Lauter barocke Intriganten im Staatenhaus
Kann ein Opernkomponist auch Sänger, Violinist,Gambenspieler und katholischer Priester sein ? Und die Oper in Europa auf ein völlig neues Niveau heben ? Und alles mehr oder weniger gleichzeitig ? Offensichtlich schon, denn da gab es den universellen Claudio Monteverdi (1567-1643), der für die Wende von der Renaissance zum Barock steht. Hier mit seinem Hauptwerk „L´Orfeo“ von 1642, das für viele als die erste Oper überhaupt gilt. Ganz schön fleißig war der Herr Musikus; 13 größere geistliche und weltliche Vokalwerke sind bekannt; von seinen 14 Opern sind allerdings nur fünf erhalten.
Ungeachtet dessen ist Monteverdi der bedeutendste Musiktheater-Komponist des 17. Jahrhunderts; in Text, Handlung, Charaktere und Musik gewann er eine Ausdrucksdichte, die erst sehr viel später von anderen Komponisten erreicht wurde. Sehr bekannt ist auch seine „Marienvesper“ von 1610. Seine Vokalwerke wurden u.a. durch Nikolaus Harnoncourt und den Regisseur Jean-Pierre Ponelle wieder ins musikalische Gedächtnis der Musikliebhaber zurückgeholt.
Zurück zur Poppea. Die Barockoper ist „modern“ geworden, sie taucht vermehrt in den Spielplänen sehr vieler Häuser auf. Manche Orchester nennen sich auch „historisch orientiert“, holen ihr Cembalo aus dem klimatisierten Depot, oder laden Gäste ein mit Gambe, Theorbe und Laute; ebenso sind die Flöten und Klarinetten wie damals rein hölzern. Auch der Geigenbogen wird nicht am Ende, sondern weiter vorne gehalten, und die Celli als „Kniegeige“ benutzt. Aber damit hat man noch längst kein Barockorchester. Nun war bei der Kölner Premiere richtig was los. Das Abendprogramm zählt 11 Namen für 21 Rollen auf, für den Tenor John Heuzenroeder gar 4 Rollen. Der Südafrikaner ist seit Jahren Ensemblemitglied, war optisch kaum wiederzuerkennen, sein glänzender Tenor aber schon.
In Köln gab es eine Produktion zu sehen, die 2022 bereits auf dem Festival in Aix-en-Provence gelaufen war, später auch noch in Rennes und Toulon. Die Geschichte spielt in Rom, sie handelt – wie bei den meisten Barockopern – von Liebe, Verrat, Eifersucht, Todesstrafe und Selbstmord. Mal mehr, mal weniger. In endlosen Arien und Rezitativen werden die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Zuneigungen und Ablehnungen ausführlich und aufwändig dargestellt. Die endlosen Texte und Wiederholungen sind schwer zu ertragen, zumindest für den Rezensenten. Er gesteht hier freimütig, dass er bereits auf der Schule mit Gedichten wenig anfangen konnte. Lesen schon, aber was dann damit machen ?
Darum steht er auch etwas ratlos vor dem Libretto der Zauberflöte oder mancher Shakespeare-Dramen. Aber es gibt ja viel zu sehen und zu hören in der Poppea. Und da hat die Kostümabteilung unter Astrid Klein eine sehr phantasievolle Arbeit hingelegt, ganz dickes Kompliment dafür. Man konnte sich geradezu berauschen an der Ausstattung und den Kostümen. Für die natürlich auch der Regisseur Verantwortung trägt. Der Amerikaner Ted Huffman hatte die Inszenierung sehr erfolgreich bereits in Aix-en-Provence auf die Festival-Bühne gebracht – nun war das Staatenhaus dran.
Die Geschichte ist nicht ganz einfach. Kaiser Nero hat sich in Poppea verliebt. Erbarmungslos und narzisstisch lässt er seine eigene Frau und Poppeas Gatten aus dem Weg räumen. „L’incoronaziona di Poppea“ schildert die dämonische Kraft der Liebe. In einer packenden Inszenierung, die die Krönung der aktuellen Spielzeit sein könnte. Die älteren Opernbesucher erinnern sich vielleicht noch an die famose „Poppea“ von Dietrich Hilsdorf im imposanten Gerling-Quartier in 2010. Das Staatenhaus hat aber viele szenische Vorzüge durch die extreme Breite und Tiefe, wie man über die lange „provisorische“ Spielzeit an etlichen opulenten Bühnenbildern sehen konnte.
Die Personenführung bei Huffman ist eher einfach, ringsum Sitzmöbel, die von den Sängern abwechselnd genutzt werden. In der Mitte später ein großer Tisch. Alles wirkt wie aus dem Stegreif, sozusagen als Zuschauer auf der Bühne. Über allem schwebt eine riesige drehbare Röhre, deren Sinn sich schwer erschließt. Dafür aber umso mehr die Qualität des singenden Personals. Elsa Benoit singt die Poppea, voll engagiert und sehr intensiv. Langen jubelnden Applaus erreichte sie zusammen mit dem Counter Jake Arditti als Nero, ein Höhepunkt der Oper. Der Dirigent Georges Petrou führte die Musiker des Gürzenich-Orchesters sehr sensibel durch die Partitur, er selbst begleitete auch am Cembalo. John Heuzenroeder hatte gleich vier Rollen zu singen, mit viel Spielwitz und sehr variablem Tenor; damit heimste er sehr viel Beifall ein. Auch Adriana Bastias-Gamboa begeistert mit ihrem sinnlich dunkel gefärbten Mezzo als Ottavia erneut. Auch die hier nicht einzeln aufgeführten Sängerinnen und Sänger, zum Teil noch im internationalen Opernstudio (Paul-Antoijne Bénos-Dijan, Christoph Seidl, Maria Koroleva, Armando Elizondo, William Socolof, Camille Poul und Laurence Kilsby) erfüllten ihre Rollen ganz hervorragend, schauspielerisch und musikalisch.
Leider ist die immer noch hochaktuelle und packende Produktion inzwischen abgespielt, sonst würde ich noch einmal hingehen. Und kann dann vielleicht die Handlung besser nachvollziehen. Aber mich vor allem an der Musik und den exzellenten Sängern erfreuen.
Besuchte Aufführung: Premiere am 5. Mail 2024
Fotos: ©Mathias Jung