Musik

Erich Wolfgang Korngold: Die Tote Stadt 

Atemberaubender Opernkrimi im Kölner Staatenhaus

 

Die Versuchung war schon da, den Stream der Aufführung „nur“ auf einem TV-Bildschirm anzusehen; von „Genießen“ kann man ja kaum sprechen. Aber glücklicherweise hatte ich mich enthalten; so konnte ich mich an dieser grandiosen Interpretation von Tatjana Gürbaca (*1973) quasi unvorbereitet und uneingeschränkt erfreuen. Wie auch zu lesen war, gab es bei der Life-Übertragung etliche technische Probleme; also gut entschieden. Gürbaca, die ab 2012 in Köln mit „Così fan tutte“, „Leucippo“ von Johann Adolf Hasse und mit der Braunfels-Oper „Jeanne d`Arc“ viel beachtete Kölner Erstaufführungen inszenierte, hatte aus der Geschichte um Marie, die verstorbene Ehefrau von Paul, einen echten Psychokrimi gemacht.

Der Komponist, das musikalische Wunderkind Korngold wäre gleichauf berühmt geworden mit Puccini und Richard Strauss, musste aber als Jude nach USA emigrieren. Dort schrieb er vorrangig einträgliche Filmmusiken; die Hinwendung zur klassischen Musik und Rückkehr nach Wien war allerdings wenig erfolgreich. Er starb im Alter von 60 Jahren an einer Hirnthrombose in seinem Wohnort Los Angeles, seine Musik geriet zunächst in Vergessenheit,  bis nach einer Neuproduktion in New York auch die deutschsprachigen Opernbühnen nachzogen. 1998 erfährt die „Tote Stadt“ in Köln eine Neuaufführung, und anno 2020, einhundert Jahre nach der Uraufführung, kommt es zu einer Neuproduktion. Wenn auch wegen Corona zunächst ohne Publikum.

Die Geschichte spielt in Brügge. Marie, die heißgeliebte Frau von Paul ist tot, er richtet für sie eine Art Mausoleum mit Foto inclusive Haarzopf als Altar ein, er kann nicht loslassen und trauert so eingehend, dass er kaum in sein eigenes Leben zurückfindet. Zufällig trifft er auf die lebenslustige Marietta, die der Verstorbenen verblüffend ähnelt; Paul bringt die Wiedergängerin später um, auch sich selbst setzt er das Messer an den Hals, im Video von schnittmenge.de gut zu verfolgen.


Aber offensichtlich ist alles ein Tagtraum, denn Marietta kommt am Ende noch einmal zurück, weil sie ihren Schirm vergessen hat – eine Geschichte zwischen Realität und Einbildung. Stefan Heyme hat als Bühne eine runde drehbare Bar gebaut, an der sich zwielichte Elemente, ähnlich wie bei dem berühmten Gemälde von Hopper, langweilen, dazu Vorhänge aus lauter weißen Fäden. Silke Willrett ist für die passenden Kostüme verantwortlich.

Musikalisch ist ganz Großes zu erleben. Das auf Wagner-Dimensionen erweiterte Orchester (3 Harfen !) sitzt rechts, der Dirigent Gabriel Feltz, u.a. GMD in Dortmund, hat den Riesenapparat auch für die Zuschauer sichtbar sehr gut im Griff, es erklingt ein überbordender Musikrausch von hoher musikalischer Opulenz mit blendend aufgelegten Bläsern. Der Chor unter Rustam Samedov singt Corona bedingt aus dem Off und aus verschiedenen Ecken; ein klanglich sehr interessanter Effekt. Auch die Sängerriege kann sich hören lassen, allen voran die litauische Sopranistin Aušrine Stundyte, die gerade in Salzburg als Elektra große Erfolge feierte: Mit glasklarer Stimme, kraftvoll, mühelos in den Höhen und mit faszinierendem Spiel; sie war bis 2009 Ensemblemitglied in Köln und wurde damals mit dem Offenbachpreis ausgezeichnet.

Den Paul sang Stefan Vinke, ein gestandener und vielfältig erprobter Wagner-Tenor, mit einer mächtigen Stimme, der die schwierige und anspruchsvolle Partie sicher meisterte. Seinen Freund Frank gab der Kölner Publikumsliebling Miljenko Turk; seine Stimme, oftmals in Köln gehört, scheint reifer geworden zu sein. Auch Kammersängerin Dalia Schächter lag die Rolle der Haushälterin sehr, immer wieder gefällt ihr glutvoller Mezzo. Regina Richter und John Heuzenroeder aus dem Ensemble brillieren in den kleineren Partien, ebenso Anna Malesza-Kutny aus Polen und Dustin Drosdziok; beide stammen aus dem Kölner Internationalen Opernstudio.

 

Es war ein ganz großer Opernabend, mit Herzklopfen und kleinen Schweißausbrüchen. Und endlich mal wieder mit einer Premierenfeier.

Wer noch nicht drin war: 17., 19., 22. und 25. September.

Fotos ©Paul Leclaire

 

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