Musik

„Pollicino“ von Hans Werner Henze an der Kinderoper Köln

„Pollicino“
Alle Fotos: Matthias Jung

Fern ausgesetzt im Walde

25. Juni 2018

Von Michael Cramer

„Ein Märchen für Musik“ nannte Hans Werne Henze, der große Deutsche Komponist des 20. Jahrhunderts, seine Oper für Kinder: „Pollicino“ (1980). Er schrieb die Geschichte vom Däumling, der in deutschen, französischen und italienischen Märchen nach Carlo Collodi (auch Autor des Pinoccio) vorkommt, für die Kinder von Montepulciano in seiner Wahlheimat Italien. Nicht nur Publikum sollten diese sein, sondern auch selber singen und musizieren, unterstützt von nur wenigen Profis am Klavier, Harmonium, auf der Violine und der Bühne. Der orchestrale Teil ist so angelegt, dass Kinder auch ohne tiefere Musikkenntnisse mitmachen können; neben dem Orff´schen Klangapparat kommen unterschiedliche Blockflöten, Gitarren, Geigen und Celli und seltene alte Instrumente wie Krummhorn und Streichpsalter zum Einsatz, die eigens erlernt wurden.

Man kann sich vorstellen, welch immenser Aufwand von den Lehrern der Rheinischen Musikschule und des Kölner Humbold-Gymnasiums betrieben werden musste, um die über 60 aktiven jugendlichen Instrumentalisten vorzubereiten. Dazu kommen 20 junge Sängerstimmen, die in den sechs Vorstellungen alternieren. So wurde die Streichergruppe von Elisabeth Polyzoides, im Stück selbst mitspielende Geigerin im Gürzenich-Orchester, auf die Basics vom Orchesterspiel geschult; dazu von ihr ein schöner Artikel im prächtigen Programm. Regisseurin Saskia Kuhlmann war hoch erstaunt, wie professionell die Kinder mit dem Probenprozess umgingen; geht es doch bei „Pollicino“ um das Erwachsenwerden von Kindern, welche Widrigkeiten sie umschiffen und wie sie sich organisieren müssen, um ihr Schicksal irgendwann selbst in die Hand nehmen zu können.

Das alles passierte auf einer Terassenbühne im Wald (Tobias Flemming) und vor einer bunten Wald- und Bergkulisse mit einem verschiebbaren Haus und großem Esstisch. Pollicino (hervorragend sicher, wenn auch knapp vor dem Stimmbruch: David Goldort) und seine sechs Brüder werden vom Vater (Frederick Tucker, später auch als Menschenfresser) ausgesetzt, da er sie nicht mehr ernähren kann. Symbolisch stellen die Eltern die Stühle wie in einer geschlossenen Kneipe auf den Tisch. Alle finden mit List zurück, werden aber erneut verjagt und rufen die Tiere des Waldes zu Hilfe (alle wunderschönen Kostüme von Hedda Ludwig). Diese schicken sie mit Hilfe des Wolfs (Yunus Schahinger vom Kölner Opernstudio) gutgläubig in ein einsames Haus, wo allerdings der Menschfresser Fürchterlich wohnt („Ich rieche Kinderfleisch“). Er wird von seiner Frau (Eva Budde, zuvor auch als Mutter) allerdings abgelenkt, die ihm auch seine schnellen Zauberstiefel versteckt hat. Pollicino freundet sich mit Clothilde, der Tochter des Menschenfressers an: So können die Kinder zusammen mit den übrigen sechs Töchtern des Fürchterlich fliehen, müssen ein schlimmes Gewitter überstehen (mit echtem Regen auf der Bühne) und gelangen dann in eine blühende Landschaft und heile Welt.

Die trotz Happy End eigentlich grausame Geschichte (Fürchterlich versucht mit einem großen Messer ein Kind zu schlachten) ist kindgerecht verpackt und szenisch nachvollziehbar, der geplante Lerneffekt deutlich erkennbar. Dazu gehört die eingängige Musik vom universellen Komponisten Henze, der auch politisch aktiv war, immer wieder die Konfrontation mit dem sog. „bürgerlichen Publikum“ suchte, gegen uninspirierte Kulturpolitik kämpfte und die Jugendlichen an musikalische Kultur heranzuführen suchte, denn „Musik ist ein Versöhnungsstifter“. Viele Zitate von Komponistenkollegen waren zu vernehmen, dazu mächtiges Schlagwerk, Walzer, Märsche und einfach hübsche Melodien, durchweg kindgerecht komponiert, aber auf hohem musikalischem Niveau. Rainer Mühlbach, Leiter des Kölner Internationalen Opernstudios, hatte die ganze quirlige, aber hoch konzentrierte Orchesterbande –nennenswerte Misstöne waren keine zu vernehmen – wie auch die Sängerschar sicher im Griff, mit großflächigem Dirigat, exzessiver Mimik, klaren Einsätzen und einfach nett und freundlich. Genau richtig.

Man muss ganz viel Hochachtung haben vor diesem Projekt, welches sich über ein Jahr und mit unzähligen Proben hingezogen hat und sicher eine herausragende musikalisch-pädagogische Wirkung zeigen wird. Dennoch sei ein kleiner Minuspunkt vermerkt: Etwas mehr inszenatorischer Pfeffer hätte dem Stück sicher gutgetan, der hätte die Aufmerksamkeit des nach der Schlussszene zu Recht begeistert jubelnden Publikums über die 70 Minuten sicher noch besser hochhalten können.

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