Theater

Johann Holtrop: “Der Abriss der Gesellschaft” im Schauspiel Köln

Geniale Umsetzung eines genialen Romans

Man war in der vollbesetzten Premiere im Depot in Köln Mülheim schon sehr gespannt, was der ins Wiener Burgtheater „auswandernde“ Intendant Stefan Bachmann diesmal aus einem anderen Roman von Rainald Goetz „Johann Holtrop“ (2012) zaubern würde. Hatte er doch 2021 im Schauspiel Düsseldorf mit „Reich des Todes“ nach dem Roman „Irre“ (1986) Furore gemacht, wo er über die Psychiatrie und die Helden schrieb, auf einer Bühne mit einem Gitternetzwerk und einer stramm getakteten Sprache. Der Bühnenbildner Olaf Altmann hatte für die Folterung von Gefangenen im Gefangenenlager Abu Graib Räume mit Hunderten senkrechter Fäden gestaltet; ähnlich jetzt in Köln, wenn auch das Stück nicht so sehr an die Nieren ging wie in Düsseldorf. Die Fäden beginnen seitlich und ringsherum an acht großen flachen Podesten für die acht Schauspielerinnen und enden irgendwo im Nirgendwo, sie sind Kuben als Käfige, elastische Strippen, wo jeder dran ziehen, sich aber nicht verstecken kann.

Wie in Düsseldorf hat Bachmann auch in Köln das Ensemble rein weiblich besetzt, darunter seine eigene Ehefrau Melanie Kretschmann mit blonder Kurzhaarperücke. Sie sprechen ihre Texte im Chor, stark rhythmisch und sehr präzise, beinahe wie ein Choral.

Und perfekt unterstützt durch eine kammermusikalische 4er-Combo von Sven Kaiser am Rand der Bühne mit Stakkato-Klaviertönen, mit wienerischem Gedudel, mit leichter Unterhaltungsmusik, mit Jazz- und Rock-Anklängen.

Johann Holtrop im blauen Maßanzug ist ein selbst ernannter Amateur-Betriebswirtschaftler, der viel zu lang durchkommt: egomanisch, geldgierig, rücksichtslos, narzisstisch und ohne tiefere Kenntnisse von betrieblichen Erfordernissen. Mit Ellenbogen und ohne Skrupel hat sich der selbstbesoffene Supermanager die Spitze des Medienkonzerns Assberg im thüringischen Krölpa erkämpft, hat sie und die Tochterfirmen Arrow PC wider jeden Sinn und Zweck erheblich vergrößert.

Bis seine steile Karriere zum fatalen Absturz führt, denn er verzockt sich mit Krediten, zankt sich mit den Banken und dem Aufsichtsrat, dazu kommen Gerüchte über Bilanzfälschungen. Mit der Folge, dass er entlassen wird.

 

Der Roman trägt die Züge des Strafprozesses gegen den Ex-Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff, der als Vorstandsvorsitzender wegen Steuerhinterziehung und Untreue zu 3 Jahren Haft verurteilt wurde; auch die Firmen Arcandor, Karstadt und Quelle waren betroffen. Holtrop, Glückskind des Kapitalismus, walzt alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt. Das Stück ist gleichzeitig ein Gesellschaftspanorama der Nullerjahre, mit deutlichen Parallelen zu früheren führenden Persönlichkeiten, nicht umsonst lautet der vieldeutige Untertitel „Abriss der Gesellschaft“. Holtrop geht an seinem System zugrunde, nachdem vorher ein geschasster alkoholkranker Manager Selbstmord begangen hat. Holtrop verfällt den Tabletten und dem Alkohol, dreht völlig durch und wird in eine Irrenanstalt eingeliefert. Aber er schafft es wieder auf die Beine mit Hilfe eines Finanziers, fährt aber auch die nächste Firma an die Wand. Und endet auf einem Bahngleis unter einem Zug.

Die Ankleiderinnen des Theaters waren stark beschäftigt, denn alle acht Schauspielerinnen (bis auf Melanie Kretschmann) traten in 20 Rollen auf, im Blaumann, als tippende Sekretärinnen, als wie eine Königin ausstaffierte Milliardärsgattin plus Gemahl, als Kellner, als Vorständler, als Freizeit-Privatpersonen. Mit vielen originellen Gags, die trotz des ernsten Themas für Erheiterung sorgten. Ebenso die offensichtliche Ähnlichkeit mit real existierenden Personen. Das nach 2 ½ pausenlosen Stunden sichtlich erschöpfte Publikum spendete den Schauspielerinnen, dem Intendanten mit seinem Produktionsteam lang anhaltenden Beifall.

Uraufführung  am 25. Februar 2023

Bühnenfassung von Stefan Bachmann und Lea Goebel

Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus

Weitere Aufführungen unter www.schauspiel.koeln

Johann Holtrop, Abriss der Gesellschaft
nach dem gleichnamigen Roman von Rainald Goetz
Regie: Stefan Bachmann
Bühne: Olaf Altmann
Komposition & Musikalische Leitung: Sven Kaiser
Dramaturgie: Lea Goebel
Fotos: ©Tommy Hetzel

Rezension von Michael Cramer

 

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