Zemlinskis “Der Zwerg” – etwas zu leicht genommen ?
Sehr bunt, sehr grell, sehr verspielt – und ein wenig am ernsten Thema vorbei ?
Kathrin Zukowski, Zögling des Kölner Internationalen Opernstudios und seit 2020 Ensemblemitglied, war das unbestrittene Highlight der aktuellen Produktion der Oper Köln unter dem neuen Intendanten Hein Mulders. Die Sängerin mit dem markanten – und auch oft falsch geschriebenen – Namen hat bereits ein Studium der klassischen Gitarre und einen Master in Operngesang absolviert. Und jetzt singt sie – aber wie.
Mit einem wunderbaren lockeren, strahlenden, höhensicheren Sopran und viel szenischem Selbstbewußtsein gibt sie die ständig Kaugummi kauende Spanische Infantin Donna Clara (außer direkt beim Singen), der man zum 18. Geburtstag ein besonderes Geschenk gemacht hat: einen echten lebendigen Zwerg. Der aber potthäßlich ist und einen Buckel hat, was der allerdings nicht weiss, da er nie in einen Spiegel geschaut hat. Er spiegelt sich nur in den Blicken der Menschen. Aber er deutet sie falsch. Ihr Lachen empfindet er als Kompliment.
Alexander Zemlinskys Oper „Der Zwerg“, nach anfänglichen Erfolgen nur noch selten gespielt, hatte einen runden hohen Geburtstag: vor 100 Jahren wurde sie erstmals im Kölner Opernhaus aufgeführt, damals am Habsburger Ring, und noch ganz ohne Baustelle, und zusammen mit „Petruschka“, dem Ballett von Strawinsky. In der Oper, frei nach der Novelle „Der Geburtstag der Infantin“ von Oscar Wilde, wird die schlimme Geschichte eines Zwerges erzählt, der nicht ahnt, dass er den gängigen Konventionen und Vorstellungen nicht entspricht. Der Haushofmeister Don Esteban hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, alles zum Schönsten zu richten. Aber leider ist der Zwerg, den er vorstellte, ein Aussenseiter, der überhaupt nicht in diese eher lustige Gesellschaft passt.
Der Opernfreund denkt bei der Literatur des Stoffes an eine konventionelle Inszenierung in düsteren Farben, in klassischen Kostümen. In Köln aber weit gefehlt. Der Regisseur Paul-Georg Dittrich, ein echtes „Nordlicht“, ist ein poetischer Geschichtenerzähler, der audio-visuelle Medien phantasievoll einbezieht, der die vorhandenen Räume unkonventionell nutzt. Und da hatte er in Köln ein leichtes Spiel, denn die enorme Tiefe und Breite im Staatenhaus kann man für großflächige Inszenierungen hervorragend verwenden; man denke in diesem Zusammenhang an die 360°- Inszenierung von Zimmermanns „Soldaten“. So hat Dietrich einen bunten Kindergeburtstag auf die Bühne und auf einen langen Catwalk gestellt, der weit zwischen die Zuschauer reicht. Die Party ging auch im Parkett weiter, viele Zuschauer saßen wie im Cabaret an kleinen Tischen und wurden von ebenso bunten Animierdamen mit Getränken bedient. An einem Glas „verging“ sich später Burkhard Fritz als Zwerg, der offensichtlich arg indisponiert war und dringend einen Schluck Wasser brauchte. Auch wurden die Geburtstagsgäste animiert, Schilder mit Geschenken hoch zu halten; Donald Trump liess grüßen.
Die Schönheit spielte eine große Rolle; großflächige perfekte Werbung für Zahnpasta und professionelle Zahnreinigung, für Botox und Schönheitschirurgie schimmert über eine große Leinwand und auf überdimensionalen hoch hängenden Ballons. Vieles ist auch sofort life von einem Kameramann übertragen. Und gut passend, denn RTL residiert ja gleich nebenan. Man hatte kaum Augen genug, alles mitzubekommen – aber hatte kaum Ohren genug, sich die böse Geschichte zu Herzen zu nehmen und dem ausgezeichneten Gürzenichorchester gebührend zu lauschen. Für den niederländisch-maltesischen Dirigenten Lawrence Renes, weltweit unterwegs, war es der erste Job in der Kölner Oper, den er mit Bravour erledigt hat: feinnervige Wiedergabe, hohe Durchsichtigkeit, schwelgende Romantik und sehr präzise. Bei der Premierenfeier lobte der niederländische Intendant seinen Landsmann dann auch in hohen Tönen.
