Museen

Colonian Rhapsody – 45 Jahre Musik in der Nachkriegszeit

Eine sehr vielschichtige Ausstellung im Kölner Stadtarchiv

Es ist schon erstaunlich, wenn jemand über sich behauptet, von Musik überhaupt keine Ahnung haben, aber dann eine blendende Ausstellung über die Kölner Musikszene von 1945-1990 kuratiert. Die Rede ist von Niclas Esser, Archivar im wiedererstandenen Historischen Archiv der Stadt Köln. Zwei Jahre hat er sich über die umfangreichen Bestände des Archivs her gemacht und mit 150 Exponaten eine tiefgründige und glutvolle Ausstellung zusammengestellt, die am 3. November in einer kleinen Feierstunde eröffnet wurde, im Beisein zahlreicher Mitarbeiter des Archivs. Chapeau, chapeau !

Dr. Elster, Bürgermeister
Kurator Niclas Esser

Mit dem Bürgermeister Dr. Ralph Elster war auch die Stadt vertreten; er verwies auf die vielen Berühmtheiten, die das Kölner Kulturleben hervorgebracht hatte und auf den bedeutenden Wirtschaftsfaktor der Musik für die Domstadt.

Im Archiv harrte der Nachlass des 1985 verstorbenen Komponisten Heinz Pauels auf die Aufführung seines Streichquartetts op. 4, ein bedeutendes Werk, nach einer Anregung seiner Tochter Erika Rahman-Pauels, das Stück aufzuführen. Pauels hatte nach dem Krieg das Gürzenichorchester neu aufgebaut und war als Dirigent und Komponist eine feste und beliebte Größe im Kölner Musikleben.

Das Alinde Quartett brillierte mit diesem Stück Neuer Musik, mit dem herausragenden Cellisten Bartolomeo Marchesi – und gut passend zum Thema der Ausstellung. Anlässlich der Ausstellung war es eigens einstudiert worden. Für Heiterkeit unter den 150 Gästen sorgte ein Disput unter den Musikern über die Verwendung von iPads anstatt Noten auf Papier; denn für letzteres war es viel zu düster. Daher: man hatte eine gute Entscheidung getroffen.

v.l. Bürgermeister Dr. Ralph Elster, Dr. Ulrich Fischer, Kurator Niclas Esser

Der stellvertretende Archivdirektor Dr. Ulrich Fischer kündigte anstelle der erkrankten Chefin Dr. Schmidt-Czaia den Kurator der Ausstellung an: Niclas Esser berichtete, nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Ohren im äußerst wechselhaften Archiv gestöbert zu haben. Eine Rhapsody sei nicht etwas Einheitliches, sondern im Gegenteil bruchstückhaft und thematisch äußerst wechselhaft.

So widmet sich die Ausstellung einerseits den Sternstunden des Kölner Musiklebens nach dem Zweiten Weltkrieg; ausgewählte Exponate verhalfen Köln zu einer international angesehenen Musikstadt. Aber auch die sehr vielen kleinen freien Theater, Orchester oder Kleinkunstbühnen schufen eine berückende Kultur-Atmosphäre, die ein interessiertes Publikum nach Köln lockte, als Tagesgäste oder auch zum permanenten Wohnen.

Der zerstörte Gürzenich
1945: Ein frühes Konzert noch in der Aula der Universität
Smalltalk mit Imbiss

Dazu hat Esser Dutzende Bestände des Archivs durchforstet, tausende Plakate, Fotografien, Programme, Zettel und Broschüren durchgesehen, unzählige Akten, Briefe und Partituren gesichtet und jede Menge Literatur gewälzt. So ist aus dem bekennenden Nicht–Kenner ein Musik–Fachmann geworden, der eigentlich einen Doktortitel h.c. verdient hätte. Kommt ja auch vielleicht noch.

Schwerpunkte der Ausstellung sind natürlich die großen kulturellen Bauprojekte, wozu jede Menge Dokumentation existiert. Und die großen Musiker. Da gab es den phänomenalen Komponisten Bernd Alois Zimmermann, der mit seiner Oper „Die Soldaten“ Musikgeschichte geschrieben hat (Uraufführung in Köln 1965). Der Komponist setzt sich in seiner Oper mit seinen persönlichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg und mit den Bedrohungen der Welt durch eine atomare Katastrophe auseinander. 2018 dirigierte der GMD F.X. Roth eine Inszenierung, die im 360Grad-Modus im Staatenhaus spielte, mit den Zuschauern auf speziell angefertigten Drehstühlen. Zimmermann litt lange unter schweren Erkrankungen und suchte schließlich den Freitod.

