Musik

L´Huomo – Unbekanntes bei den Tagen Alter Musik in Herne

Wenn einem Musikfreund heutzutage das nahegelegene Opernhaus partout nicht passt, kann er durch Spielpläne und Kartenbestellungen im Internet sowie schnelle Reiseverbindungen jederzeit eine große Zahl ganz unterschiedlicher Vorstellungen genießen. Ganz anders zu Zeiten des Rokoko; da gab es die Wilhelmine von Bayreuth, kunstbegeisterte Schwester von Friedrich dem Großen und verheiratet mit Markgraf Friedrich, der als Mäzen der Stadt Bayreuth das Markgräfliche Opernhaus spendiert hatte. Es ist heute Weltkulturerbe. Wenn er auch dafür nicht selbst hart arbeiten musste, sondern halt das Steuersäckel angezapft hat.

Dorothee Oberlinger
Wilhelmine von Bayreuth

Besagte Wilhelmine beauftragte ihren guten Bekannten Andrea Bernasconi, Vize-Kapellmeister und Musiklehrer des Kurfürsten, zum Besuch ihres Bruders Friedrichs des Großen im Juni 1754 in Bayreuth eine Oper zu komponieren, und zwar nach ihren eigenen Vorstellungen. Denn die gängigen, langweiligen Hofopern war sie gründlich leid, sie forderte eine unterhaltsame Tragikkomödie an Hand ihrer eigenen französischsprachigen Operndichtung „L´Homme“. Diese ließ sie ins Italienische übersetzen und daraus von Bernasconi eine Oper komponieren. Man musste nur Einfluss und Geld haben und halt die richtigen Leute kennen. Damals wie heute.

Markgräfliches Opernhaus Bayreuth

Denn Wilhelmines geiziger Schwiegervater, der Markgraf Georg Friedrich Carl, hatte das Residenzschloss und damit auch die Kultur auf absolute Sparflamme reduziert. Nach seinen Tode 1735 war Wilhelmine maßgeblich an der Neugestaltung der Anlagen beteiligt und hat damit Bayreuth zahlreiche repräsentative Objekte beschert. Ein echter Glücksfall für die Stadt. Sie sollte sich auch um die Hofmusik kümmern und wollte sogar ein Opernhaus etablieren; das wurde dann auch 1748 feierlich eingeweiht. Nur fehlte halt die passende „Software“, Wilhelmine war auch hier sehr aktiv; ein Ergebnis wurde am 12. November 2022 bei den Tagen Alter Musik in Herne präsentiert. Diese Oper war in früheren Zeiten allerdings weitgehend in Vergessenheit geraten, heute existiert nur noch handschriftliches Stimmenmaterial.

Niels Niemann, szenische Einrichtung

In der semi-konzertant aufgeführten Oper gibt es viel zu sehen, weil Niels Niemann, Dozent für klassische Rhetorik und Theaterpraxis, das Werk spektakulös ausgestattet hat. Ähnlich perfekt wie kürzlich in der Sommeroper in Neuss im Globe-Theater https://www.kulturcram.de/2022/09/sommeroper-im-globe-neuss/

 

Denn hier agieren Anima und Anemone, ironisch-beispielhaft für das Herrscherpaar, als zwei Seelen, die später von einem guten und einem bösen Geist verführt werden sollen. Die Geschichte, wie so oft in Barockopern, ist schon recht kompliziert, auch das Mitlesen des kostenlos erhältlichen Librettos nicht einfach. Der Schreiber dieser Zeilen gesteht freimütig, daß er sich nur bedingt bemühte, die Handlung zu verstehen, zumal die meist schwülstigen Gesangstexte überquellen von Liebesbezeugungen, Eifersucht, Verführungen, Schicksalswendungen und Seelenschmerz.

