Musik

“Titus” in Düsseldorf – musikalisch toll – szenisch enttäuschend

Ich gebe es gerne zu: der „Titus“ ist eine meiner Lieblingsopern. Direkt nach der “Traviata”. Und erst recht nach der legendären Inszenierung des geschassten Kölner Intendanten Uwe Eric Laufenberg im neobarocken Treppenhaus des Kölner Landgerichts. Sie lesen richtig, im Treppenhaus. Eine der perfekten Notlösungen nach Schließung des Opernhauses, um es zu sanieren – was einziges Drama wurde bis heute. Die Reise in die Landeshauptstadt Düsseldorf war für mich ein Muss.

         

Im Oberlandesgericht Köln

Vitellia (Adina Aaron, r.), Sesto (Franziska Gottwald, l.) und Annio (Adriana Bastidas Gamboa)

 Die Oper ist eine „Seria“, ein ernstes Stück im Gegensatz zur Buffa-Oper und war eine Auftragsarbeit zur Krönung von Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen. Der Job ging zunächst an Antonio Salieri, der aber wegen Arbeitsüberlastung ablehnte, und erst dann an Mozart. Ein Zeichen für den großen Ruf Salieris im Gegensatz zum Tenor im „Amadeus-Film“ von Milos Forman.

Maria Kataeva
Lavinia Dames (Servilia, oben links), Jussi Myllys (Tito), Maria Kataeva (Sesto), Anna Harvey (Annio), Torben Jürgens (Publio), Chor der Deutschen Oper am Rhein, Statisterie

Für die Regie ausersehen war Michael Schulz, seit 2008 Intendant des MIR, des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen, und der sieht in dem Stück jede Menge Politik, die unbedingt ins Heute transformiert werden sollte. Eigentlich hat er nach seiner Vita reichlich Erfahrung mit Inszenierungen https://musiktheater-im-revier.de/de/person/49ee-michael-schulz , aber hier hat er schon leicht übertrieben.

Torben Jürgens (Publio), Sarah Ferede (Vitellia), Maria Kataeva (Sesto)

Es beginnt mit dem Blick auf die damals kommende Bundestagswahl 2021 im Artikel von Wolfgang Willascheck im mit 43 Seiten sehr umfangreichen und anspruchsvollen Programmheft. Schulz hatte nach eigenen Angaben schon im Jugendalter intensiven Kontakt mit dem Titus, dessen Milde ihm immer sehr sympathisch war. Kurz vor der Premiere sagte er im Interview zu Titus, dass es ein Juwel sei, wenn auch selten gespielt. Und dass die Gesangspartien anspruchsvoll seien und daher schwer zu besetzen. Da war es spannend zu sehen, wie der Opernprofi dies bewerkstelligen würde. Gesanglich hat er das gut hinbekommen, szenisch aber schwankte er zwischen amerikanischem Wahlkampf mit Gesichtsmasken, historisch mit einer Fülle von zerdepperten Gipsbüsten, modern auf einer wenig inspirierenden Bühne voll von Metallkonstruktionen und Treppen. Ansonsten plätscherte die Geschichte unaufgeregt so vor sich hin. Das ist auch der Grund, warum diese Oper nicht allzu oft in den Spielplänen auftaucht.

Torben Jürgens (Publio), Jussi Myllys (Tito)

 

Beginnen wir mit der Musik. Hier gebührt hohes Lob vor allem den Damen, voran Maria Kateva als Sesto. Ihr glutvoller Mezzo, mit herrlichen ausdrucksvollen Gesangslinien, dazu ihr facettenreiches Spiel als Fast-Mörderin und Freund des Tito überzeugen in hohem Maße. Luzia Fatyol als Vitellia erfreut nicht minder, sie glänzt mit sicherem Sopran vor allem in ihren Furien-Arien. Anna Harvey singt als Annio das herrliche Duett mit Servilia (Heidi Elisabeth Meier), dafür lohnt allein der Besuch der Oper. Hinweis: Man sollte für besondere Highlights vielleicht die italienische Sitte einführen, mit „bis, bis“-Rufen (Zugabe) um eine Wiederholung zu bitten. In die Damenriege gehört auch die Dirigentin Marie Jacquot, die nach namhaften Stationen als Dirigentin seit der Spielzeit 19/20 als Kapellmeisterin im Hause tätig ist. Ihr energisches wie sängerfreundliches Dirigat gefiel, wenngleich gelegentlich ein wenig mehr Leichtigkeit angebracht gewesen wäre.

Jussi Myllys (Tito)

Bei den Männern sind Jussi Myllys als Tito und Beniamin Pop als Publio eindrucksvoll und rollengerecht zu erleben. In zwei Arien setzt Mozart ein Soloinstrument ein: In Sestos Arie Parto ma tu ben mio eine Bassettklarinette (Wolfgang Esch), in Vitellias Arie Non più di fiori ein Bassetthorn (Ege Banaz) – einfach herrlich, die Musiker im Duett mit den Sängern auf der Bühne. Ähnliches kann man gelegentlich bei der „Wahnsinnsarie“ in der „Lucia die Lammermoor“ mit der solistischen Querflöte erleben. Auch der stimmstarke Chor mit vielen herrlichen Partien unter Gerhard Michalski muss lobend erwähnt werden. Unterm Strich eine musikalisch wunderbare Aufführung, die den Besuch sehr gelohnt hat, zu der die Regie aber leider nicht so recht passen wollte.

Der Oberkracher war der heftige Schluss; der Kaiser präsentiert sich dem Volk als milde und gütig und lässt dann aber Sesto und Vitellia auf offener Bühne von den Wachen per Kopfschuss kaltblütig töten, und Annio und Servilia gleich mit. Ich wusste das vorher nicht und habe mich riesig  erschrocken. Da stößt einem Deutschlands düstere Vergangenheit sehr übel auf und macht das soeben erworbene musikalische Titus-Opernglück mit einem Schlag zunichte. Verehrter Herr Regisseur, muss das sein ? Der Applaus des nur leidlich vollen Auditoriums war eher verhalten; bei der Premiere gab es dem Vernehmen nach etliche Buhs für das Produktionsteam.

Verbleibende Aufführungen: 18. Und 28, November und 29. Dezember

https://www.youtube.com/watch?v=VpOeykekfyA&list=PLobhp2CSaK_EsIip7tTU84UKpysdo7wAF

https://www.youtube.com/watch?v=wLQfEkN0LTM&list=PLobhp2CSaK_EsIip7tTU84UKpysdo7wAF&index=2

https://www.youtube.com/watch?v=VpOeykekfyA&list=PLobhp2CSaK_EsIip7tTU84UKpysdo7wAF&index=1

Verbleibende Aufführungen: 18. und 28. November, 29. Dezember

Fotos: Bettina Stöß

 

 

 

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