Ein “neues” jüdisches Museum in Köln – MiQua/Kolumba
„Hurra, Köln hat wieder ein jüdisches Museum“, das war der Tenor des Eröffnungsstatments bei der sehr gut besuchten Pressekonferenz. „… aber das ist doch noch gar nicht fertig, und außerdem versperrt es den Blick auf das Wallraf-Richartz-Museum, das historische Rathaus und die Kirche “Maria im Kapitol“. Um den Neubau auf einem der letzten freien Plätze in Köln wurde lange heftig diskutiert; schließlich siegte die Erkenntnis, dass hier etwas Einmaliges geschaffen würde und dieser Platz früher ohnehin immer schon bebaut war.
„MiQua“, das mittelalterliche Quartier über den umfangreichen Ausgrabungen, nimmt langsam an Gestalt und an Volumen zu; viele Fundstücke waren im Prätorium zu besichtigen. Das alles ist zur Zeit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, denn hier entsteht ein umfangreicher römischer, mittelalterlicher und jüdischer Komplex, angeblich der größte nördlich der Alpen. Die Tourismusabteilung der Stadt dürfte das freuen.
Oben: das Museum im Werden vor dem hist. Rathaus.
Entstanden ist die Idee für diese Ausstellung auf dem Bürgersteig vor dem Belgischen Haus, dem Interimquartier des Römisch Germanischen Museums. Stefan Kraus, Chef von Kolumba, parlierte damals mit Thomas Otten, Leiter des MiQua, über die soeben stattgefundene Eröffnung, als die Idee aufkam, doch so etwas über das jüdische Leben in Köln zu organisieren. Kraus bot dafür „sein“ Museum an, wo ohnehin ein jährlicher Wechsel der Exponate stattfindet, wenn auch immer aus eigenen Beständen. Gesagt, getan; wenn das Projekt auch über internationale 100 Leihgaben erforderlich machte. Aber es passte gut in das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Denn so Kraus: „Geschichte kann man nicht ausstellen, aber von den erhaltenen Dingen Geschichten erzählen.“
Pressekonferenz im Hof von Kolumba: v.l. Dres Kraus, Otten, Lubeck, Otten
Nach dem kompletten Titel der Ausstellung „In die Weite. Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland“ wird jüdischer Alltag mit Gegenständen, Literatur, Kunst und rituellen Objekten gezeigt: Ulrike Lubeck, Direktorin des Landschaftsverbands Rheinland, dazu: „Die Ausstellung entführt uns mit diesen Zeugnissen auf eine Reise zu Aspekten jüdischen Lebens als Teil der europäischen Geschichte. Damit stellt sich der LVR zusammen mit der MiQua und Kolumba gegen jede Form von Antisemitismus und Diskriminierung”.
Temporäres Herzstück der Ausstellung ist eine wertvolle Leihgabe aus der Bibliotheka Vaticania, ein Dekret von Kaiser Konstantin aus dem Jahre 321, früheste Quelle für jüdisches Leben in Köln. Demnach sollten und durften Juden städtische Ämter bekleiden; das bedeutet mindestens 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Kardinal Woelki hatte sich sehr um dieses Schriftstück bemüht, welches in Rom eigentlich einem grundsätzlichem Ausleihverbot unterliegt: es wird bis zum 11. Oktober in Kolumba zu sehen sein und ist „ein starkes Symbol der Verbundenheit zwischen Juden und Christen In unserer Stadt“, so Ulrike Lubeck. „Ein solch wertvolles Schriftstück nun ausstellen zu dürfen, ist für den LVR, der mit seinen Museen und Kultureinrichtungen große Erfahrungen mit bedeutenden Objekten hat, ein absolutes Highlight in diesem Jahr“.
