Kunst

Ein Schatz kehrt heim – der Amsterdam Machsor

 Text und Fotos: Michael Cramer

Der vermeintliche Hype, der in Köln um den „Amsterdam Machsor“ gemacht wird incl. einer 12-seitigen Sonderbeilage der beiden großen Lokalzeitungen, lässt sich nach dem ersten Blick auf das Objekt nicht sofort nachvollziehen. Vor allem wenn man prächtige und großformatige mittelalterliche Bücher oder Folianten aus dem christlichen oder herrschaftlichen Umfeld im Kopf hat und mit diesem zunächst eher bescheiden aussehenden Buch vergleicht. Auch bezüglich des immensen Kaufpreises von 4 Millionen € mag sich ein dezentes Kopfschütteln einstellen, vielleicht auch hinsichtlich des abgedroschenen Arguments „Warum stattdessen keine Kindergartenplätze“. Nun, Kindergartenplätze haben wir eh reichlich, aber dieses ist eine einmalige Gelegenheit, ein extrem seltenes, und dazu ortsbezogenes Kulturgut zu erwerben. Das Geld geht an die jüdische Gemeinde, die den Machsor lange dem “Amsterdam Joods HistorischMuseum” als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hatte und  die es jetzt für kulturelle und museale Zwecke verwenden wird.
 

Gut behütet und beachtet in der Mitte: Der Machsor unter Glas

 

 

 

 

 

 

 

 

Den Kaufpreis teilen sich das MiQua, getragen vom Landschaftsverband Rheinland, und das jüdische Museum „Joods Historisch Museum“ in Amsterdam, der Machsor wird in beiden Museen alternierend ausgestellt werden. Und gemessen am Aufwand für das neue jüdische Museum, welches derzeit in seine Hochbau-Phase übergeht, und in Relation zur immensen Bedeutung des Machsor, zu dessen Kauf zahlreiche potente Sponsoren tief in die Taschen gegriffen haben, ist der Preis eigentlich eher nebensächlich.

Denn es handelt sich hier um ein einzigartiges mittelalterliches Zeugnis jüdischer Religion und Geschichte, ein „aschkenasisches“ Gebetbuch für Feiertage der jiddisch sprechenden Juden, welches  im 17. Jahrhundert nach Amsterdam gelangt war. Vermutlich in Köln hergestellt enthält der Machsor zwar keine Angaben über den Stifter und die Umstände seiner Entstehung; aber die extrem aufwändige Herstellung durch mehrere Bearbeiter wie Buchmaler, Schreiber und auch die Herstellung des Buches selbst lässt auf professionelle Kräfte in Köln schließen. Der Machsor umfasst 332 Blätter (eines ist verschollen) aus Kalbspergament, welches durch eine aufwändige Bearbeitung (Entfernung von Fleisch und Haaren) beidseitig beschrieben werden konnte. Der durch mehrfache Faltung und Vernähen der Seiten entstandene Buchblock wurde zu späterer Zeit in einen niederländischen Bibeleinband gebunden.

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Pressekonferenz am 17. Oktober: Mit Prof. Dr. Emile Schrijver, Direktor des  jüdischen Museums Amsteram (links) und Gastgeberin Barbara Schäfer vom WRM

Gemäß dem Gebot „Du sollst Dir kein Bild machen“ ist im Machsor nur eine einzige Person abgebildet, ein Vorbeter mit Schal. Sein zunächst erkennbares Gesicht hat ein späterer Besitzer der Handschrift überdeckt. Nicht aber die vielen Verzierungen mit Blattgold oder Goldstaub. Es ist wirklich ein einmaliger Schatz, der nach rund 600 Jahren an seinen Ursprungsort zurückkehrt, wo zuerst aus ihm gelesen wurde; da kommt schon Rückenschauer auf. Vor allem hinsichtlich seines zukünftigen Aufbewahrungsortes, im MiQua, dem jüdischen Museum im früheren mittelalterlichen Judenviertel im Herzen der Stadt Köln. Und zunächst ausgestellt im benachbarten Wallraf-Richartz-Museum. Hier hat man einen ganzen Raum freigemacht für eine kreisrunde Konstruktion, ähnlich wie beschützende Hände um einen Schatz. Und mit originellem Blick auf die benachbarte Baustelle, wo das neue Museum inzwischen in die Höhe wächst. Die Scheibe ist verklebt, durch Löcher in der Folie wird auf Einzelheiten hingewiesen. Lange Jahre haben die Archäologen die mittelalterlichen und römischen Reste freigelegt, die Baufirma die Grube zum Schutz der Ausgrabungen dann mit Sand verfüllt, und über zahlreiche unterirdische Stützpfeiler eine Betondecke gegossen. Darauf entsteht derzeit das neue Museum, der Sand wird wieder abgesaugt und gibt den Weg frei in die größte unterirdische Anlage nördlich der Alpen mit einem 600m langen Weg vorbei am Prätorium unter dem Rathaus, der römischen Wasserleitung, der Mikwe, dem jüdischen Ritualbad, und durch das jüdische und Kölner Mittelalter. Alles in guter Nachbarschaft, neben dem historischen Rathaus, dem Kunstmuseum, und im Herzen von Köln, welches nach Abschluss der Bauarbeiten ein neues verkehrsberuhigtes Konzept erhält. Man darf sich jetzt schon mal drauf freuen.

Zur Vertiefung: https://www.lvr.de/de/nav_main/kultur/museen/miqua/miqua.jsp# 

https://miqua.blog/

Sehr empfehlenswert: Ausstellungsprospekt von Katrin Krogman-Appel, Münster (im Museumsshop),  12.90 €

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