Das Stadtarchiv Köln – wieder hoch lebendig
Das Stadtarchiv Köln – ist wieder fast voll da.
Den beliebten Büttenredner und Commedian Guido Cantz (“Verstehen Sie Spaß?”), der gerne auf seine Herkunft aus Porz hinweist, dürfe es freuen, gibt es doch im Stadtarchiv einen “Porzer Stadtmarsch”; ob er davon wohl weiß ?
Unklar ist auch der Sinn des Ausrufezeichens im Titel der ersten Ausstellung des neuen Stadtarchivs „vergiss es ! nicht“. „Vergiss es !“ ist eigentlich eine Aufforderung, sich eben nicht zu erinnern. Im Gegensatz dazu agiert man im benachbarten Gerichtsgebäude, hier wird so schnell nichts vergessen. Egal wie man das sehen mag: das Kölner Stadtarchiv ist wieder voll da und leidet keineswegs an Gedächtnisverlust, wie die Archivdirektorin Dr. Bettina Schmidt-Czaia auf der Pressekonferenz beteuerte. Diese erste Ausstellung, kuratiert von Dr. Max Plassmann, besteht überwiegend aus geretteten und restaurierten Objekten und Dokumenten, ein Drittel ist erst nach dem Einsturz neu dazugekommen. Dies zeigt die Lebendigkeit des Archivs, eines der größten kommunalen Archive überhaupt.
Die Ausstellungseröffnung am Abend war völlig überbucht, sodass die hand- voll Journalisten am Vormittag in den Genuss einer „Privatführung“ durch den Kurator kamen. Bei der Begrüßung hob die Archivdirektorin darauf ab, dass sich hier Menschen ein Bild ihrer Vergangenheit machen können, und dass in der an Kulturgut reichen Stadt Köln dieser Schatz erhalten wird; das Gedächtnis der Stadt lebt, es ist zwar durch den Einsturz in Mitleidenschaft gezogen, aber weiterhin auf die Zukunft gerichtet. Aber man hat auch manche historische Schätze entdeckt, die verschollen waren. Oder die Zuordnungen der Dokumente neu festgelegt.
Der Kurator hat für die Ausstellung ein breites Spektrum von 105 Objekten ausgewählt, die für Köln wichtig sind unter den Überschriften „Medien und Rituale der Erinnerung“, „Totengedächtnis“, „Familien als Erinnerungsgemeinschaften“, „Verluste, Niederlagen und Katastrophen“, und natürlich etwas zum Einsturz des Archivs. Schlichte Dokumente neben prachtvollen Objekten. Optisch bescheiden, aber riesig groß ist der „große Schied“ von 1258; diese Urkunde beendet den ewig langen Streit der Kölner mit ihrem Erzbischof um die Stadtherrschaft, wozu es in der Gegenwart ja durchaus eine Parallele gibt. Die Ausstellung zeigt auch den Verbundbrief von 1396, mit dem sich Köln eine Stadtverfassung gab; inhaltlich geht es z.B. um das Münzrecht und die Gerichtsbarkeit.
Den französischen Besatzern sollte damit die demokratische Gesinnung dokumentiert werden, auch Hitler bekam ein deutsches Exemplar; mit dem Schied konnte dann nach dem Krieg erneut für die Demokratie geworben werden. Ähnliches haben die Kölsch-Brauer versucht mit einer Kölsch-Konvention, allerdings erst 1966, um das Reinheitsgebot werbewirksam zu dokumentieren. Ähnliche Aufgaben hatte ein frühes Grundbuch und natürlich religiöse Schriften; in einer hat ein Mönch eine Randnotiz vermerkt: „Hier fehlt nichts, sondern der Kater hat in der Nacht drauf gepinkelt“.
Auch Fälschungen werden entlarvt, so die Mär, dass der Karneval schon vor 1832 existierte. Auch wurde in einem Eidbuch der Name eines windigen Herrn übermalt, um ihn vor der Ausweisung zu bewahren. Ebenso gibt die aus den Trümmern geborgene alte Statue des griechischen Helden Jason Rätsel auf hinsichtlich Besitzer, Künstler und Herkunft. Plassmann vermutet, dass die Statue eine nicht dokumentierte Schenkung ist oder aus einem der Nachbarhäuser stammt. Aber echt sind die Urkunden zur Erlaubnis, eine Stadtmauer bauen zu dürfen, und zum Stapelrecht. Nach diesem mussten durchreisende Händler ihre Waren zunächst in Köln anbieten, was einen erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung nach sich zog.
Ausgesprochen hübsch, wenn auch historisch nur zweitrangig sind etwa das barocke Feldherrendiplom des Jan von Werth von 1635; der Erzbischof Hermann von Hessen besaß ein prachtvolles Brevier, ausgestellt sind auch die mittelalterlichen Evangeliarien aus den Kirchen St. Pantaleon und St. Gereon. Auch über den großen Kölner Heinrich Böll sind etliche Dokumente präsentiert. Und sehr, sehr vieles mehr, was den Rahmen einer Rezension deutlich übersteigt. Daher: am besten hingehen und selbst schauen, und vor allem viel Zeit mitbringen.
Die Archivdirektorin hatte sich ihr berufliches Leben sicher ein wenig anders vorgestellt als nach dem katastrophalen Einsturz alles wieder aufzuräumen; und das wird sich auch noch Jahrzehnte hinziehen. Aber die Stadt hat ihr Gedächtnis keineswegs verloren, wie sie bekräftigte. Und sie ist sehr froh, in ihrer Amtszeit den Neubau noch hinbekommen zu haben. Da kann man nur dankbar gratulieren.
Vergiss es ! nicht -Vom Erinnern und Vergessenwerden. Historisches Archiv der Stadt Köln, Eifelwall 5. Ausstellung bis 8. Mai 2022. Dienstag bis Freitag 9-16:30 Uhr, Mittwoch bis 19:30 Uhr, Eintritt frei.
Umfangreiche Begleitveranstaltungen hier: www.vergissesnicht.de
https://www.koelnarchitektur.de/pages/de/news-archive/32989.htm
Text und Fotos : ©Michael Cramer