Theater

Vater Rabe, Mutter Erde, Schwester Stern und Bruder Schnee“ im Kulturbunker Köln

Ein Migrationsmärchen für Kinder

 

Von Michael Cramer

Was hat ein großer blauer Luftballon mit einem Theaterstück über Auswandern, über Verreisen, über Flucht zu tun? Den blies eine junge Frau kräftig auf vor den Augen der Zuschauer, die im Vorraum des Theaters warten mussten. Und stellte sich vor: Helena Aljona Kühn, geboren in Kasachstan, wo sie kaum gelebt hat, von wo sie aber in die Welt auszog und in Köln als freie Schauspielerin gelandet ist. Der Ballon wird zum Globus, sie malt darauf eine einfache Landkarte, versucht die Entfernungen auf der Welt und auch im All zu erklären. „Vater Rabe, Mutter Erde, Schwester Stern und Bruder Schnee“ ist ihr Theater über Gehen und Bewegen, über das Verlassen der Heimat und dem Aufbruch ins Unbekannte.

Sie hat ein „bewegliches Erzählstück“ geschrieben, basierend auf drei Märchen aus fremden Kulturen, wo die einen aus Neugier auf die Welt, die anderen aus der Not heraus weggehen. Helena hat sich, wie sie bei der Premierenfeier berichtete, schon immer sehr für Märchen aus fremden Kulturen interessiert, aber anders als die von Grimm oder Andersen. So fand sie in Geschichten aus Afrika, von den Eskimos, vom Fliegen ins Unbekannte und Neue, Stoffe, die gerade für Kinder sehr geeignet sind. Das Stück ist konzipiert „für alle ab 8 Jahren“, wobei die Untergrenze schon recht niedrig angesetzt ist. Helena berichtete aber über die Nachmittagsvorstellung, dass die Kids sehr interessiert mitgemacht hätten, da sie dort mehr „haptische Elemente“ eingebaut hätte.

Helena Aljona Kühn in „Vater Rabe, Mutter Erde, Schwester Stern und Bruder Schnee“
Fotos: ©Evi Blink

Im Gänsemarsch tappte die Truppe in den Theaterraum im originellen Kulturbunker „Kubus“ in Köln-Mühlheim, einem ehemaligen Luftschutz-Hochbunker, der glücklicherweise nie als solcher genutzt werden musste. Nach dem Krieg als notdürftige Wohnung genutzt, war er als privates „Hotel Zapp“ lange Zeit kulturelles Zentrum der Gegend, wurde zur Zeit des kalten Krieges als Bunker reaktiviert und kam Mitte der 80er unter Denkmalschutz. Die Stadt wurde hier bei der Suche nach einem Kulturzentrum fündig, ein Trägerverein versuchte zunächst in Selbsthilfe das Nötigste zu organisieren, ein Architekturbüro schuf aus dem Gebäude ein universell nutzbares Objekt mit Büro- und Theaterräumen und einem großzügigen Café. Der Bunker wird heute vielfältig genutzt, auch von den in dieser Gegend zahlreichen türkischstämmigen Kölnern. Und von kleinen Theatergruppen. Ort der Aufführung waren drei nebeneinanderliegende längliche Räume mit Durchgängen und wenigen Sitzgelegenheiten, die aber bei 45 Minuten Spieldauer entbehrlich waren.

Zur Geschichte vom Vater Rabe ist der Fußboden mit vielerlei Lichterketten ausgelegt, Helena „fliegt“ als sprechender Rabe mit einem kleinen Sperling über Straßen, über Berge und Krater ins Unbekannte, vom Himmel zur Erde, aus Neugier und Entdeckungslust, kommt in einer anderen Welt an.

Zum zweiten Märchen geht es in den Nachbarraum zu den Eskimos, zu Bruder Schnee in den Norden, über und über mit Luftpolsterfolien und einem Schneehügel ausgestattet. Die platzenden Folien ahmen wunderbar das Knirschen beim Gehen über den Schnee nach, von den Kindern begeistert nachgeahmt; die Geschichte handelt von Menschen, die sich in der Kälte verirrt haben und von Wölfen gefressen werden. Schon etwas gruselig. Aber aus den Knochen sind neue lebendige Wesen entstanden, die von den Rentieren in ihre Gemeinschaft aufgenommen werden – da ist die Welt wieder in Ordnung. Unzählige bunte dicke Fäden hängen von der Decke im letzten Raum, symbolisch für die Landschaften und Wälder, durch welche die Menschen in Afrika vor dem Krieg fliehen mussten. Auch hier ein positives Ende, indem die Flüchtlinge sich untereinander anfreunden und gemeinsam ein neues Dorf bauen. Natürlich dürfen die Kinder auch jeweils einen der Fäden mit nach Hause nehmen.

Helena Kühn hat den Text zusammen mit der bekannten Theatermacherin Andrea Bleikamp entwickelt; begleitet wird sie von Öğünç Kardelen, einem Profimusiker und studierten Opernsänger, der deutschlandweit vielfältig engagiert ist. Er hatte einen ganzen Strauß von Instrumenten, Trommeln und einem Glockenspiel zu bedienen, eine reizvolle Ergänzung zum gesprochenen Text. Kühns schauspielerische Leidenschaft spürt man in jeder Phase ihres Stücks, mit der sie die großen und kleinen Zuschauer in ihre Märchenwelt entführt – nach kurzer Zeit ist man gefangen in ihrem Bann. Sie sagt von sich: „Die Heimat verlassen, weggehen, sich bewegen, wandern und reisen, ist mir irgendwie nah und berührt mich. Vielleicht weil ich selbst in einem anderen Land geboren bin und einen gemischten Migrationshintergrund habe.“ Die Zuschauer spendeten zu Recht begeisterten Applaus und diskutierten beim Premierensekt noch lange mit den Theatermachern.

Premiere am 26. Oktober 2017

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