Musik

„Der Kaiser von Atlantis“ am Offenbachplatz

„Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“
Foto: Paul Leclaire

Das Ende der Gefügsamkeit

01. März 2018

Von Michael Cramer

Eike Ecker (Regie) und Rainer Mühlbach (Musik), das bewährte Dream-Team der Oper Köln für kleine und feinsinnige Inszenierungen, setzt sich mal wieder sehr erfolgreich in der sogenannten Außenspielstätte in Szene. Nach „Adam Schaf hat Angst“ wird zum zweiten Mal der Ort des früheren beliebten „Möwenpick“ auch von der Oper genutzt: Schauspielchef Bachmann hatte energisch gefordert, das Theater wieder an den Offenbachplatz, in die Mitte der Stadt, zu verlegen, um den Platz im Gedächtnis der Kölner nicht verblassen zu lassen. Aber da das Zentrum des Schauspiels noch einige Jahre im Rechtsrheinischen verbleiben wird, wurde der Platz halt kühn die „Außenspielstätte“ getauft, ein Begriff, den die Oper übernommen  und der sich fest etabliert hat.

Zu erleben gibt es eine große Rarität, die selten gespielte Oper von Victor Ullmann „Der Kaiser von Atlantis“. Das einstündige Werk hatte der jüdische Komponist im Ghetto Theresienstadt geschrieben. Hier hatten die Nazis ab 1942 bewusst kulturelle Veranstaltungen zugelassen, um dem Ausland die Harmlosigkeit des Lagerlebens zu demonstrieren. Ullmann, der bereits etliche kompositorische Erfolge vorweisen konnte, war in diese Musikkultur des Lagers maßgeblich eingebunden. Die Krönung war seine „Atlantis“-Komposition. Die ungewöhnliche Instrumentierung musste sich nach den vorhandenen Instrumenten bzw. Spielern richten. Das Werk Ullmanns und seines Librettisten Peter Kien kam allerdings über die Probenarbeit nicht hinaus. Ullmann und Kien wurden nach Auschwitz deportiert und fanden dort den Tod. Die Partitur der unaufgeführten Oper gelangte über Freunde ins Ausland, die erste Aufführung erfolgte erst 1975 in Amsterdam.

Die Geschichte, die gezeigt wird, ist schon sehr ungewöhnlich: Der Kaiser Overall des sagenumwobenen Atlantis beschließt eine neue Verfügung: Ab sofort muss jeder gegen jeden Krieg führen. Der Tod fühlt ich entehrt, zerbricht sein Schwert und verweigert seinen Dienst: Die Menschen können nicht mehr sterben, Verurteilte werden zwar erschossen, bleiben jedoch am Leben. Nicht umsonst heißt der Untertitel „oder Die Tod-Verweigerung“. Die Autorität des Kaisers schwindet, da die Waffen schweigen. Frühere Feinde beginnen sich auf einmal zu lieben. Alte Erinnerungen des Trommlers und des Harlekins werden für den Kaiser zum Alptraum, ebenso die Berichte über Aufrührer. Da bietet der Tod an, die Menschen wieder sterben zu lassen, wenn der Kaiser bereit sei, als erster zu sterben. So kommt es dann auch.

Judith Thielsen (Trommler), Nikolay Borchev (Kaiser Overall), Martin Koch (Harlekin)
Foto: Paul Leclaire

Natürlich kann Ullmanns Kurzoper nicht ohne deren Entstehungszeit rezipiert werden. Sie trägt Züge einer bissigen, aber auch resignativen Satire auf die Schrecken des Naziregimes. Kaiser Overall verkündet den totalen Krieg aller gegen alle. Schon sein Name ist Programm. Er erhebt den totalitären Anspruch, die Verfügungsgewalt über alle seiner Untertanen zu besitzen, und manipuliert sie wie das nationalsozialistische Regime durch das seinerzeit moderne Medium des Radios. Regisseurin Eike Ecker nimmt diesen Gedanken auf, wenn sie als dominierendes Requisit auf der ansonsten eher puristisch ausgelegten Bühne den riesigen Schalltrichter eines Lautsprechers von der Decke herabhängen lässt. Die Assoziation an einen Volksempfänger und damit die Erinnerung an die Nutzbarmachung der modernen Medien für eine Gehirnwäsche der Bevölkerung durch die Nazis drängt sich auf. In seiner Hybris, seinem Größenwahn und seiner grotesken Selbstüberschätzung ähnelt Overall zudem Adolf Hitler.

