Raum13 – SCHÖNHEIT DER VERGÄNGLICHKEIT #3-1_DAS WERK
Historischer Wunsch – Realität geworden
Denn dieser dritte Teil der Trilogie beinhaltet den Beginn der eigentlichen Industrialisierung. Eine Collage unter dem Thema In 80 Tagen um die Welt, eine Verbindung von Installation, Schauspiel, Performance, Tanz, Lesungen und Musik. Das Stück sollte bereits im vergangenen Jahr seine Uraufführung erleben, aber Marc Leßle, studierter Bühnentechniker und Beleuchter, stürzte vier Meter tief von einer Leiter; die angeknackste Wirbelsäule und die gebrochene Schulter haben das Projekt erheblich verzögert.Das Stück ist auch längst nicht fertig. Die Premiere am 30. April 2015 war eigentlich eine Generalprobe mit Publikum; ein Begleitheft, um den einzelnen Stationen besser folgen zu können, war noch nicht vorhanden. Die einzelnen Fragmente sind auch nur skizzenhaft angelegt und sollen über das Jahr kontinuierlich ausgebaut werden. Dazu kommen regelmäßige Werkstattführungen, die sogenannten „Einblicke“ und öffentliche Besichtigungen des ganzen Komplexes.Der historische Wunsch, die Welt in 80 Tagen umrunden zu können, ist lange Realität. Wir erleben heute die Industrialisierung 4.0, wo sich nach der Erfindung des Motors, der Fließbandproduktion (Auto, Schlachthof) und des Roboters nun die Maschinen selbstständig untereinander kommunizieren. Der Wissenschaftler erhält in der ersten Halle mit technischen Objekten ein Denkmal, denn er revolutioniert die Welt mit Motoren, mit Telekommunikation, mit Medizintechnik, verdient aber wenig. Das Kapital dann nimmt sich der Erfindungen an und macht damit den Reibach. Die Freiheit kommt durch das Lenkrad. Und das Flugzeug, welches in einem artistischen Tanz mit Ikarus-Flügeln symbolisiert wird, bedeutet den Traum von einer anderen Welt, von Freiheit und eigenen Ideen. Denn der Mensch wurde mit Mängeln erschaffen, da muss die Technik helfen, den eigenen Ort zu verlassen und auf das Zugtier verzichten zu können.
Die Zuschauer gehen im Stück in kleinen Gruppen auf eine Zeitreise, kommen nach vielen Treppen, langen Gängen und Eindrücken immer wieder in den „Impulshof“ als Ort der Besinnung und Erholung. Es gibt Getränke und Fischbrötchen, nachdem man vorher technische Errungenschaften und ein aberwitziges Ballett der Schauspielerinnen in der großen Halle erlebte; der Weg ging durch lange Kellergänge mit Assoziationen an Flüchtlingslager, an käuflichen Sex und die harte Arbeitswelt. Später dann ein Einblick in die früheren Räume von Verwaltung und Betriebsrat, überall fällt das Auge auf ein Sammelsurium von alten Projektoren, Grammophonen, Kameras und sonstigem technischem Schnickschnack.
Und es gibt viel zu hören: Reden von Rosa Luxemburg, Joschka Fischer, Gerhard Schröder, Ursula von der Leyen. Und ein Brief von Schiller an Humboldt über die Aufklärung, und wie die Gesellschaft funktionieren kann. Denn jetzt wird es politisch: Deutschland muss mehr Verantwortung für andere Länder tragen. Und Weltpolitik betreiben (Afghanistan, Bosnien), was früher aufgrund der eigenen Vergangenheit einfach nicht ging. Deutschland wollte hier in den Krieg, um einen erneuten Genozid zu verhindern. Denkanstöße sind notwendig, um in Freiheit und Brüderlichkeit zu leben. Denn was man sich nicht erkämpft hat, kann man nicht verteidigen.
Das hoch anspruchsvolle Stück ist außerordentlich vielschichtig und kann in allen Details kaum auf einmal aufgenommen und verarbeitet werden. Und erst recht nicht besprochen werden. Es ist einfach sehr lang und sehr viel und auch anstrengend. Aber man soll staunen und in sich gehen, und das gelingt den beiden sympathischen Theatermachern bestens, gelegentliche Rückenschauer inklusive.
- Besuchte Aufführung: 18.07. 2015
- Regie: Anja Kolacek und Marc Leßle