschäftigten (natürlich italienischen) Dirigenten. Er hatte schon 22/23 in Köln mit Rossinis „Cenerentola“ ein wahres Belcanto-Fest gefeiert, den „Liebestrank“ bereits in Dresden dirigiert – und nun wieder im Staatenhaus. Noch – aber bezüglich der Wiedereröffnung scheint es kritisch zu werden. Hoffen wir das Beste.

Zu goutieren ist ein auf offener Bühne sehr buntes mediterranes Wimmelbild von einer Strandszene – anstatt der originalen Geschichte auf einem ländlichen Gutshof im Baskenland. Denn Michilietto hat die launige Gutsherrin Adina flugs in die Besitzerin der Strandbar Adina umgeschwicht, die alles am Laufen hält. Ihr hilft Gianetta, eigentlich ein schlichtes Bauernmädchen, mit dem Service an der Bar, mit Eisverkauf und Coctails. Und der einfache Bauernbursche Nemorino ist als Bademeister zuständig für die Sonnenliegen, die Papierkörbe und die Stranddusche. Er verehrt Adina, hat aber als Habenichts keine Chance bei ihr. Ganz anders der aufgeblasene Sergant Belcore in weißer Uniform, von dem sich Adina gerne den Hof machen lässt. So weit die Geschichte – nun aber am turbulenten Badestrand.

In der Riege fehlt noch der koksende Quacksalber Dulcamara, der über Land zieht und den Bauern fragwürdige Wundermittel gegen alles andreht. Der erscheint natürlich immer mit allem Pomp – hier allerdings mit einem Jeep und einer darauf montierten überdimensionalen Flasche seines Wundermittels – einem Liebestrank. Der allerdings in der Aufmachung an einen sehr bekannten Energy-Drink erinnert, beworben von schicken jungen, Hüften schwingenden Damen mit roten Perücken. Auch eine italienische knallrote Vespa muss her.

Omar Montanari

Die meisten Akteure laufen barfuß auf echtem Sand, fläzen sich auf zahlreichen Liegen unter gelben Sonnenschirmen, spielen Strand-Ball oder Boccia. Und flirten unbekümmert, posieren halbnackt und trainieren beim gegenseitigen Eincremen die Kunst der Anmache. Es gibt sehr viel und ständig Neues zu sehen, auch Kinder laufen herum, eine fidele Männergruppe spielt Karten bei reichlichem Zuspruch gekühlter Getränke. Und Badewächter passen von Hochstühlen auf alles auf, korrekt beschriftet mit „soccorista“.  Die Dusche und der Wasserschlauch am Strand werden immer wieder benutzt, mit realem, allerdings angeheiztem Wasser (wie unter der Hand zu erfahren war). Für die Requisitenabteilung der Oper sicher eine erhebliche Herausforderung, die auch Flossen, Taucherbrille, Badekappe sowie Sandeimer und Schaufeln besorgen musste. Und eine italienische Zeitung für das Rentnerpaar, das beim Einlass bereits in der Sonne liegt.

Köstlich: Sie treibt Gymnastik, er lehnt unwirsch ab. Ein typisches Beispiel für die vielen feinen Gags der Inszenierung, die immer spannend, aber nie klamaukig ist.

Insic Choi unter der Dusche – noch im Hemd

Für manche Opern-Puristen eine vielleicht etwas betrübliche Produktion, da man beständig abgelenkt wird und vielleicht zu wenig auf die herrliche Musik achtet. Allerdings kommt Langeweile in keinem Moment auf.

Optischer Höhepunkt ist ein riesiger Gummi-Brunnen gekrönt mit einem Gummi-Brautpaar, der für ausgedehnte Schaumbad-Spiele dient. Neckig aber auch das gegenseitige Bespritzen aus den Plastik-Trinkflaschen. Das ist leider die Neuzeit: Anstatt eines probaten französischen Rotweins als Liebestrank (was real ja durchaus klappen kann) kommt eine synthetische Brause zum Einsatz. Das ist halt unsere Jetztzeit; keine klassischen Korken mehr auf Glasflaschen, sondern blöde, wenn auch praktische Drehverschlüsse.

