“Ein Maskenball” – wieder große Oper in Bonn
Musikalisch ausgezeichnete Produktion, szenisch allerdings etwas fragwürdig
Nach den Niederungen zu der Corona – Pandemie musste in Bonn wieder eine große Oper her. Der Intendant Dr. Bernhard Helmich setzte sich mit seinem Dramaturgen Andreas K.W. Meyer zusammen, sie dachten angestrengt darüber nach, was denn im Hause alles so vorhanden wäre. Natürlich sollte es wieder eine Verdi-Oper sein, natürlich unter dem Bonner Verdi-Dauer-Dirigenten Will Humburg. Auch einen passenden Regisseuer gab es, den Engländer Sir David Poutney, der zusammen mit seinem Bühnenbildner Raimund Bauer bereits 2019 Verdis „Sizilianische Vesper“ sehr erfolgreich präsentiert hatte. Der Schreiber dieser Zeilen meinte bei seiner damaligen Rezension „Man darf sich auf weitere Bonner Verdi-Humburg-Abende freuen“. https://www.kulturcram.de/2019/06/ganz-grosse-oper-in-bonn-die-sizilianische-vesper/. Geplant ist überdies eine Verdi-Trilogie; der letzte Teil ist wohl noch offen.
Beide Herren waren verfügbar, der Regisseur brachte mit Raimund Bauer erneut seinen eigenen Bühnenbildner mit. Das Beethovenorchester stand ohnehin parat, ebenso das ausgezeichnete Ensemble mit festen Verträgen. Und der Blick in die Requisitenkammer fiel auf zwei hohe Sitzgelegenheiten, ähnlich wie für einen Tennis-Schiedsrichter. Und auf hohe verschiebbare Möbel, eine Art Raumteiler. Alles gut brauchbar für die nächste Produktion.
Aber Spaß beiseite. Die Oper Bonn hat hier wieder Großes geleistet, vornehmlich auf dem musikalischen Teil. Wohingegen der szenische Teil und auch die Kostüme ein wenig Stirnrunzeln verursachten, abzulesen auch an den Buhs für das Produktions-Team beim Schlussapplaus. Verdi war ja ein Fan von historischen Ereignissen, vornehmlich bezüglich Shakespeare-Dramen. Der schwedische König Gustav III als großer Kulturliebhaber hatte jedoch den Sinn für die Realität verloren. So kam es 1792 zum Königsmord während eines Maskenballs. Der Dramatiker Eugène Scribe hatte daraus ein Stück verfasst, was aber so nie aufgeführt werden durfte. Daher hatte Verdis Librettist Antonio Somma die Handlung nach Amerika verlegt, hier tritt der König als Riccardo, Gouverneur von Boston auf. Genügend weit weg für die empfindsamen Seelen der Zensur.
Dafür beginnt es in Bonn etwas gruselig – oder auch lustig. Denn nach der Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang (für Kölner Staatenhaus-Operngänger total ungewohnt) imponiert ein aufgebahrter Sarg mit einem Menschen obendrauf. Der ist aber mitnichten tot, sondern der quicklebendige Page Oskar im Michael-Jackson-Look. Auch Riccardo schiebt erst ein Händchen aus dem Sarg, später dann mehr, und bleibt gemütlich drin sitzen, um die Vorkommnisse auf der Bühne zu betrachten. Schon eine grenzwertige Parodie auf die Gothic-Szene.
Denn was man erst mal raffen muss: Der Regisseur hat hier ein „Theater im Theater“ auf die Bühne gebracht, Riccardo hat offensichtlich seine eigene Geschichte inszeniert. Denn er läuft immer mit einem kleinen roten Büchlein umher und liest offensichtlich Regieanweisungen. Der Besuch bei der Wahrsagerin Ulrica (auf dem hohen Stuhl wie später die beiden Verschwörer) offenbart ihm die Zukunft, daß nämlich sein späterer Mörder derjenige ist, dem er als erster die Hand schüttelt. Das kann eigentlich nicht sein, als er trotzig seinen besten Freund Renato begrüßt.
Der allerdings ist verheiratet mit Amelia, die von Ricardo heimlich geliebt wird. Schon eine interessante, aber häufige Konstruktion, die oft aus dem Ruder läuft wie hier. Denn Ricardo plant, seine untreue Frau zu ermorden, entscheidet sich aber, dafür ihren Liebhaber zu erstechen. Das passiert dann auf dem titelgebenden Maskenball, wo alle Teilnehmer als Gerippe auftreten (Kostüme von Maie-Jeanne Lecca).
Sängerisch war in Bonn Großartiges zu goutieren, allen voran ist Yannik-Muriel Noah zu nennen, deren samtige, aber dennoch gewaltige Stimme voll zu Herzen ging. Sie ist als Ensemble-Mitglied ein echter Glücksfall für die Bonner Oper. Arthur Espiritu sang den Ricardo mit strahlendem Tenor; anfängliche Unsauberkeiten verschwanden schnell. Georios Kanaris, auch einer der festen Bonner Größen, er gefällt in seiner Rolle als Renato durch die Bank ganz ausgezeichnet mit seinem runden, volltönenden Bariton.
Ulrika ist Nana Dzidziguris mit sehr schönem Mezzo bei verblüffend dunkler tiefer Lage und dennoch einigen hellen Spitzentönen, passend zu ihrem Job als Wahrsagerin. Ein Kracher ist Lada Backowa in der Hosenrolle als Page, sowohl stimmlich wie auch im szenischen Ausdruck. Carl Rumstadt, Andrei Nicorara, Martin Tzonev, Tae Hwan Yun und Justo Rodriguez bewähren sich bestens in den kleineren Rollen.
Aber was wäre die Oper ohne den Verdi-Spezialisten Will Humburg, der mit seinem großflächigen Dirigat nicht nur die Musik und das ausgezeichnete Beethoven-Orchester zum Leuchten bringt, sondern sie auch bestens mit der Bühne synchronisiert. Bravo !
Die Personenführung auf der Bühne liess allerdings zu wünschen übrig, das so genannte „ Rampensingen“ herrschte vor; was allerdings viel bewegt wurde, waren die verschiebbaren Bühnenteile und die Hochstühle. Auch der Opernchor (Einstudierung von Marco Medved) sang ganz hervorragend; allerdings waren die Tänze, vor allem die der Matrosen und dazu noch im Ringelkostüm, eher weniger passend; der Karneval aus der Nachbarstadt ließ grüßen. Und warum Ricardo am Schlusss erneut in den Sarg steigt und der Page sich wieder drauflegt, erschloss sich nicht wirklich. Aber hübsch anzusehen war es allemal. Nur fragt sich der kritische Opernbesucher dann zu Recht, wer denn da erstochen wurde.
Der Schlussapplaus des ausverkaufen Hauses war riesig, die Missfallens-Kundgebungen hingegen deutlich zu vernehmen.
Dirigent und Verdi-Spezialist Will Humburg spricht über UN BALLO IN MASCHERA
https://www.theater-bonn.de/de/de/magazin/tinta_musicale
Hier der Trailer: https://www.theater-bonn.de/de/programm/ein-maskenball/184938#tl-gallery-1
Fotos © Thilo Beu
Text: Michael Cramer
Aufführungen: 17., 21., 25. Dezember 2020, 8. und 13. Januar 2023