Musik

Cantus Coelln in XXL-Version

Berückender und berührender Abschied eines herausragenden Gesangensembles

Für das Ende des Abschiedskonzerts von Cantus Köln in der Kölner Philharmonie (nach Wiesbaden und Berlin) hatte der Dirigent Konrad Junghänel einen kleinen historischen Gag vorbereitet: Namentlich vorgestellt kamen die Gründungsmitglieder der Gruppe aus dem Publikum einzeln auf die Bühne, darunter auch seine Frau Johanna Koslowski, von ihren früheren Kollegen freundschaftlich begrüßt, und reihten sich ein, um gemeinsam den Bach´schen Choral „Jesus bleibt meine Freude“ zu singen, zart und mitfühlend begleitet von Junghänels bewährten Barockmusikern. Und natürlich konnten alle Ehemaligen noch ganz prima singen. Das war schon ein historischer Moment mit Gänsehaut, Cantus Coelln sozusagen in XXL-Version. Und dann war das Ensemble nur noch Geschichte, wenn auch weiterhin auf zahlreichen CDs dauerhaft präsent. Von Hause aus umfasst es vier exzellente solistische  Sänger, wie auf vielen Pressefotos erkennbar; hier nun um weitere vier als Doppelchor erweitert.

Vor der Oper Wiesbaden

Cantus Coelln, vor 35 Jahren in Köln gegründet vom bereits mit 20 Jahren sehr bekannten Lautenisten Konrad Junghänel, hört also ganz auf. Das ist schon eine Hammer-Nachricht für die Freunde der Barockmusik, gibt es doch weltweit viele Anhänger dieser Musikgattung. Nach zahlreichen Konzerten und weltweiten Reisen muss jetzt Schluss sein, so Junghänel: „Es ist besser, auf höchstem Niveau aufzuhören, als wenn jemand fragt, ob die etwa immer noch singen.“ Ob Junghänel sich wirklich dran hält? Immerhin ist er ein sehr gefragter Dirigent, in Wiesbaden hat er 20/21 in einem Zyklus sämtliche Mozart-Opern dirigiert. Auch natürlich in Köln, seiner Heimatstadt; hier hat er sich besonders bewährt beim Dirigat von Mozarts „Titus“ in der “Ausweichspielstätte”, dem originellen Treppenhaus des Oberlandesgerichts, von hoch oben und aus auch akustisch weiter Entfernung. Nach einem Zerwürfnis mit der damaligen Intendantin Dr. Birgit Meyer um deren umstrittenen Vorgänger Uwe Eric Laufenberg hat er in Köln die Brocken hingeschmissen und ward in der Oper nie mehr gesehen. Das hatte er auch beileibe nicht nötig, ist er doch immer noch hoch beschäftigt als Dirigent und Lehrer.

Cantus Cölln in der Philharmonie Köln beim Abschiedskonzert

Für sein Abschiedsprogramm in Köln hat er die sechs Motetten von Johann Sebastian Bach gewählt, BWV225-230, ein wesentlicher Bestand des Repertoires. Diese einsätzigen Werke gehören zu den heute bekanntesten und auch beliebtesten Werken des großen Thomaskantors. Dabei führte die Motette – einst der Hauptschauplatz anspruchsvollen Komponierens – zu Bachs Lebzeiten eher eine Randexistenz. Ihre frühere Rolle als Hauptmusik des Gottesdienstes hatte, zumindest im protestantischen Gottesdienst, inzwischen die gemischt vokal-instrumentale, aus mehreren kontrastierenden Sätzen bestehende Kantate übernommen.

Die oft doppelhörigen Motetten sind eine große Herausforderung für jeden Sänger, sie erfordern eine virtuose Technik und kontrastreiche Stimmführung. Dazu rhetorisches Gespür, dramatischen Gestus, stilistische Perfektion. Von alledem hat – beziehungsweise hatte – Cantus Köln im Überfluss. Eine englische Rezension schrieb: „Cantus Cölln könnte das Telefonbuch singen, und es wäre immer noch ergreifend!“ Und der „Tagesspiegel“ dazu „Cantus Cölln singt diese Werke so schön, dass selbst hartnäckige Atheisten bekehrt werden”, kein Wunder bei dieser herrlichen barocken Musik, wunderbar transparent und mit klaren, homogen geführten Stimmen.

„Singet dem Herrn ein neues Lied“ ist die populärste Bach´sche Motette. Nach einem virtuosen Jubelchor überlagern sich die acht Stimmen wechselseitig bis hin zu einem abschließenden Gottlob in einer freudig-beschwingten Schlussfuge „Alles was Odem hat, lobe den Herrn“. „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“, eine doppelhörige Motette, dreiteilig, leuchtend und auch strömend in den Koloraturen als „Nahrung für die Unwissenden“. Die aufwändigste und umfangreichste Motette ist „Jesu meine Freude“, fünfstimmig mit geteilten Sopranstimmen und aufwühlenden Bass-Koloraturen. Drei weitere Motetten beendeten den Abend „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir“, „Komm Jesus, komm, mein Leib ist müde„ und “Lobet den Herren alle Heiden“. In der sehr gut besetzten Philharmonie brauste ein nicht enden wollender Applaus auf, spontan im Stehen und mit vielen Bravi. Das war schon ein sehr sachkundiges Publikum, welches genau wusste, was man da

soeben erlebt hatte. Natürlich gab es eine Zugabe mit dem Choral „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“, und dann noch die XXL-Version wie schon berichtet. Viele Zuhörer blieben länger auf ihren Plätzen sitzen, obwohl das Podium schon fast leer war, um das soeben Gehörte und Erlebte noch nachwirken zu lassen. Schon ein sehr eindrucksvoller Konzertabend, den man mit einem feinen Lächeln verließ.

Wolf Matthias Friedrich (Bass) vorab bei “Veltri”, dem Kölner Lieblings-Italiener des Rezensenten, und am Abend im Konzert

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