Musik

Wahnsinn und Rache – “Hamlet” perfekt in Köln

Eine Riesennummer im Staatenhaus – hochspannendes Musiktheater

 

Fotos: © Paul Leclaire

Text  von Michael Cramer

Trotz aller Bewunderung für den „Dauerbrenner“ Shakespeare und sein umfangreiches Oeuvre – der Schreiber dieser Zeilen gesteht freimütig, seine Schauspiele nicht besonders zu lieben: meist zu lang, zu viele Rollen, zu vielfältige, oft komplizierte und auch noch historische Handlung. Und dann eine moderne Hamlet-Oper, dazu in altenglischer Originalsprache gesungen. Da sind die Verdi-Opern doch eine ganz andere Nummer. Egal, die Neugier siegte, und der Sieg war auf  der ganzen Linie glanzvoll. Denn der australische, in Berlin lebende und ausgezeichnet sprechende Komponist Brett Dean (*1961)  hat der Welt einen hochspannenden Hamlet-Krimi geschenkt, der  bereits bei der Uraufführung in Glydebourne 2017 für internationale Begeisterung gesorgt hatte. Und sein Librettist Mathew Jocelyn hat in Köln dann auch noch Regie geführt; die Intendantin Dr. Birgit Meyer hatte zuvor einen „Bieterwettbewerb“ zu Gunsten von Köln gewonnen – man traut der hiesigen Oper international doch mehr zu als landauf landein gemunkelt wird. Kein Wunder nach den Erfolgen von “Soldaten”, der “Carmen” und “Turandot”, Produktionen, die  speziell auf die Besonderheiten des Staatenhauses zugeschnitten waren. Jocelyn hat die verschiedenen Ebenen des Stücks faszinierend zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefügt, dreieinhalb Stunden Hochspannung mit „Sitzen auf der Stuhlkante“- keine Sekunde Langeweile. Das lag in erster Linie am Dirigat des jungen Duncan Ward und dem fantastisch aufspielenden, großen und sehr aufmerksamen Gürzenichorchester, unsichtbar auf der linken Seite positioniert. Es ist immer wieder erstaunlich, wie gut die Synchronisation zur Bühne klappt, nur über Video und ohne direkten Sichtkontakt.

Dean hat ja nun eine sehr interessante Vita, er ist studierter Bratscher und hat nach 15 Jahren seinen sicheren Brot-und-Butter-Job bei den Berliner Philharmonikern zu Gunsten einer freien Komponistentätigkeit aufgegeben. Seither hat er ein großes, weltweit gespieltes Oeuvre geschaffen aus allen möglichen Bereichen der Musik; im Opernprogramm dazu ein sehr lesenswerter Originalbeitrag von Kerstin Schüssler-Bach. Seine recht tonale Musik ist äußerst farbig, verschreckt keinesfalls den konservativen Opernfreund, ist eine Klangkulisse, die auch kammermusikalisch kommt und gelegentlich sogar ein wenig an Filmmusik erinnert. Für das Gürzenichorchester war das auch ein „Rollendebut”, wie bei den meisten Sängern bis auf David Butt Philip als Titelheld und den Countertenor Patrick Terry als Rosencrantz. Dean hat für die beiden Höflinge auf einer Güldenstern (Cameron Shahbazi) und Rosencrantz Countertenorstimmen vorgesehen, welche die beiden prächtig ausfüllten, zusammen mit einer ordentlichen Portion britischer Situationskomik.

Zurück zum Titelhelden. Der Brite hatte in Köln sein Hausdebut, wenn er auch im nach Barcelona ausgeliehenen Kölner “Rheingold” den Froh gesungen hatte. Heuer begeisterte er mit einer unangestrengten Riesenstimme, sowohl in seinen emotionalen Ausbrüchen wie auch bei den leiseren Tönen. Die ehemalige Kölnerin, Koloratursopranistin Gloria Rehm – man erinnert sich gerne an ihre „Blonde“ aus Mozart´s Entführung – hat nach ihrem vierjährigen Wiesbaden-Engagement das Haus verlassen und singt seither vielbeschäftigt „auf eigene Faust“. Sehr glücklich sei sie, als Ophelia wieder in Köln auftreten zu können, wie sie auf ihrer Webseite www.gloriarehm.com verrät. Eine durchweg sehr attraktive Ophelia ist sie, mit leuchtendem, sicheren Sopran, mit packendem Spiel und dazu auch sehr hübsch anzuschauen. Das vielfältig eingesetzte und bewährte Kölner Ensemblemitglied John Heuzenroeder als Polonius glänzte wie immer mit seinem freien, klangvollen Tenor.

