Musik

Haydns “Schöpfung” im Dom – Hoffnung auf Normalität

Fotos: (c) Beatrice Tomasetti

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Die Sehnsucht der Kölner nach live Musik ist groß – kein Wunder nach dieser langen Abstinenz. Erst recht, wenn es sich um ein Konzert im geliebten Kölner Dom handelt, Weltkulturerbe und weltgrößte gotische Kathedrale. Zwar kostenlos, aber die 400 Tickets waren nur über eine Verlosung zu ergattern. Angesagt war „Die Schöpfung“, das berühmte Oratorium von Joseph Haydn, und ausgewiesen als Benefizkonzert für die Opfer der katastrophalen Flut im Ahrtal. Das passte inhaltlich gut zusammen, auch wenn die musikalische Planung lange vorher erfolgte. Denn der Erzengel Gabriel besingt im Oratorium das Wasser – und damit auch die Unwetter – als Quelle allen Lebens; derartig zerstörende Überschwemmungen dürfte er damit kaum gemeint haben.

Sicherlich ist viel Geld zusammengekommen; die Musiker stifteten ihr Honorar, am Ausgang sammelten die Domschweizer fleißig, es fließen reichlich Spenden, auch die Benutzung des Domes war gratis. Vor dem Betreten der gotischen Kathedrale wurden alle Besucher sorgsam auf die „3G“ überprüft; kein Wunder, dass sich eine lange Schlange um den Dom herum gebildet hatte.

Haydns Ehrfurcht vor Gott, seine Bewunderung des Kosmos, spürt man in jeder Note, auch wenn der Geist der Aufklärung über den biblischen Mythos der Erschaffung der Welt in sechs Tagen für den obsiegt. Haydn hat über zwei Jahre an dem Werk gearbeitet, hat die „Programmmusik“ damit ins Leben gerufen, Wetterphänomene und Tierlaute glaubt man zu vernehmen.

Das Solistentrio v.l. Thomas E. Bauer, Julian Prégardien, Anna Dülke (Alt, Chorsolo), Regula Mühlemann

Optisch sehr ansprechend marschierten die jugendlichen Choristen (Einstudierung Eberhard Metternich und Oliver Sperling) um den Altar herum in den Südchor, den Bereich vor dem Richter-Fenster, wo eine riesige weiße Kugellampe genügend Licht spendete, um die Noten lesen zu können und für die TV-Übertragung vom Dom-Radio. Leider herrscht in diesem Teil des Domes ein extremer Nachhall, geschätzt 6-8 Sekunden, so dass der Rezensent sich bereits mehrfach überlegt hatte, diesen Presse-Bereich zu meiden. Aber die Lust auf die Musik überwiegt regelmäßig. So wird der Stardirigent Kent Nagano am 29.10. die „Missa Solemnis“ von Beethoven dirigieren, es spielt das „Concerto Köln“; das kann man sich doch unmöglich entgehen lassen.

Das Domkonzert, seit 10 Jahren gemeinsam gestaltet mit dem Gürzenich Orchester und unter der Leitung von Domkapellmeister Eberhard Metternich, hat eine lange Tradition, die Dirigenten wechseln sich jährlich ab. Dieses Mal kam statt GMD Roth ein “Neuer” dazu: der junge Franzose Raphael Pichon, einstiger Chorknabe, dann ausgebildet als Counter-Tenor und heute viel gefragter Dirigent für Alte Musik. Man merkte an seiner Stabführung: er kannte und wusste, was er da dirigierte. Glasklare Stimmen, blendend einstudiert, rhythmisch perfekt, ließen regelrecht aufhorchen. Und erst das Solisten-Trio mit Regula Mühlemann, Julian Prégardien und Thomas E. Bauer.

 

Letzter mit beeindruckender schwarzer Tiefe, während der strahlende Tenor von Prégardien mühelos die Klippen seines anspruchsvollen Solistenparts erklomm. Musikalischer Höhepunkt war zweifellos der Sopran von Regula Mühlemann: Faszinierend in Farbe und Linienführung, sicher und dennoch sehr klangschön in den großen Höhen, beinahe „engelsgleich“ trotz des Halls. Kein Wunder, dass die Schweizerin überall Preise abräumt.

Haydns „Die Schöpfung“, voll des Gotteslobes und des Dankes, wurde erstmalig 1799 im alten Wiener Burgtheater aufgeführt und erlebt bis heute eine ununterbrochene Aufführungstradition; ein prachtvolles Stück Musik mit viel Substanz zum Nachdenken und zur Andacht. Sehr groß und lang daher der Applaus im Dom.

 

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