Aber einer einseitigen Festlegung und Verengung des Stoffs entzieht Ecker zu Recht die Grundlage. So trägt der Kaiser eine neutrale weiße Uniform (die allerdings an Göring erinnert). Bezüge zu mittelalterlichen Totentanzszenen oder aber zum barocken theatrum mundi als Metapher für die Eitelkeit und Nichtigkeit der Welt verweisen auf Eckers Inszenierungsintention: Tod und Leben, Gut und Böse, Hass und Liebe, Unterdrückung und Freiheitsstreben sind Grundkonstanten der conditio humana schlechthin. Das menschliche Leben wäre ohne den Tod bedeutungslos, manchmal auch unerträglich. In der Farbsymbolik der prächtigen roten und schwarzen Kostüme werden diese Dichotomien sinnfällig aufgegriffen. Und wenn sich die Protagonisten zum Schluss ihrer Kleidung entledigen, so ist dies eine starke Metapher dafür, dass wir alle vor dem Tod nackt dastehen.

Ausstatter Darko Petrovic hat durch Tieferlegung der Spielfläche einen Orchestergraben geschaffen, die 14 Musiker sitzen rechts und links eines Mittelsteges, der Dirigent steht an der Seite. Die Leistung der Mitglieder des Gürzenich-Orchesters unter ihrem großartigen Leiter Rainer Mühlbach wird den hohen Ansprüchen der Partitur in jeder Sekunde gerecht. Da leuchten Anklänge an Mahler auf, da gibt es musikalische Zitate aus den Songs von Kurt Weill, da gehen Foxtrott-Rhythmen des Shimmytanzes unter die Haut und zum Schluss erklingt sogar erhaben ein Luther-Choral. Die unglaublich reichhaltige Farbpalette der Partitur wird von Mühlbach und seinen Musikern jedenfalls herrlich ausgeleuchtet.

Auch sängerisch bleiben keine Wünsche offen. Die Palme gebührt hier Lucas Singer, der dem Tod mit seinem kräftigen, aber wunderbar sonoren Bass Würde und Autorität verleiht. Claudia Rohrbach als Soldat Bubikopf und Dino Lüthy als zweiter Soldat verzaubern in einer wunderschönen Liebesbegegnung mitten auf dem Schlachtfeld durch einen geradezu balsamischen Wohlklang. Nikolay Borchev als Kaiser von Atlantis legt seine ganze stimmliche Ausdruckskraft in einen ergreifenden Schlussmonolog, in dem er in seinen eigenen Tod einwilligt und damit wieder den Tod in seine Rechte einsetzt. Makellos auch die Leistung von Martin Koch als Harlekin, wobei das schauspielerische Talent dieses Charakterbuffos immer wieder ganz besonders besticht. Judith Thielsen verleiht der Rolle des Trommlers die notwendige Schärfe und stimmliche Attacke.

Wenn es bei dieser wunderbaren Produktion der Kölner Oper überhaupt einen Wermutstropfen gibt, dann den, dass man den tiefgründigen Text des Librettisten Peter Kien nur zum geringen Teil verstehen kann. Schade! Das Publikum in der ausverkauften Außenspielstätte feierte alle Beteiligten mit lang anhaltendem Beifall. Über Eike Ecker und Rainer Mühlbach schütteten die begeisterten Zuhörer geradezu ein Füllhorn von Beifallkaskaden aus. Und das völlig zu Recht.

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