Die Gertrude scheint für Kammersängerin Dalia Schaechter, seit vielen Jahren im Ensemble, speziell komponiert zu sein, stimmlich und szenisch ist sie perfekt. Wolfgang Stefan Schweiger (Horatio) und Dino Lüthy (Laertes) sind beide Sprösslinge des Kölner Internationalen Opernstudios www.opernfreunde.de, die sich hervorragend ins Ensemble eingebracht haben; ein schönes Beispiel für den Effekt dieser Institution als Nachwuchsschmiede. Und nicht zu vergessen der Amerikaner Andrew Schroeder, mit Haus- und Rollendebut als Claudius, eindrucksvoller Königsmörder zusammen mit Gertrude. Der Australier Joshua Blohm gefiel als stimmgewaltiger Geist in einem Nachen auf einem offensichtlich echten Gewässer, für den sich die Bühne öffnete und in dem zum Schluss all die vielen, sehr realistisch Getöteten des Showdown wie in den Hades wankten. Alaine Lagard hat eine technische und realistische Bühne ohne große Schnörkel gebaut, die über Treppen mehrere Spielebenen zulässt, Astrid Janson ist verantwortlich für die zeitlosen Kostüme.

Noch mehr gab es: einen „Semi Chorus“, das „Rheinstimmen-Ensemble“, neun junge Leute, die links auf der Bühne nebeneinander saßen und schick gekleidet interessante „Geräusche“ sangen, und zwei „externe Musikgruppen“ irgendwo hoch oben im Off mit Klarinette, Trompete und Schlagzeug; sofort kam die Erinnerung auf an die 360-Grad-Produktion von Zimmermann´s “Soldaten“. Und einen echten Akkordeonspieler (James Crabb), der seine Finger zu der „Theaterszene auf dem Theater“ über die vielen Knöpfe seines  Instruments fast fliegen ließ. Und dann die Mega-Fechtszene zwischen Hamlet und Laertes, perfekt choreografiert von Thomas Ziesch und gleichzeitig ein dickes Kompliment an die kämpfenden Akteure. Man bekam schon beim Zuschauen echt Angst. Auch der Chor der Oper Köln unter Rustam Samedov war stark beschäftigt und sang trotzdem wie immer ganz ausgezeichnet. Georg Kehren, Chefdramaturg des Hauses, hat ein hervorragendes Programmheft zusammengestellt, darin eine sehr übersichtliche Wiedergabe der Handlung, sein Gespräch mit dem Regisseur und Librettisten Mathew Jocelyn, und Bilder aus dem Hamlet-Zyklus der Malerin Heather Betts, Ehefrau des Komponisten. Auch wenn kurz vor einer Premiere immer Zeitnot besteht: Warum kann man das Programm nicht vorher online stellen, oder zumindest den Text? Der Rezensent hätte sich sicher leichter getan mit der Aufführung. Aber eines ist sicher: Er geht nochmal rein.

Das ausverkaufte und auch nach der Pause immer noch volle Haus feierte nach dem langen und spannungsvollen Abend die Akteure und das Produktionsteam sehr lange und sehr lautstark, die anschließende Premierenfeier war wie immer ein Familienfest, mit Vorstellung aller Akteure durch die sichtlich entspannte Intendantin, Smalltalk mit den Sängern und natürlich auch mit dem Komponisten, und ein paar wehmütige Abschiedsworte mit Chefmaskenbildner Rolf Ueltzhöffer, der nur ungern in Pension geht. So läuft es halt mit jedem im Leben, der eine verabschiedet sich, der nächste kommt.

Text von Michael Cramer

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