Musik

Ballett am Rhein zeigt die „Petite Messe Sollenelle“

„Petite Messe Sollenelle“ in Düsseldorf und Duisburg
Foto: Gerd Weigelt

Wenig Andacht bei getanztem Rossini

01. August 2017

Von Michaael Cramer

Gioacchino Rossinis „Petite Messe Solennelle“ ist ein herausragendes „Unikum“ unter den kirchlichen Chorwerken. Sie gehört zusammen mit dem „Stabat Mater“, der genialen Vertonung des mittelalterlichen lateinischen Marienverehrungsgebets, zu den wichtigsten geistlichen Werken der italienischen Opernkomponisten. Rossini hatte sich nach seiner letzten Oper „Wilhelm Tell“ von 1829 weitgehend auf die faule Haut gelegt, seinen Ruhm und seine reichlichen Tantiemen ausgekostet und viele damalige VIPs der Pariser Gesellschaft angeblich selbst bekocht. So sind auch die „Tournedos Rossini“ nach ihm benannt worden. Dann, mit 71 Jahren und nach 41 Opern, nahm er einen Kompositionsauftrag an und schuf seine “Petite Messe solennelle”, wörtlich eine kleine feierliche Messe. Sie war geschrieben für eine gräfliche Privatkapelle in Paris, in der wenig Platz war; so verfiel Rossini auf die reizvolle Lösung der Begleitung mit zwei Klavieren und Harmonium (wobei das zweite Klavier oft weggelassen wird). Später schuf er noch eine heute selten gespielte, eher langweilige Orchesterversion.

In der Partitur hatte der Komponist vermerkt: „12 Sänger von drei Geschlechtern – Männer, Frauen und Kastraten werden genug sein für ihre Aufführung, d.h. acht für den Chor, vier für die Soli, insgesamt also 12 Cherubine.“ Und eine Widmung, ebenso skurril wie diese Besetzungsangabe, findet sich am Ende der Partitur, neben den letzten Takten des „Agnus Dei” stehend: „Lieber Gott – voilà, nun ist diese arme kleine Messe beendet. Ist es wirklich heilige Musik die ich gemacht habe oder ist es vermaledeite Musik? Ich wurde für die Opera buffa geboren. Wenig Wissen, ein bisschen Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies.“

Man kann diesen Titel nur als humorvolle Untertreibung Rossinis auffassen, denn mit 90 Minuten Aufführungsdauer entspricht sie im Stil einer groß angelegten Missa Solemnis. Dieses einzigartige Werk der Musikgeschichte ist eine wirkungsvolle Mischung aus opernhaft angelegtem Belcanto und emotionsgeladenen melodischen Bögen, von Bach inspirierter Polyphonie und ausgeprägt positionierten harmonischen Markierungen. Wenngleich auch immer wieder Kritik in Form von „zu spielerisch, zu unterhaltend oder zu opernhaft“ aufkam; dem entgegnete Rossini, dass seine Musik halt „immer semiseria“ sei. Und: Warum sich Heiterkeit, tänzerisches Element und Leichtigkeit nicht mit dem Lobpreis Gottes vereinbaren lassen könnten.

Reizvoll ist das Werk ohnehin, da ein Opernkomponist kaum aus seiner Haut heraus kann, was auch bei Verdis „Requiem“ nicht zu überhören ist; nicht umsonst spricht man hier von seiner „27. Oper“. Und da ist es kein Wunder, dass einem vielfältig und originell tätigen Choreografen wie dem Schweizer Martin Schläpfer, der mit seiner Düsseldorfer Compagnie zahlreiche Preise eingeheimst und auch schon einmal Brahms’ „Requiem“ vertanzt hatte, es sozusagen in den „Ballettschuhen juckte“. Schläpfer nannte das Werk „geistliche Hausmusik“, eine Kombination von Opernhaftem mit tiefer Versenkung in den Glauben, zu dem man beten, aber auch lecker essen konnte. Nur- wie setzt man das in Szene und in Tanzbewegungen um?