Der Zwerg ist über die Zuwendung der Infantin überglücklich und möchte sie heiraten; sie spielt das böse Spiel mit und schenkt ihm eine weiße Rose, nicht nur weil er so schön singt. Bis ihm die Geburtstagsgäste einen nicht verhangenen Spiegel vor die Nase halten, sodaß er sein monströses Aussehen sehen kann. Er beendet seinen Gesang, als er merkt, welches Spiel die Prinzessin da mit ihm spielt. Und stirbt dann unter den spöttischen Bemerkungen und dem Gelächter des Hofstaates. In Zeiten von Hexenjagden im Internet, in der ganz normale Menschen per Mausklick zum virtuellen Zwerg gemacht werden können, bekommt dieses alte Thema eine neue, eine reale Wendung.
Musikalisch ist der „Zwerg“ vom Feinsten, bedeutet er für alle Mitwirkenden ein Rollendebut. Kein Wunder. Neben Kathrin Zukowski muss besonders Claudia Rohrbach erwähnt werden, langjähriges Ensemblemitglied; sie ist die dem Zwerg wohlwollende Zofe und hat nach vielen Jahren immer noch eine jugendliche Stimme, die u.a. in vielen Mozart-Partien bestens zu genießen war. Der junge Österreicher Christoph Seidl ist seit dieser Spielzeit Kölner Ensemblemitglied; mit sattem tieftönendem Bass überzeugt er als Don Esteban.
Burkhard Fritz ist ein gestandener Wagnertenor, der für diese sehr anspruchsvolle Partie bestens passt. Im Gegensatz zu anderen Inszenierungen, wo die Rolle tatsächlich von einem Kleinwüchsigen gespielt und ein Alias singt, ist er hier selbst aktiv. Seine große Arie „Das Lied von der blutenden Orange“ legt er bravourös an, hat allerdings große Probleme mit den Höhen. Warum ist seine Indisposition nicht vorher kommuniziert worden ? Im Gegensatz zu den quietschbunten, ständig mit dem Handy fotografierenden Mitstreitern trägt er einen schwarzen Anzug mit Fliege, auf der Stirn eine Künsterlocke. Man hat sehr schnell Mitleid mit ihm.
Viel Arbeit steckten die Ausstatter in diese Produktion. Pia Dederichs und Lens Schmid waren für Bühne und Kostüme verantwortlich, das ungewöhnliche Konzept wurde gemeinsam mit dem Regisseur entwickelt. Entzückend zwar die bunten Kostüme und bedrückend die Veränderung nach dem Tod des Zwergs; der von Rustam Samedov hervorragend einstudierte Damenchor agiert dann als greise Frauen mit Gesichtsmasken und strähnigen Haaren. Auch die Infantin ist alt geworden, hat das Gesicht voller blutiger Striemen; die unbeschwerte Jugend ist vorbei.
Unter den Jubel des ausverkauften Hauses mischten sich aber auch einige Buhs, denen die Inszenierung dann doch wohl zu plakativ und oberflächlich war.
Für den kürzeren zweiten Teil des Abends, das Ballett „Petruschka“ zu der Musik von Igor Strawinsky, sei auf die gängige Opernpresse, z.B. https://opernmagazin.de verwiesen. Es ist fraglich, ob ein Doppelabend mit Oper und Ballett wirklich Sinn macht; aber so passierte es vor 100 Jahren. Und heuer halt wieder.
Premiere am 19. November
Knapp 3 Stunden incl. Ballett
Fotos: © Paul Leclaire
Text von Michael Cramer
Weitere Aufführungen: 27., 30. November, 4., 6., 8., und 10. Dezember