Beschneidungsbank
Die vielen ausgestellten Objekte sind wie immer unbeschriftet. Aber anstatt des üblichen Faltblatts gibt es diesmal ein richtiges dickes Taschenbuch mit 176 Seiten zur Eintrittskarte dazu – zum ruhigen Studieren vor und nach dem Besuch. Und zur Ergänzung gibt es später einen dicken Fotoband. Vielleicht kann man die Eintrittskarte vorab kaufen, in Ruhe lesen und erst später in die Ausstellung gehen. Dann weiß man mehr, was die Objekte bedeuten. Etwa die zahlreichen Alltagsgegenstände, Rechengeräte und Spiele. Berührend ist der colorierte Brief eines jungen Soldaten an seine Familie. Es war wohl auch so, dass Kölner Steinmetze der Dombauhütte für die Juden gearbeitet haben, sogar Rosenkränze seien von ihnen angefertigt worden. Die Ausstellung tritt nach Kraus genau nicht “in die Schoa-Falle”, sondern zeichnet ein lebendiges und überraschendes Zeugnis jüdischen Lebens in allen Bereichen, ganz ohne den Hauch eines Ghettos.
Auch ein seltenes Möbel – Leihgabe des jüdischen Museums in Berlin – ist zu sehen; es diente als rituelle Beschneidungsbank. Auf der einen Seite sitzt der Pate des eine Woche alten Kindes, der zweite Platz ist symbolisch für den Propheten Elias, das Kind beschützen soll. Abstoßend hingegen das verpflichtende Siegel eines Pfandleihers, der eine Sau an den Hinterläufen hält, die ihm ins Gesicht kotet. Rebecca Horn hat mit „Berlin Earthbound“ einen Koffer installiert, der an einer Stange immer wieder hochfliegt; vielleicht ein Symbol für die Reisen der Juden in sichere Gefilde. Woanders liegt eine Pappschachtel für 12 Karteikarten: die Zwölftonbox für Arnold Schönbergs Oper „Moses und Aaron“, in 48 Reihenfolgen zu spielen.
Das physikalisch größte Objekt ist der Gipsabdruck vom Titusbogen in Rom, gleich unten im Empfang; dargestellt ist der römische Siegeszug mit den Kultusgeräten aus dem Tempel in Jerusalem; für die Juden damals und vielleicht auch heute noch ein Trauma. Auch eine Regenbogenfahne mit Davidstern des queer-jüdischen Vereins Keshet wird gezeigt. Den Humor jüdischen Lebens greift John Elsas auf: mit 75 gibt er seinen Job als Börsenmakler auf und dichtet: „Mein ganzes Leben war ein Fehler, da wurd´ ich Maler und Erzähler“; er fertigt unglaubliche 25.000 Aquarell-Collagen für seine Enkelkinder. Seine Tochter Irma hatte seinen Nachlass versteckt, bevor sie in Theresienstadt ermordet wurde. Berührend ist ein Kinderfahrrad, welches 1936 verpackt und erst 80 Jahre später wieder ausgepackt wurde. Ob der Besitzer es je wieder gesehen hat, ist ungewiss.
Funde aus der Genisa (Niederzissen)
Spannend sind auch die Funde aus der vollständig erhaltenen Genisa aus Niederzissen (Eifel). Hier lebten einst 600 Juden, von denen kein Nachfahre mehr da ist. In einer Genisa werden unbrauchbare liturgische Objekte ehrfurchtsvoll verwahrt, anstatt sie zu entsorgen. Das ist praktisches Judentum „zum Anfassen“.
Die großartige Ausstellung ist so vielschichtig, dass hier gar nicht alles aufgeführt werden kann. Vor allem sind für den Betrachter die kleinen nebensächlichen Dinge viel wertvoller als manche hoch versicherte Objekte. Dringende Empfehlung: bitte selbst reingehen. Die Ausstellung kann die Berührungsangst mancher Zeitgenossen mit dem Judentum lindern und sogar Neugierde erwecken. Damit wäre schon sehr viel gewonnen.
“In die Weite – Aspekte jüdischen Lebens in Köln” MiQua-Kolumba
Kolumbastraße 4 in Köln,
Mittwoch – Montag 12:00-17:00. Dienstag geschlossen