Ganz anders dagegen der große Dirigent Günter Wand, 30 Jahre Chef des Gürzenichorchesters, der von einer sehr beeindruckenden Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie kurz nach dem Krieg und frierenden Zuhörern fast im Freien berichtete.

Gezeigt wird auch das originale Gästebuch der Künstlerin Mary Bauermeister *1934, die heute in Rösrath lebt. Sie lebte temporär mit Karl Heinz Stockhausen zusammen und hatte ein Studio in Köln, wo sich in den 1960er Jahren avantgardistische Dichter, Komponisten und bildende Künstler die Klinke in die Hand gaben. Köln als Welthauptstadt der Neuen Musik, dokumentiert im Stadtarchiv.

Gästebuch der Mary Bauermeister
“Noten” von Robert HP Platz

Aber auch die Renaissance der „Alten Musik“ ist in Köln quasi geboren, symbolisch gezeigt an einem historischen Cello von 1731. Köln ist eigentlich Hauptstadt der Barockmusik, zahlreiche Gruppierungen und spezielle Orchester sind zusammengefasst im „Zamus“. Auch die Jazz-Szene ist in Köln stark vertreten, sei es über den berühmten Promoter Gigi Campi (der später vom Finanzamt aus Köln vertrieben wurde) oder über Kurt Edelhagen und seine WDR–Bigband. Dazu gehört auch das legendäre “Subway” an der Aachener Straße, wo man allen Größen der Jazzszene zum Anfassen nah kam. Und die zahlreichen großen und kleinen Chöre, welche sich sogar in der Philharmonie präsentieren durften.

Nicht zu vergessen der Kölsch-Rock, der durch Wolfgang Niedeckens BAP eine überregionale Bedeutung erlangt hat, ebenso wie die Brauchtums- und Karnevalsmusik; wer kennt nicht Marie Luise Nikuta oder den Willy Millowitsch.

    

Zu sehen sind auch die orinigalen Regiebücher von Klaus Rohr, dem langjährigen Autor des Divertissementchen. Klaus der Geiger fiedelt immer noch, und glücklich kann sich schätzen, wer noch eine Original-LP des legendäres Köln-Konzertes im Kölner Opernhaus von Keith Jarret von 1975 besitzt.

 

Colonian Rhapsody – das ist keine Ausstellung mit spektakulären Objekten zum Anfassen, sondern ein subtiler Führer durch viele Jahre Kölner Nachkriegs-Musikgeschichte. Sie erinnert an den kulturellen Neuanfang in einer schwierigen Zeit und fordert den Besucher auf, gemessenen Schrittes und vielleicht etwas andächtig auch durch seine eigene musikalische Vergangenheit und private LP-Sammlung zu schreiten. Um dann in Ruhe zu Hause sich dem umfangreichen Katalog zu widmen. Und sich darüber zu freuen, was das Stadtarchiv so alles verwahrt hat.

O-Ton des Kurators: “Musik – egal welcher Art – ist in Köln nicht nur eine Herzensangelegenheit; sie gehört zur Kölner Lebensart dazu wie der Rhein, der Dom und das Kölsch. Nur die Reihenfolge variiert von Fall zu Fall”.

In der „Colonian Rhapsody“ ist übrigens mittlerweile auch eine Hörstation eingerichtet worden, so dass es nicht nur visuell Erfassbares, sondern auch tatsächlich Musik zu genießen gibt.

Das Beiprogramm beginnt nächste Woche Dienstag (22.) mit einem Abend mit der “Kölner Gesellschaft für Neue Musik”, die auch ihr Archiv an das Stadtarchiv übergeben wird. Die weiteren Veranstaltungen finden Sie u.a. hier:

https://www.freunde-des-historischen-archivs.de/veranstaltungen/

Text und Fotos: Michael Cramer

Historisches Archiv der Stadt Köln, Eifelwall 5

www.colonianrhapsody.de

Di-So: 10:00 bis 16:30 Uhr, Do: bis 19:30 Uhr

Ausstellung bis 23.04.2023

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