Musik

Die Oper Köln zeigt Georg Kreislers Musical „Adam Schaf hat Angst“

Rainer Mühlbach (Pianist) und Martin Koch (Adam Schaf)
Foto: Paul Leclaire

Ein Sänger blickt zurück

06. Juli 2017
Text von Michael Cramer

Eike Ecker, langjährige Regieassistentin und feste Oberspielleiterin der Oper in der Domstadt, ist eine Vollblut-Theaterfrau. Sie hat zahlreiche Kölner Inszenierungen begleitet, den Kölner Carsen-Ring in Shanghai und Barcelona wiederbelebt, war Leiterin der Kinderoper mit mehreren Regiearbeiten, hat etliche konzertante Aufführungen so in Szene gesetzt, dass eine Bühne überflüssig war, und hat einen Lehrauftrag für szenische Gestaltung an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz.

Und ist eine Meisterin der kleinen und feinsinnigen Inszenierungen. In der Ersatzspielstätte „Palladium“ hatte sie vor zwei Jahren Georg Kreislers „Lola Blau“ inszeniert, mit der fantastischen Kathrin Wundsam und dem kongenialen Pianisten Rainer Mühlbach, ein Fest für Augen, Ohren und Geist. Gleiches ist ihr in der Außenspielstätte am Offenbachplatz gelungen, dem provisorischen Theaterraum oberhalb der unterirdischen Kinderoper an der Stelle der früheren „Opernterassen“. Zunächst hatte Stefan Bachmann, Intendant des Schauspiels Köln, sich dieser Stätte angenommen, um den Platz im Gedächtnis der Kölner nicht verblassen zu lassen; die Oper schloss sich jetzt erstmals an mit Kreislers „Adam Schaf hat Angst“ an, der Lebensbeichte eines alternden Opernsängers, die eigentlich in einer Künstlergarderobe spielt.

Dazu hatte man den nur mit einer Zuschauertribüne gefüllten nackten Raum in eine Baustelle verwandelt: ringsum Gerüste bis zur Decke, die Wände mit Baufolien verhüllt, es riecht nach Staub und Schutt, überall Werkzeug, eine abmontierte Uhr, ein modernes Lasermessgerät, ein Arbeiter mit Schutzhelm lungert an einem mit Folie verhüllten Flügel rum, bewaffnet mit einem kaputten Schirm, weil immer wieder Brocken von der Decke fallen. Besser hätte man die unmittelbare Nähe zur Baustelle von Oper und Schauspiel nicht demonstrieren können (Bühne und Kostüm: Darko Petrowitsch). Das Ironische: Genau an diesem Ort lief am Vortag der zweiten Aufführung die Pressekonferenz, wo eine Bauverzögerung um satte acht Jahre verkündet wurde. Kaum zu glauben, wenn man die Bauten von außen sieht, aber sehr praktisch, weil die Requisiten vermutlich zu Fuß her geschafft werden konnten.

Ecker hat die Geschichte nah an die Kölner Szene und die aktuelle Politik verortet: Vom Kaffeebecher mit „Make Offenbachplatz great again“, der AfD und dem Lehrer Höcke, Trump und den USA, über Alternativen Patriotismus, über vergangene Inszenierungen im Schauspielhaus und der in Köln dringend benötigten „Kohle“, die aus einer Baugrube nebst einem antiken Schädel und einem Römerhelm auf einmal zum Vorschein kommt. Der Bauarbeiter entblättert seinen eingestaubten Flügel und entpuppt sich als der schwungvoll und brillant begleitende Mann am Klavier: Rainer Mühlbach. Er leitet im wahren Leben das Kölner Opernstudio.

Für den gefeierten Tenor Adam Schaf (perfekt passend Martin Koch), der im Opernhaus gegenüber, nach dem Krieg in nur 2 ½ Jahren erbaut, einst den Tamino in der „Zauberflöte“ gesungen hatte, gab es nach seiner gestrichenen Rolle als 2. Priester nur noch den Weg in den Opernchor. Er beklagt sich, als Solosänger nicht abgeholt worden zu sein, wehmütig schwadroniert er von der guten alten Zeit, wo alles besser war. Aber die Bühne ist seine Heimat geblieben, weiterhin lebt er in seinem früheren Dasein. In zahlreichen Songs breitet er sein Leben aus, über seine magere Karriere und das „Internationale Opernstudio Gelsenkirchen“, sein zögerliches Outing als schwuler Sänger und seine Angst vor der spießigen und verlogenen Gesellschaft. Aber immerhin: Man solle man ein Zusammenleben fördern, aus dem Kinder hervorgehen. Martin Koch singt und spielt Schaf mit Herzblut, legt einen Stepptanz hin, ebenso einen Stunt-verdächtigen Sturz vom Baugerüst. Er hat kein Problem, in Feinripp-Unterhose und mit Netzstümpfen seine sexuelle Orientierung zu demonstrieren.

Mühlbach begleitet elegant und spritzig, singt und spielt auch selbst mit hohem komödiantischem Talent. Er geht um unnütze Ausgaben zu Lasten der Kultur, um ein Mindestlohn-Engagement und um den gehassten, total unmusikalischen  Musikkritiker. Immer wieder kommen Arbeiter im Overall rein, machen an der Baustelle rum und schicken einen Stadtstreicher (Konny Kyrion) mit szenetypischem Einkaufswagen wieder weg, der vorher draußen gestanden hatte. Der griff dann später aktiv in das Geschehen ein mit einer Zithermusik, die an den „dritten Mann“ gemahnte. Nur – wer sollte das sein? Etwa der mit dem berühmten „Oberverantwortungshut“ für die total gegen die Wand gefahrene Opernbaustelle?

Zum Schluss wurde es melancholisch: Schaf hat keine Träume mehr, die Karriere ist zu Ende, es macht alles keinen Sinn. Er versucht sich oben am Gerüst zu erhängen, aber das Seil hält nicht. Wunderschön untermalte Gerhard Dierig im himmlischen Engelskostüm hoch oben dazu das Geschehen mit seiner Bratsche. Seifenblasen fallen vom Himmel. „Alles hier ist deplatziert, aber sind wir das nicht alle?“, diskutiert Schaf mit seinem Pianisten. Sie verschwinden Arm in Arm mit Aktenkoffer im Hintergrund und lassen ein ratloses Publikum zurück, welches den sehr ungewöhnlichen Abend nach 75 Minuten stehend bejubelt.

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