Musikalisch erlebt man hier alles vom Feinsten. Das bestens präparierte Gürzenichorchester glänzt mit vielfältigen Klangfarben und hervorragenden Bläsern. Wenn auch in der Synchronisation mit der Bühne und dem Chor noch deutlich Luft nach oben war. Etwas unglücklich ist die Aufstellung des Orchesters am linken Seitenrand, Beltrami hat zu den Sängern nur Kontakt über Monitore. Aber die Koordination dürfte sich in den Folgevorstellungen sicher geben. Auch der Chor in Badekleidung ist von Rustam Samedow bestens einstudiert. Natürlich freuen sich alle auf die Oper am Offenbachplatz mit richtigem Orchestergraben; jedoch sind dann eindrucksvolle Breitband- Inszenierungen nicht mehr machbar.

Die Sängerriege begeisterte auf der ganzen Linie. Allen voran die famose Kathrin Zukowski, die nach ihrer erfolgreichen „Lehre“ im Kölner Internationalen Opernstudio und ihren begeisternden Rollen als Cleopatra, Donna Clara (Der Zwerg), Pamina, Musetta und Konstanze zu einem weiteren Publikumsliebling avanciert ist. Einfach eine ideale Sängerin, stimmlich und szenisch. Sie hat eine strahlende, dennoch lockere und unangestrengte Höhe, zeigt verblüffende Koloraturen, vermag ihrer Stimme immer wieder andere Farben zu verleihen. Ein Glücksfall für die Kölner Oper und ein gutes Beispiel für das erfolgreiche Wirken des Opernstudios.

Das gilt auch für den wunderbaren Insik Choi als Belcore, ebenfalls ein früherer Zögling des Opernstudios. Neben seinem prächtigen, volltönenden Bariton präsentiert er unter der Dusche seinen ebenso prächtigen Oberkörper. Den windigen Dulcamara singt mit intensivem Spiel Omar Montanari, ein raffinierter Buffo-Sänger. Seine große Auftrittsarie wird mit jubelndem Szenenapplaus gefeiert, man hört ihm einfach gerne zu, wenn er beredt die Vision seiner halbseidenen Geschäfte präsentiert.

Dmitry Ivanchey ist seit einem Jahr festes Ensemblemitglied, eine sehr gute Entscheidung der Intendanz. Er glänzte u.a. als Tamino, als Belmonte, als Steuermann und jetzt als Nemorino. Sein wunderbarer lyrischer Tenor vermochte den unglücklich verliebten und dann doch erfolgreichen Bademeister überzeugend darzustellen, etwas tölpelhaft, aber sehr liebenswert. Seine berühmte Arie von der verstohlenen Träne im Auge („una furtiva lagrima“) dürfte manchem der Premierenbesucher ob seiner berührenden Darstellung auch etwas feuchte Augen gemacht haben. Die junge Maya Gour mit portugiesisch-israelischer Herkunft ist ein Neuzugang in Köln, eine reizende, spielfreudige Person mit hellem und beweglichem Sopran.

Maya Gour im Hintergrund

Intendant Hein Mulders hat gut daran getan, diese Produktion für Köln zu kaufen, die ein wenig den vergangenen Sommer nachklingen lässt. Sie ist bereits u.a. in Mailand, Valencia, in Graz und in Madrid erfolgreich gelaufen; erfreulicherweise war der Regisseur auch bei der Premierenfeier dabei.

Schlussapplaus mit Dirigent und Produktionsteam – Foto: Michael Cramer

Fotos von © Matthias Jung

10 weitere Aufführungen bis zum 6.12 2023 unter www.oper.koeln.de 

Rezension von Michael Cramer

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