Foto: Gerd Weigelt

Der Choreograf hatte eine geniale Idee und schuf zahlreiche Figuren, in vielen Einzelszenen, ein fiktives Leben mit einem erotisch angegangenen Pfarrer, mit tiefgläubigen, rosenkranzbehängten Kirchgängern, mit Treiben vom Alltag und vom Feierabend-Bummel mit Flirten und Streitereien. Große Schinken werden da geschleppt, ein Bettler fleht um Almosen. Die Tänzer tragen legere Alltagsklamotten aus den 40ern wie in den Visconti-Filmen, Hans Etti, der Bühne und Kostüme entworfen hat, hat das Genrebild entworfen auf einer grauen Bühne mit großen Arkaden und Bögen, man wähnt sich auf dem Marktplatz in einem kleinen sizilianischen Dorf oder auch in einer Kirche. Die einzigen Requisiten sind eine Reihe heller Holzstühle, die vielfältig eingesetzt werden. Die Kompagnie formiert sich auch schon mal zum heftig lauten Stakkato-Tanz, unterstützt mit der Masse der 45 Tänzer/innen die großen Fugen des Chors.

Allerdings erdrückte Schläpfers phantasievolle, oft kraftbeladene Choreografie immer wieder die Subtilität und unglaubliche Intensität der Musik des großen Buffa-Komponisten. Das gilt vor allem für die Zuschauer, welche die „Petite Messe“ zuvor nicht gut kannten (und das dürften die meisten gewesen sein); vielleicht sollte man die Besucher über die Webseite der Oper animieren, das Werk vorher einmal anzuhören. Und auch den ganz hervorragenden Text aus dem Abendprogramm der Dramaturgin Anne do Paço ins Netz stellen, denn diese Lektüre erleichtert den Zugang zu der Choreografie ungemein. Das Gürzenichorchester, angesiedelt in einer großen Stadt südlich von Düsseldorf, macht es vor: 3 Tage vor dem Konzert steht das Programm immer im Netz.

Foto: Gerd Weigelt

Musikalisch ist Unterschiedliches zu berichten. Der Chor sang aus dem Orchestergraben und – wie es schien – im Sitzen. Wenn auch stimmstark und blendend von Gerhard Michalski einstudiert, klang er leider etwas unverbindlich aus der Ferne. Die Solisten Morenike Fadayomi, Katarzyna Kunico und der Bass Günes Gürle enttäuschten ein wenig; sie wähnten sich mit großem Pathos auf der Opernbühne und versuchten mit zu starkem Vibrato zu punkten. Eingesprungen für den beliebten Corby Welch war der Rumäne Ovidiu Purcel; ihm fehlte etwas die Sicherheit der tenorale Glanz, vor allem in der großen Arie „Domine deus“. Hier sei die Frage gestattet, warum Schläpfer die Solisten nicht auch auf die Bühne gestellt hat wie im vom Züricher Ballett vertanzten Verdi-Requiem, wo sogar auch der Chor in die Choreografie einbezogen ist.

Ausgesprochen interessant klangen die beiden historischen Pleyel-Flügel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die man mit viel Aufwand gesucht und restauriert hatte, sie erzeugen einen komplexen, feinst nuancierbaren Klang (Wolfgang Wiechert und Dagmar Thelen), ergänzt durch das Harmonium (Patrick Francis Chestnut), mit wunderbar altmodischem Sound und bekannt durch die Begleitung religiöser Lieder. Generalmusikdirektor Axel Kober dirigierte klar und ohne Schnörkel, hatte alles routiniert im Griff. Sowohl die Rossini-Fans, als auch die tanzbegeisterten Schläpfer-Anhänger konnten für sich von dem Abend sehr viel mitnehmen, den Rezensenten eingeschlossen, wenngleich die Kombination einer sehr eingängigen Messe mit einem exzessiven Ballett schon ein wenig hakte – aber dennoch viel Begeisterung beim Publikum hervorrief.

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