Susanna- von der Bibelgeschichte bis zu MeToo-Bewegung
Text und Fotos: Michael Cramer
“Jede Menge nackter Weiber“, könnte ein von Kunst gänzlich unbeleckter Zeitgenosse, den man ohne Vorinformation in die Susanna-Ausstellung schickt, dazu berichten. “Aber auch viele alte geile Böcke, welche die Frauen lüstern anstarren.“ Im Grunde hat der Betrachter recht; der amerikanische Regisseur Harvey Weinstein, durch den die MeToo-Aktionen ins Rollen gekommen waren, und der daher für 23 Jahre hinter Gittern sitzt, ist 70 Jahre alt und nicht gerade eine Schönheit. Aber er hat viel Macht im Filmgeschäft und kann bzw. konnte die Karriere von Frauen stark beeinflussen. Ob er das Gefängnis jemals lebend verlassen wird, ist unklar, denn ihm droht ein weiterer Prozess.
Das alles gab es bereits in der Bibel; im Alten Testament, Buch Daniel 13,20, erpressen zwei lüsterne wie mächtige Richter die verheiratete Susanna, sich ihnen hinzugeben, da sie sonst mittels ihrer untereinander abgesprochenen Aussage für ihre Verurteilung wegen Ehebruch sorgen würden. Der Prophet Daniel drehte jedoch den Spieß um; bei getrennten Verhören verwickelten sich die Herren in Widersprüche, sie wurden zum Tode verurteilt, Susanna aber kam frei.
Ein uraltes, klassisches Thema, zu dem das Wallraf drei alte, mit Tinte beschriebene Papyrusfragmente eines anonymen Schreibers um 200 ausstellt, Leihgabe des Kölner Instituts für Altertumskunde. Ein historischer Krimi gewissermaßen, in dem das schamlos ausgenützte Machtgefälle genau der MeToo-Thematik entspricht.
Sehr alt und sehr kostbar ist der Bergkristall-Diskus aus dem Britischen Museum; wie in einem Comic ist die Geschichte aus Karolingischer Zeit bebildert mit dem Kreuzverhör der beiden alten Richter, handwerklich wirklich atemberaubend gemacht.
Eines der Hauptwerke ist das Bild “Susanna und die Alten”von Jacopo Tintoretto, nicht nur wegen seiner schieren Größe von 171 x 300 cm. Hier versucht einer der beiden Spanner der Susanna, der ihre Dienerin gerade die Strümpfe auszieht, quasi “unter den Rock” zu schauen.
Auch wenn die Männer auf den ausgestellten Bildern eher schlecht wegkommen, so sollte aber auch der Blick in die Gegenwart gerichtet werden, nämlich auf unsere jungen Damen. Aufreizende, sehr knappe Kleidung, ein tiefer Ausschnitt möglichst bis zum Bauchnabel, gerne die Blickmöglichkeit auf einen Tanga, und dann vielleicht noch etwas Koks in der Nase: da darf man eine Übergriffigkeit nicht pauschal verdammen. Wenngleich eine Täter-Opfer-Umkehr naheliegend ist. Dies allerdings ist auf den ca. 90 ausgestellten Bildern und Objekten nicht der Fall, alles ist meist hübsch züchtig, der Schoß fast immer verdeckt. Aber Susanna wehrt sich oft gegen einen anstehenden sexuellen Übergriff mit über der Brust verschränkten Armen und übereinander geschlagenen Beinen.
Dennoch werden die Frauen oftmals als „Mitakteurinnen“ ebenfalls verurteilt; krasse Beispiele sind Verfahren in streng islamisch geprägten Ländern, wo eine verwaltigte Frau hart bestraft werden kann.
Es ist erstaunlich, wie oft ab 1500 das Thema „Susanna und die Alten“ in der Malerei thematisiert worden ist; ganz modern sogar im Film. Die Schauspielerin Tippi Hedren („Psycho“, „Die Vögel“, „Marnie“) berichtete von heftigen Übergriffen des Regisseurs Alfred Hitchcock, der ja nun gerade kein Adonis war. Im Psycho-Film ist das Loch, durch das der schizophrene Serienmörder Norman Bates seine Opfer beobachtet, verdeckt durch ein Gemälde von Willem van Miries von 1731: die fast nackte Susanna wird in einem Garten von zwei Männern bedrängt.
Im Museum ist ein kleiner separater Raum für diesen Film hergerichtet. Interessant auch für die Presse ist das Titelblatt der renommierten Zeitschrift “THE NEW YORKER” zu Übergriffigkeit. Die Frau sitzt dort mit der klassischen Abwehrhaltung, während der mögliche Täter über eine Jalousie gerade den Raum verdunkelt.
Es ist sehr beeindruckend, wie umfangreich das Wallraf diese weltweit erste Ausstellung zum Susanna-Thema vorbereitet hat, mit Leihgaben von Anthonis van Dyck, Rembrandt, Eugène Delacroix, Édouard Manet und Lovis Corinth. Vieles schlummerte im eigenen Archiv und anderen Kölner Museen und bei Privatleuten. Dazu kommen hervorragende Arbeiten von zeitgenössischen Künstlerinnen wie Kathleen Gilje, Heike Gallmeier und Zoe Leonard. Eine Besonderheit ist das Gemälde von Artisemia Gentleschi (1593-1654); die lange vergessene, bedeutende italienische Barockmalerin war selbst ein Vergewaltigungsopfer und ist heute eine Ikone der Feministinnen-Bewegungen.
Zum Thema „Gegenwehr“ ist hier auf die Arbeit von Kathleen Gilje hingewiesen: in einem inszenierten Röntgenbild legt sie unter einem Gemälde von Artisemia Gentleschi ein Bild frei, wo sich die Malerin mit einem Dolch gegen den Aggressor wehrt. Das Gefängnis ersetzt heutzutage den Dolch, die Gerichte sind da sehr sensibel geworden; Raserei mit Todesfolge wird sogar als „Mord“ geahndet.
Die Ausstellung ist gegliedert in einen Prolog, in die eigentliche Susanna-Erzählung, in die sexualisierte Gewalt, wo oft Mitleid mit der Frau gefordert wird. Bei der „Artistik“ geht es um die Nacktheit der Susanna, um evtl. verbrämte Pornografie. Interessant wäre zu wissen, wie weit sich lesbische Frauen an den Bildern erfreuen könnten. Nach dem Hitchcock-Thema geht es um Susanna die Vielgestaltige. Als Figur war sie theologisch, politisch und ideologisch heiß umkämpft, in einer großen Bandbreite vom verschreckten Opfer bis hin zur wehrhaften Tugendheldin.
Die beiden Kuratoren hatten eine sehr fachkundige und glückliche Hand bei der Zusammenstellung der Ausstellung und des sehr umfangreichen Katalogs zum Thema mit einer schier unübersehbaren Fülle von Gemälden, Zeichnungen, Möbeln und kleinen Kunstwerken; im Rahmen der Pressekonferenz am 26. Oktober gab es sogar eine kleine Privatführung. Ein Besuch der Ausstellung kann wärmstens empfohlen werden.
“Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo.” Bis zum 26. Februar 2023. Dienstag bis Sonntag 10:00-18:00 Uhr.
Dazu ein reichhaltiges Beiprogramm, spezielle Führungen für Jugendliche, erweiterte Öffnungszeiten. Alles unter www.wallraf.museum