Musik

Liebe, Laster und Halleluja in Knechtsteden

Abschlusskonzert mit Buxtehudes „Jüngstem Gericht“ am 29.9.
Foto: Michael Rathmann

Liebe, Laster und Halleluja

Von Michael Cramer

05. Oktober 2018

Beim Festival Alte Musik in Knechtsteden

Wenn ein Festival für Alte Musik zwar in einer prachtvollen romanischen Basilika, allerdings auf dem platten Lande seit 26 Jahren unverändert vital existiert, kann das nur an einer kraftvollen Führung liegen. Hermann Max ist ein Glücksfall für die im 12. Jahrhundert erbaute Stiftskirche der Prämonstratenser-Abtei in Knechtsteden bei Dormagen. An diesem ehrwürdigen Ort, Hort für etliche Mönche und ein privates Gymnasium, leitet der Dirigent und Alte-Musik-Spezialist jeweils in der zweiten Septemberhälfte ein stark beachtetes Festival mit lokalen Chören und Barockformationen, illustren Gästen sowie Newcomern, seinem spezialisierten Orchester Das Kleine Konzert und seinem Chor, der Rheinischen Kantorei. Das alles unterstützt von einem hochaktiven Förderverein, etlichen lokalen Sponsoren und Kölner Sendeanstalten, die regelmäßig die Konzerte senden.

Mit einer solch soliden wirtschaftlichen Basis lässt sich prima Musik veranstalten – wenn die Qualität stimmt. Aber daran dürfte kein Zweifel bestehen; so waren die eher selten zu hörende Markus-Passion von Georg Philipp Telemann und Dietrich Buxtehudes „Das Jüngste Gericht“ blendend gut besucht. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen sich für lange Abende nur mit Barockmusik interessieren.

Dirigent und Festivalgründer Hermann Max
Foto: Thomas Kost

2018 bot das Festival ein durchaus buntes Programm mit einer Landpartie Simplicissimus, der Kreuzersonate, Beethovens 5. Sinfonie, einer Gregorianischen Nacht, einem Vortrag über den Surrealisten Hieronymus Bosch sowie den stark kontrastierenden Musikwerken von Telemann und Buxtehude an den beiden Abenden des 26. und 29. September. Dietrich Buxtehude (1637-1707) lebte und arbeitete in Lübeck, der bedeutendsten Stadt im Hansebund. Seine Abendmusiken in der Marienkirche, die fast alle verschollen sind, waren bei den lasterhaften Städtern sehr beliebt – aber deren Lebenswandel ein großes Ärgernis für den Komponisten. Er meinte deshalb, seinen Mitbürgern einen Spiegel vorhalten zu müssen. Das anonym überlieferte Oratorium von 1683 „Wacht! Euch zum Streit gefasset macht“, bekannt auch unter dem Namen „Das Jüngste Gericht“, ist ein abendfüllendes, in Stil und Handlung kontrastreiches, opernhaftes Werk. Eine melodiöse Mischung von Arien und Chören mit raffinierter Harmonik, zugeschnitten auf den eher einfachen Zuhörer und ohne komplizierten Kontrapunkt.

Sieben Solisten stemmen 80 Chöre und Arien, sie stellen als allegorische Figuren die Leichtfertigkeit, den Geiz und die Hoffart dar, dazu die gute und die böse Seele. Dorothee Mields, Margaret Hunter, Kerstin Dietl und Anne Bierwirth singen sehr klar und ausdrucksstark und sind dabei blendend aufeinander eingestimmt. Wunderbar schwarz der Bass des jungen Felix Schwandtke, sehr beweglich und ausdrucksstark die Stimme von Eckehard Abele, der bereits in der Markus-Passion mitwirkte. Mit viel Gefühl für das Werk erfreut der kunstfertige Tenor von Markus Brutscher. Die sieben Instrumentalisten, darunter auch eine Laute, in historischer Spielweise und auf Darmsaiten gestrichen, folgen dem präzisen Dirigat von Hermann Max zu einem erfreulich präzisen und harmonischen Klangbild. Der vorher aufgekommene Verdacht, in den zwei Stunden könne sich ein wenig Langeweile einstellen, bewahrheitet sich keineswegs: Der ungewöhnliche, spannende und vielseitige finale Barockabend wurde mit einem riesigen Applaus bejubelt, bei dem sicherlich mancher Zuhörer das kommende Jahr schon im Auge bzw. Ohr hatte.

Rheinische Kantorei und Das Kleine Konzert mit Telemanns Markuspassion
Foto: Thomas Kost

Ganz anders drei Tage zuvor Telemann mit seiner Markus-Passion, die wie alle biblischen Stücke vom Leid und Sterben Jesu berichtet. Der Komponist, ein „Vielschreiber“ mit etwa 2000 Kompositionen, hat das Werk mit 86 Jahren komponiert, seine letzte größere Arbeit. In den Texten werden einerseits die Fragen nach dem Sinn des Leidens Jesu gestellt und andererseits geschildert, wie Jesu willig auf seinen Tod zugeht, durch Schweigen besondere Stärke zeigt und seinen Weg zum Tod als Liebestat für den reuigen Sünder beschreitet. Diesen inhaltlichen Kontrast setzt Telemann in seiner Komposition in genialer Weise um, indem er alle zwischen Demut und Raserei vorkommenden Affekte durch wohlüberlegte Instrumentierung, Harmonisierung und Formenvielfalt zum Klingen bringt. In einem innigen Miteinander erwecken die Beteiligten den grandiosen Bilderreichtum dieser Musik zum Leben und erzählen das Geschehen als Menschheitskrimi in dreizehn Szenen fesselnd und ergreifend. Telemanns Passion beginnt aus übergeordneter Perspektive mit Lobespsalm und Halleluja. Selbst im dunkelsten Moment der folgenden Berichterstattung über Verrat, Feigheit, Gefangenschaft, Folter und Tod ist ein Funken dieses anfänglichen Zukunftslichts enthalten. Eine Chor-Arie und ein Choral beschließen das Werk und entlassen den Hörer in eine für Telemann typische positive Stimmung.

Die Solisten Veronika Winter (Sopran), Anne Bierwirth (Alt), Georg Poplutz (Tenor), Markus Flaig und Ekkehard Abele (Bass) sind reichlich beschäftigt. Dazu Gregor Finke und Carsten Krüger in zahlreichen allegorischen Partien, als Evangelist, als Jesus, als Stimme Gottes, als Treue, Klugheit oder Liebe. Das geht nur auseinanderzuhalten mit Hilfe des Programmtextes. Prachtvolle Stimmen von einheitlich hoher Güte, musikalischem Ausdruck und Textverständlichkeit. Auch hier glänzen die Musiker mit Klangschönheit, Präzision und Musikalität unter dem Dirigat ihres Gründers Hermann Max. Trotz des ernsten Sujets jubelnder Applaus in der vollbesetzten Kathedrale.

Michael Cramer
Fotos: Thomas Kost
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