 

Aber die Aufführung war so spektakulär gut, dass es dem Rezensenten vollends reichte, sich zurückzulehnen, ein wenig hinzuschauen, und diese herrliche Musik einfach zu genießen. Mit geschlossenen Augen – nein, hier mal nicht. Denn Niemann hat nicht nur eine geschickte Personenführung kreiert, sondern den Protagonisten auch zahlreiche Accessoirs mitgegeben. Amor ist mit Engelsflügeln und natürlich mit Pfeil und Bogen ausgestattet. Die „Bühne“ wird mit einer Girlande geschmückt, ein Blumenkranz und ein weißes Band sind für Anemone und Anima, Amor hat ein Herz auf der Stirn. Eine Menge Details, deren Zuordnung nicht ganz einfach ist. Einstudiert wurde in Köln im „Zamus“, dem Zentrum für Alte Musik in Köln Ehrenfeld mit großer Probebühne, Heimat sehr vieler in dieser Musiksparte tätigen Künstler.

Die Stimmen und die Instrumentalisten sind qualitativ ganz hoch angesiedelt. Oberlinger hat mit ihrem „Ensemble 1700“ eine handverlesene internationale Musikerschar um sich versammelt, mit hoch präzisem Spiel und überragender Musikalität, die sogar als “Chor der Höllengeister” agieren. Ebenso die Chefin, eine international berühmte Blockflötistin und Salzburg-Professorin, die zwischendurch mal kurz zu ihrem Instrument griff. Auch die Sänger können nicht hoch genug gelobt werden; wo hat Dorothee die denn alle nur aufgetrieben ? Voran die Hauptsänger Maria Ladurner mit herrlichen Koloraturen und sicherer strahlender Höhe. Ihr „Partner“ Philipp Mathmann, einer der gefragtesten Countertenöre derzeit, verfügt über einen Sopran, der im wahrsten Sinnes des Wortes zu Herzen geht. Man hätte ihm noch stundenlang zuhören können.

Florian Götz, Bariton

Lustig zu erleben, wie er einmal zwischen Brust- und Kopfstimme wechselte. Die Italienerin Franceca Benitez sang nicht nur berückend, sondern sah auch noch echt Klasse aus in ihrem weißen Kleid. Auch der Bariton von Florian Götz gefiel ausnahmslos; vielleicht kann man ihn mal als Don Giovanni erleben. Ebenso waren die kleineren Rollen mit Anna Bode, Johanna Fakinger und Anna Herbst  prächtig besetzt, stimmlich und auch szenisch.

Einen Ausfall gab es mit Alice Lackner in der Rolle der Negiorea. Hier half man sich damit, daß die Rezitative von Johanna Falkinger und Maria Ladurner gesungen wurden, die Arien aber von Bläsern übernommen wurden. Aber das machte überhaupt nichts; wer den Text mitlas, wusste, worum es ging in diesem Stück über Treue, Beständigkeit und Standhaftigkeit in der Liebe.

Schlussapplaus (Foto M. Cramer)

Der Applaus nach knapp 3 Stunden war so heftig, daß der Schlusschor des Werkes wiederholt wurde. Schon etwas Besonderes. So hatte jeder für den Heimweg noch einen herrlichen Ohrwurm im Kopf. Und vielleicht die Vorfreude auf eine szenische Aufführung im kommenden Jahr im Geburtshaus von l´Uomo im wunderbaren Bayreuther Markgräflichen Opernhaus https://www.bayreuth-tourismus.de/wp-content/uploads/2022/10/2023_Veranstaltungen-MOH-Jahresuebersicht-Homepage.pdf

Dr. Richard Lorber Backstage

Der WDR, der zusammen mit der Stadt Herne und dem künstlerischen Leiter Dr. Richard Lorber zum 46. Mal das Festival “Tage Alter Musik in Herne“ organisiert, hat die Aufführung mitgeschnitten. Sie ist unter https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-konzert/konzertplayer-klassik-tage-alter-musik-in-herne-dorothee-oberlinger-ensemble-siebzehnhundert-100.html bis zum 13. Dezember nachzuhören, auch das Programm und das Textbuch sind verfügbar.

Rezension von Michael Cramer

Prima Fotos von © Thomas Kost

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